
(Weihnachten naht. Und mit ihm die Frage: Welche Krimis schenke ich meinen Liebsten? Jeder weiß: Das kann ins Auge gehen und langjährige Freundschaften abrupt beenden. Doch keine Angst: Hinternet hilft. Die Krimiredaktion hat einige aktuelle Spitzenprodukte der Spannungsindustrie unter die Lupe genommen und ihnen den jeweiligen Idealtypus Leser (hier „Geschenkempfänger“ genannt) zugeordnet. Jetzt kann nichts mehr schiefgehen.)
Das Buch
Parma zur Weihnachtszeit: Die Besitzerin einer Pension in der Via Saffi ist ermordet worden. Einst wohnten hier Studenten und Schwesternschülerinnen, trafen sich junge Idealisten und stritten um Anarchie und Revolution, doch dann sank die Pension zum diskreten Stundenhotel für schnelle Seitensprünge herab. Und Ghitta Tagliavini, das Opfer, war nicht die freundliche Wirtin, als die man sie in Erinnerung hat. Auch Commissario Soneri, der den Fall übernimmt, hat so seine Erinnerungen an die Pension in der Via Saffi. Hier traf er einst seine spätere Frau, die inzwischen verstorben ist, aber auch diese Erinnerung wird den Ermittlungen nicht standhalten.
Soneri ist ein grüblerischer, spröder und völlig humorloser Charakter; ein Einzelgänger, der stundenlang in einem dunklen Zimmer der Pension sitzen und hinter seiner Vergangenheit herdenken kann, die sich allmählich mit der Ghitta Tagliavinis verbindet und den Weg zur Lösung des Verbrechens weist. Am Ende sind die Illusionen Makulatur, herrscht Resignation allerorten. Der Idealismus junger Anarchisten und Kommunisten hat längst pragmatischen Erwägungen Platz machen müssen, die allgegenwärtige Korruption hebt ihr schmieriges Haupt, Karrieren zählen mehr als die Wahrheit. Und all das zumeist im nächtlichen Parma, ein düsteres Kammerspiel im Glitzern der Weihnachtsdekoration.
Der ideale Geschenkempfänger
…ist dieser nette Nachbar, der ehemalige Außenminister. Beim Brötchenholen morgens grüßt er immer ganz freundlich, aber an Weihnachten wird er wahrscheinlich einsam in seiner toskanischen Plattenbauwohnung sitzen und sich der glorreichen Vergangenheit erinnern, als sich Frankfurt am Main revolutionär bewegte und die Pflastersteine noch nicht in der Allinclusive-Zone gestrandet waren. Der einzige Weihnachtsmann, der ihn besuchen kommt, ist dieser Exchef Gerhard, aber der hat höchstens seine stinklangweilige Autobiografie im Geschenkesack. Da liest man doch lieber von den alten Zeiten, den alten Idealen, nickt wehmütig, wenn sie nach und nach von der Wirklichkeit hinweggefegt werden, und ach, ja, die Frauen, die Frauen! Die haben’s faustdick hinter den Ohren. Am zweiten Weihnachtsfeiertag wird der nette Ex-Außenminister das Buch aus der Hand legen und denken: Soneri, das bin ich.
Auch geeignet für
…SammlerInnen nachdenklicher und gefühlsarmer Commissarios, die selbst beim Sex mit der Staatsanwältin nicht wirklich abschalten können
Valerio Varesi: Die Pension in der Via Saffi
(Original: “L’affittacamere” 2004, deutsch von Karin Rother).
Kindler 2006. 284 Seiten. 19,90 €
Mal umgedreht die ganze Sache, lieber, kundiger dpr: Was kann man mir denn für einen Krimi schenken?
Hm, lieber Georg, dazu müsste ich dich erst mal rezensieren und dann deinem Idealkrimi zuordnen. Vielleicht: Arno-Schmidt-Leser, Kunstliebhaber, Hüter der deutschen Sprache — hm, „Violetta“ von Pieke Biermann? Les ich auch gerade wieder, gibts aber leider nicht „verlagsfrisch“, sondern nur antiquarisch. Aber wenn du mir ein Psychogramm von dir lieferst, finde ich vielleicht noch was Passenderes.
bye
dpr
Aber das ist doch schon mein ganzes Psychogramm: Arno-Schmidt-Leser, Kunstliebhaber, Hüter der deutschen Sprache. Hinzuzufügen wäre noch Astrid-Paprotta-Leser, „Wetter-vor-15-Jahren“-Leser. Tja. Also? Was kriege ich?
> Was kriege ich?
Blutskizzen.
Blutskizzen. Genau, liebe Astrid. Und dem Herrn Horst schenken wir dann zu Ostern deinen Feuerteufel. Dem Georg Patzer schicken wir auch gleich ein Exemplar von beiden, von wegen „Arbeiter im Bergwerk der Sprache und Perspektiven“. Und einen Biermann (nein! nicht den Vergewaltiger unschuldiger Gitarren!) legen wir noch obendrauf.
bye
dpr
vergessen: Aber erst, liebe Astrid, wenn du „Blutskizzen“ unfallfrei aussprechen kannst. Wir üben: Blut-skittsen, Blut-skittsen…
Ach, das ist schön, da freue ich mich. Äh: Ist das eine Drohung oder ein Buch? Ahhhhhh, ein Buch. Auja. Soll ich Ihnen meine Adresse schicken? Für’s Geschenkpaketchen? Auja, juhu, ochja, feinfein!
Kriegst du alles schön zum Rezensieren. Aber du weißt ja: Wer A.P. oder N.H. negativ bespricht, muss „Zettel’s Traum“ auswendig lernen und bei der Weihnachtsfeier im Seniorenheim Bottrop-Süd vollständig aufsagen.
bye
dpr
„Zettel’s Traum“ auswendig aufsagen? Naja. Von vorne oder von hinten? Ich habe nur Angst, dass, wenn ich fertig bin, so viele neue Insassen da sind, dass ich noch mal von vorne anfangen muss.
Bei der Erwähnung von „Biermann“ war ich dann doch erschrocken. Danke, dass du das gleich klargestellt hast.
Hier kann man was gewinnen? Immer wenn ich nicht da bin *grummelt. Ich hätt dem Georg einen Wolfang Haas oder einen Heinrich Steinfest (die lese ich gerade einen nach dem anderen auf Französisch) geschenkt. Selbst in der Übersetzung schön, mit Spitzengefühl, so mag ich lesen.
Gewonnen hast du schon, wenn du auf den Blog kommst, liebe Barb. Aber dem Dschordsch würde ich ja nix Lustiges geben. So wie der lacht, haben wir früher geheult.
bye
dpr
Bin ich zu spät? Was krieg ich?
Vielleicht einen Computerkrimi aus der New Economy? Mal gucken.
bye
dpr