Sekundärliteratur: Stefan Harbort, Das Serienmörder-Prinzip

Stefan Harbort, stellvertretender Leiter eines Kriminalkommissariats beim Polizeipräsidium Düsseldorf, hat sich über 15 Jahre lang mit Serienmördern beschäftigt. Er hat sie getroffen, Briefe gewechselt und seine Erfahrungen/Erkenntnisse in einem Buch mit dem Titel Das Serienmörder-Prinzip zusammengefasst. Es beruht auf über 50 Interviews. Unter anderem beschreibt er den Fall eines amerikanischen GI`s, der bis fünf Minuten vor seiner ersten Tat nicht wusste, was auf ihn zukommt. Er sagte: „Die meisten Menschen wissen nicht, wozu sie fähig sind.“

Der erste Mord ist schwer (da unbekanntes Terrain), der zweite fällt leichter, der dritte bereitet Lust. Die Täter kosten ihre Machtposition aus. Gerade viele Frauen fallen darauf herein; meistens begegnen sie ihrem Mörder nicht zum ersten Mal. Sie sind interessiert, hören zu, ignorieren die Bedrohung.

Harbort schätzt, dass im Augenblick ca. 15 Serienmörder in Deutschland auf freiem Fuß sind.

Sein Tipp, der nicht die Lebensqualität des Einzelnen einschränkt (Harbort): Nicht in fremde Wohnungen gehen, nicht in fremde Autos steigen, nicht nachts durch dunkle Parks laufen.

Leseprobe:
„Drei Stunden lang stand er Rede und Antwort, ließ keine Scheußlichkeit seiner Verbrechen unerwähnt. Der Mann mit der tief ins Gesicht gezogenen Baseballkappe sprach leise, verwaschen, hatte kaum Höhen und Tiefen in der Betonung, sein Wortschatz war sehr begrenzt, Gestik und Mimik blieben verhalten. Er zeigte keine Emotionen, wirkte auf mich linkisch, ungebildet, bisweilen infantil. Doch seine Aussagen waren authentisch und ehrlich.
Der verhaltene Versuch seiner Selbsteinschätzung spiegelte eindrucksvoll das Unvermögen wider, sich auf die eigene Persönlichkeit einzulassen. Erst nach jeweils längerem Nachdenken würgte er förmlich hervor: Ich stehe zu meinem Wort. Hilfsbereit. Großzügig. Dass ich halt dazu stehe. Dass ich schnell aufbrausend werde. Sein Charakterprofil konnte er mit gerade einmal 17 Worten beschreiben.“

Ich habe ein zweistündiges Feature über dieses Buch im Radio gehört und der Autor hat mich sehr beeindruckt.

Das Serienmörder-Prinzip
Was zwingt Menschen zum Bösen?
Gebunden mit Schutzumschlag
Droste Verlag
336 Seiten / 13,5 x 20,8 cm
ISBN 3-7700-1221-6
€ 18,95

Anobella

19 Gedanken zu „Sekundärliteratur: Stefan Harbort, Das Serienmörder-Prinzip“

  1. Das ist sicher ein spannendes Buch, allein: Eigentlich sind Serienmörder eine exotische Spezies (nur 15 in ganz Deutschland!). Wo ist das Buch, dass mir alltägliche Fälle von Gewalt erklärt? Die ganz normale Niedertracht, die in Schlägen oder sogar Todschlag mündet?

  2. ich bin sicher, da gibts haufenweise bücher.
    das ist eins, dass sich mit serienmördern beschäftigt, also nicht mit affekt und unkontrolliert und leidenschaft und weiß der geier. harbort hat diese leute zum sprechen gebracht … die sich aus mangel an einer idendität die idendität mörder zulegen, was sie außerhalb der gesellschaft stellt und sie zu etwas besonderem gemacht. so hat es jedenfalls harbort gesagt.

  3. Das ist ja wieder wie abgesprochen, Liebste. Morgen gibt es hier die Rezension eines Buches über einen französischen Serienmörder.
    Ich weiß auch nicht, Jürgen, ob man Serienmörder quasi auf „Normaltäter“ runterrechnen kann oder diese auf jene hochrechnen, aber Zusammenhänge sehe ich da schon. — Und private Mitteilung: Bisher ist der Daumen oben, du weißt schon…am Wochenende mehr.

    bye
    dpr

  4. Sehr verehrte Anobella,

    Sie zitiern: „Doch seine Aussagen waren authentisch und ehrlich.“ Ist das nicht die klassische Petitio principii — die Aussage muß authentisch sein, damit/weil das Buch authentisch ist? Und ist das nicht der Dreh, mit dem die Serienkiller-Bücher seit Ressler arbeiten?

  5. Ui, da haben Sie jetzt aber einen Brocken angesprochen, lieber JL! Dazu morgen ein weiteres, sehr hübsches Beispiel aus der großen weiten Welt der wahren Geschichten und übermorgen eins aus der Welt der wahren Fiktion. Und im neuen Krimijahrbuch ist „Authentisch!?“ gar DAS Schwerpunktthema. Diese Eigenwerbung musste jetzt sein.

    bye
    dpr

  6. mein latein – ist etwas rostig. die was?
    serienkillerromane habe ich nicht gelesen, aber die authentischen interviews von serienkillern finde ich sehr spannend …

    man soll auf keinen fall in fremde autos einsteigen. manche serienkiller töten gleich, andere später. beim dritten date oder so …

    *warnt auch ihre männlichen leser davor

  7. die sind glaube ich im grünen bereich – hängen ja am funk.

    kritischer ist es für den taxifahrer. letzte woche wurde wieder einer erstochen, das habe ich im radio gehört. mich hat ein solcher ZORN gepackt …

  8. Aber in Züge, deren Schaffner ich nicht kenne, darf ich noch rein? Oder Busse? Früher bin ich mal regelmäßig mit einem gefahren, abends, der war meistens leer – bis auf mich und den Fahrer, und da wurde ständig gewechselt, einmal hatten sie einen Franzosen, der… (lieber aufhören, dran zu denken; was da alles hätte passieren können!)

    bye
    dpr

  9. Uff, liebe Anobella, jetzt merk ich das erst: beim 3. date? Wir haben uns bisher zweimal getroffen…wie willst du es denn anlegen? Versuche nicht, mich zu erwürgen, das schaffst du nicht. Mit dem Messer von hinten könnte klappen. Platz im Garten für ein großes Loch hast du ja.

    bye
    dpr

  10. @dpr: Hoffentlich bleibt der Daumen oben und knickt nicht auf halber Strecke ab.

    Im Übrigen wäre ich wirklich dankbar, wenn jeman ein Buch über den Alltagshorror empfehlen könnte. Es geister zwar jede Menge durch die Presse (Kevin etc.), aber sicher hat sich da noch jemand intensiver mit beschäftigt.

  11. Lieber dpr, auf das JB 2007 freue ich mich (zumal das von 2006 noch in der IASL-Rez.-Schleife hängt: aber da bin ich wahrscheinlich mehr gespannt als Sie).

    Liebe Anobella, ich meine nicht SK-Romane, sondern die True-Crime-SK-Bücher von Polizisten, die alle nach demselben rhetorischen Prinzip funktionieren. Ein Paradigma, zwei Texte: (1) Ressler, Robert K., and Tom Shachtman, 1992. Whoever fights monsters. My Twenty Years Tracking Serial Killers for the FBI. New York: St. Martin’s Press. (2) Douglas, John, and Mark Olshaker, 1996. Mindhunter: Inside the FBI’s Elite Serial Crime Unit. [1995], Pocket Star Book. New York u. a.: Pocket Star Books (Simon and Schuster).

    Auf’m deutschsprachigen Markt hat sich zunächst Thomas Müller angeschlossen (der das Lehrer-Schüler-Verhältnis zu Ressler/Douglas noch thematisiert). Usw. usf.: SK-Bücher ist/sind ein schönes Thema.

    Beste Grüße.

  12. ich kenne die ganzen bücher nicht …
    *ringt die hände

    dpr, du kannst dich ganz sicher fühlen, in meinem garten ist kein platz mehr für eine WEITERE leiche.

    *brächte nicht mal mehr ein toten wellensittich darin unter

  13. Harbort ist schon eine Ausnahmeerscheinung in Deutschland. In seinem Hauptberuf als Kriminalhauptkommissar hat er gar nichts mit Tötungsdelikten zu tun. Seine Forschung begann ganz privat, als er die Geschichte der Serienmörder in der Bundesrepublik in unglaublicher Fleissarbeit statistisch aufarbeitete. Seine Ergebnisse unterschieden sich zum Teil dabei deutlich von den Erkenntnissen des FBI, etwa was die Beziehung zwischen Wohnort und Tatorten betrifft, die in Europa völlig unterschiedlich zu den USA sind. Das war ein ganz schöner Schlag für die wenigen deutschen „Profis“, die – zumindest bist dahin – das hohe Lied des FBI sangen. Ein Amateur liefert schlicht durch Erbsenzählen sehr eindrucksvolle Ergebnisse, die für das Erstellen von Profilen grundlegend sein können. Soweit mir bekannt ist, flossen Harborts Ergebnisse auch in die deutsche Version des „VICLAS“-Rasters ein.
    Als Harbort dann auch Interviews mit einsitzenden deutschen Serienmördern begann und seine Kenntnisse – wie gesagt „hobbymäßig“ – vertiefte, wurde dann auch ds Fernsehen auf ihn aufmerksam.

    Schon seine ersten Bücher waren sehr interessant, aber leider grausam schlecht geschrieben bzw. schlecht oder gar nicht lektoriert. Einzig störend war für mich, dass er den Tätern immer Decknamen gibt, was besonders bei den ganz bekannten Fällen, wo die Täter bereits tot sind, wie Kroll oder Bartsch. Warum Joachim Kroll plötzlich Jürgen Knoll heißen muß, ist mir nicht so ganz einsichtig.

    Harbort war und ist für mich eine wichtige Quelle und auch Inspiration. Wer die Chance hat, einen Vortrag von ihm zu besuchen, sollte das tun.

  14. hallo silvia,
    ich habe ihn in diesem radiofeature gehört, ein sehr unaufgeregter, hochreflektierter mann. der moderator versuchte in seinen fragen immer wieder das thema zu überspitzen (das ist nicht schwer bei serienkillern); darauf ließ er sich nicht ein. und er dachte, während er redete.
    können auch nicht alle.
    schön für mich zu entdecken war, dass er eine webseite hat.

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