Krimis, Menschen, Sensationen

Buchmesse! Donnerstag, nur für Fachbesucher. Fachbesucher ist jeder, der nachweisen kann, schon einmal ein Buch gelesen zu haben, wobei es genügt, die physische Existenz dieses Buches durch Vorzeigen am Ticketschalter zu bestätigen. Da der Transport dieses Buches indes von Stunde zu Stunde beschwerlicher fällt, man es aber aus Kulturgründen nicht in eine der zahlreichen mit „Papier“ beschrifteten Abfalltonnen werfen will, verwundert es nicht, dass die Regale an den Ständen immer voller werden. Diskret abgestellt in diesem Jahr vor allem: Eva Hermans „Das Profitmaximierungsprinzip“, die bekannte, durch sämtliche Medien gejagte Anleitung, wie man sich trotz fortgeschrittener Denk- und Schreibschwäche als Bestsellerautorin etabliert, sofern man blond genug ist.

Aber kommen wir zu den Krimis. Wahrhaft Revolutionäres verkündet der Grafit-Verlag: den Mehrfachkrimi. „Man muss ihn“ erläutert Verleger Dr. Booß, „mindestens 10mal lesen, bevor man ihn verstanden hat. Er kostet aber nur 5mal so viel wie ein gewöhnlicher Einwegkrimi. Die Ersparnis beträgt also 50%, zuzüglich 3% Mehrwertsteuererhöhung 53 %. Wir werden den ersten Titel im Januar platzieren, Autoren, die so etwas schreiben können, gibt es genug.“ Dann drückt er uns ein Exemplar des neuen Eifelkrimis in die Hand, „nehmen Sie, ich hab 80.000 davon, alles Hardcover mit Schutzumschlag, Sie können sich gar nicht vorstellen, wie es bei mir zu Hause aussieht, ich kann das Wohnzimmer nicht mehr betreten und komme kaum noch aufs Klo!“

Aufruhr am Stand des Unionsverlages. Leonardo Padura ist da! Live! Ein netter kleiner Mann in mexikanischer Landestracht: Poncho, Sporenstiefel, Sombrero, einen Tequila mit Schirmchen in der Linken, in der Rechten beziehungsweise im Mund einen 30-Cent-Stumpen. Pressegedränge, Mikrophone wackeln, Fragen kreuzen sich. „Warum ist Mexiko nicht Fußballweltmeister geworden? Stimmt es, dass Sie mit Hemingway zusammen zur Schule gegangen sind? Sind die Hotels im Acapulco immer noch so unhygienisch?“ Geduldig beantwortet Padura sämtliche Fragen durch ausführliches Nicken.

Metro-Herausgeber Wörtche sitzt in einer Ecke und sinniert. Herr Wörtche? Hallo? Könnten wir Sie zu einer Stellungnahme zum weiteren Programm Ihrer Reihe bewegen? Sofort hört Wörtche mit dem Sinnieren auf und beginnt mit einem einstudierten Monolog. „Ich habe, wie Sie wissen, Kriminalromane von sämtlichen Kontinenten veröffentlicht. Wirklich von sämtlichen? Nein! Einen habe ich vergessen! Den unbekanntesten, den faszinierendsten von allen: unsere Seele! Das muss nachgeholt werden! Wir starten daher in diesem Herbst mit einem Sechserpack Seelenkrimis vom Feinsten, Thriller aus den Tropen des Gefühls, Hardboiled Action aus den gemäßigten Zonen der sinnlichen Erregung, Noirs mitten aus dem antarktischen Seelenschwarz, Landhauskrimis vom terra incognita des Herzmuskels. Metro, die U-Bahn direkt unter Ihrer Haut!“ Sprichts und versinkt sogleich wieder in heftiges Sinnieren. Wir machen uns schleunigst aus dem Staub.

Erquickend leer die Cafeteria, wo wir Frau Astrid Paprotta zu einem Hintergrundgespräch vorgeladen haben. Sie erscheint pünktlich und bestellt einen Kaffee. Ja, gesteht sie, sie schreibe an einem neuen Krimi. Nein, er heiße nicht „Ina Henkel wohnt hier nicht mehr“, ja, Ina Henkel komme nicht mehr darin vor, nein, er heiße trotzdem nicht „Ina Henkel wohnt hier nicht mehr“, ja, sie nehme gerne noch ein Extratütchen Zucker im Kaffee, nein, sie denke gar nicht daran, den Kaffee zu bezahlen, ja, sie sei schließlich nicht freiwillig gekommen, nein, sie habe nicht geheiratet und heiße jetzt Glauser-Paprotta, ja, sie besitze 5000 Euro in kleinen Scheinen, nein, Ina Henkel sei in ihrem neuen Krimi auch nicht „in effigie“ anwesend, ja, sie wisse überhaupt nicht, was das ist, nein, sie müsse jetzt wieder gehen, ja, sie schreibe wohl nächste Saison einen Seelenkrimi für Wörtches metro, nein, er spiele nicht in Frankfurt, ja, aber wieder mit Ina Henkel. Wir bedanken uns für dieses Hintergrundgespräch und entlassen Frau Paprotta, nachdem sie doch ihren Kaffee bezahlt hat. Sie wankt bedenklich zurück in die schützende Masse der „Fachbesucher“.

Und sonst? Die wichtigsten News in Kürze.

Die charmanten jungen Damen, die an den Ständen herumsitzen und lächeln, wenn man sie anschaut, tragen auch heuer wieder Röcke. Etwas länger als im Vorjahr, country-look dominiert, dazu schwarze Lederstiefel und bunte Strumpfhosen in gedeckten Herbsttönen.

Frau Christina Bacher, wohnhaft im Rheinland und Mitherausgeberin des „Krimijahrbuchs 2007“, ist gebürtige Pfälzerin. Mitherausgeber dpr hat nach diesem Geständnis sofort die Vereinigten Nationen eingeschaltet und um Entsendung einer neutralen Schutztruppe gebeten. Ebenfalls-Mitherausgeber Noller hat den Mitherausgebern Bacher und dpr einen Sprudel respektive Kaffee ausgegeben. Lang lebe Mitherausgeber Noller!

Die Diebstahlsquote ist dramatisch gesunken. Ebenfalls-Mitherausgeber Menke war dieses Jahr nicht auf der Messe.

20 Gedanken zu „Krimis, Menschen, Sensationen“

  1. Ja, schade, dass ich nicht nach Frankfurt kommen konnte. Gerne hätte ich erfahren, warum Leonardo Padura in mexikanischer Landestracht erschienen ist.

    Liebe Grüße
    Ludger

  2. Na, lieber Ludger, ich denke, dass auf die Schnelle keine kubanische Landestracht aufzutreiben war. Ist ja eh wurscht. Solange er nicht als Pfälzer verkleidet auftritt…

    bye
    dpr

  3. Es gibt Dinge, die muss man einfach einmal gemacht haben, wie Fernet-Branca trinken oder die Frankfurter Buchmesse besuchen. Einmal!
    Grüße
    luju

  4. Na, wenn man nette Leute trifft, kann man durchaus auch öfter zur Buchmesse gehen. Wenn einen diese Leute allerdings irgendwann einmal dazu nötigen sollten, Fernet-Branca zu trinken, streiche man Frankfurt von seiner Landkarte.

    bye
    dpr

  5. Lieber dpr,

    wenn Du schon keinen Fernet Branca magst (kann ich gut verstehen, ich mag ihn auch nicht…), dann muss ich Dir aber mitteilen, dass Du den besten Kaffee der Messe offensichtlich verpasst hast, sinst hättest Du darüber berichtet. Den gab es nämlich bei KBV. Val McDermid und Thomas Wörtche wussten ihn (u.a.) zu schätzen!

    Leider hat mich das Gesöff und die gute Gesellschaft völlig davon abgehalten, mehr von der Messe zu sehen als die nächste Umgebung der Reihe F in der Halle 3.

    Liebe Grüße
    Silvia

  6. Mist! Kaffee verpasst! Typisch, dass TW kein Wort darüber verloren hat! Wenns um die edlen Getränke geht, kennt der Bursche keine Verwandten. Ich muss aber gestehen, dass ich wie ein vielbeschäftigter Manager über die Messe geeilt bin, von Termin zu Termin. Und auch früher als eigentlich notwendig heimgefahren bin, weil ich mir das Bahnchaos vom letzten Jahr ersparen wollte. Hat auch geklappt.

    bye
    dpr

  7. Er hat ihn auch erst am Samstag entdeckt. Du solltest ihm also nicht böse sein. Wie gemütlich es am Stand war, habe ich in meinem Blog dokumentiert.

    Liebe Grüße
    Silvia

  8. Der Stand war wirklich schön, bin zwar nur vorbeigeeiert und hab keinen Kaffee gekriegt, aber je nun …
    dpr, ich habe mit anobella neulich ein kleines Problem gewälzt. Wie grenzt sich eigentlich Thriller von Krimi ab? Gibt es eine Art Thrillertheorie?
    Und deutsche Thrillerautoren sind mir auch keine eingefallen …
    Brauche mal deine gewichtige Meinung dazu, so du eine hast 🙂

  9. Nun, liebe Elsa, ein Thriller thrillt halt. Fingernägelkauen. Action, Zuspitzungen. Ein Subgenre mit dem Subsubgenre Psychothriller. Ist natürlich alles Wischiwaschi, sollte man jetzt keinen großen Akzent drauf legen. Meiner bescheidenen Meinung nach sind die stillen, etwas behäbigen Krimis manchmal thrilliger. Deutsche Thrillerautoren? Spontan fällt mir Bernhard Sinkel ein, der zwei (?) Krimis geschrieben hat, die sich genau durch solche Aktion, häufigen Ortswechsel etc. auszeichnen. Gibt auch Politthriller, fällt mir gerade ein. Ich guck mal, wer da noch alles…Ist aber so, dass mich diese Abgrenzungen nicht sonderlich interessieren. Psychothriller z.B. sind meist keine, sondern Bebilderungen unverdauter, unreflektierter Freud-Lektüre.

    bye
    dpr

  10. Ja danke!
    Nein, die Psychothriller können wir gerne ausklammern. Ich bin wahrscheinlich der einzige Mensch auf der ganzen Welt, der sich bei Highsmith furchtbar langweilt …
    Häufige Ortswechsel ist gut … Wir brauchen auch nicht abgrenzen, ich versuch einfach nur, so ein paar typische Sachen zusammenzutragen.
    Wenn dir noch was zum Thema einfällt, immer gerne.

  11. …und noch diese süße Definition aus Gero von Wilperts Sachwörterbuch der Literatur, Aufl. von 1969: Thriller (engl.=) Schauerroman als Form der Schundlit.; meist, aber nicht unbedingt Kriminalroman.
    Verlange von mir bitte jetzt aber nicht, dass ich nachgucke, was Schauerroman, Schundlit. und Kriminalroman bei Wilpert sind. Ich ahne es.
    Beste Definition: Thriller ist das, wo Thriller draufsteht.

    bye
    dpr

  12. ? Beim Thriller geht es nicht (oder nur nebenbei) um die Aufklärung eines Verbrechens ?
    (Scheint mir zumindest amerikanische Lesart zu sein)

    Deutschsprachige Autoren (?):
    Schätzing (Die Juores des dkp wurden heftiglich angefeindet, weil er doch kein Krimi schriebe).
    Gisbert Haefs.
    Peter Zeindler.
    DB Blettenberg.

    Beste Grüße

    bernd

  13. Hm, bei Blettenberg, lieber Bernd, scheiden sich vielleicht schon die Geister. Vielleicht hat Thriller im Gegensatz zum „Normalkrimi“ einfach das zusätzliche Spannungselement der dramatischen Zuspitzung nicht nur zum Ende hin, sondern über den gesamten Text verteilt. Oder wirklich diese Extraportion Schauer, wie der gute Herr von Wilpert meint.

    bye
    dpr

  14. Aber vermutlich die kleineren, lieber dpr.

    Es ist wohl weniger ein Thema für Leser als vielmehr für Literatursoziologen. Tatsache ist ja, dass die „Thriller Writer“ sich missverstanden fühlen und die „international Thriller Writers, Inc.“ ( http://www.thrillerwriters.org/index.php ) gegründet haben.

    In den USA wird wohl verdichtete Spannung als elementar für einen Thriller gesehen und dem Mysteries gegenübergestellt. So las ich (finde allerdings die Quelle nicht mehr), dass „The Poet“ von M. Connelly als Durchbruch des Thrillers im Krimiestablishment gewertet wird. Dabei ist „The Poet“ doch durchaus ein Whodunit und nicht gerade ein Buch welches der üblichen Vorstellung von Thrillern entspricht.

    Vermutlich ist also alles nur ein Sprachproblem, während in den USA Thriller und Mystery als Gegensätze gesehen werden, haben wir keinen echten Gegensatz zu Thriller (Whodunit wäre tauglich, ist aber nicht allgemein verbreitet).

    Bei den Thriller Writers findet sich die subjektive Erklärung ( http://www.thrillerwriters.org/world/rice.html ) von Christopher Rice, warum er meint Thriller zu schreiben, obwohl die Kritiker ihn als Mystery Writer einsortieren: „Simple. My characters always leave behind a trail of physical and psychological destruction that is ripe for the prodding of a good detective.“ Und er schreibt dann weiter, dass er nach seinem zweiten Buch das Gefühl hatte, nun ein Mystery schreiben zu müssen, in dem ein Detektiv die Ordnung in das Geschehen bringt, für welche die Protagonisten zu verzweifelt und zu ängstlich waren.

    (Er nennt es die Geistergeschichte, die darauf wartet geschrieben zu werden. Diese folge dem Thriller während sie dem Mystery voraus gehe – Schöne Erklärung, achten wir in Zukunft also ´mal darauf.)

    Beste Grüße

    bernd

    PS: Eine schöne, wenn auch ältere Quelle ist übrigens auch http://www.thrillerwriters.org/world/garfield.html

  15. Rice ist gut, lieber Bernd. Demnach gab’s den Thriller (avant la lettre) vor dem Mystery (der ja auch erst geschrieben, dann getauft wurde). Übrigens hat Fauser 1987 einen „Szene-Thriller“ veröffentlicht. Und wenn ich Lust hätte, würde ich die Suche bei Seeßlen anfangen, obgleich der Kino fokussiert (Wilperts wegen würd‘ ich auf keinen Fall aufstehen).

  16. Ja, lieber JL,

    ist es nicht so, dass am Anfang das goldene Zeitalter stand und dieses (außer Rosemunde Pilcher vielleicht) keine Literaten brauchte.

    Als dann die Unordnung und das Chaos über die Menschen kam, ward es Zeit zur Beschreibung (Homer quasi als erster Thrillerautor).

    Und wenn wir dann der Utopie folgen, dass es einen Weg zurück gibt, eine Konsolidierung auf hohen Niveau möglich ist, dann können Mystery-Writer die Wiederherstellung der Ordnung beschreiben.

    Beste Grüße

    bernd

  17. Da kam jetzt, lieber Bernd,

    ein Versicherungsvertreter (angemeldet, aber zu früh) dazwischen, denn ich wollte Ihnen, im Hinblick auf ‚Thriller‘ noch Jerry Palmer an’s Herz legen, der schon 1978 über „Thrillers. Genesis and Structure of a Popular Genre“ handelte. (Ob der Homer schon drin hat, weiß ich nicht mehr.)

    Nochmals grüßend!

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