2006: The lost novels

Das Jahr neigt sich nach vorne und liegt, kaum sind die Weihnachtsplätzchen gegessen, vollends auf der Schnauze. Die Zeit der Rückschau ist angebrochen, in der wir Rechenschaft über das vergangene Krimijahr ablegen müssen. Aufgrund unserer außergewöhnlich guten Beziehungen zu den Putzgeschwadern der deutschen Verlagshäuser ist es uns gelungen, die Manuskripte dreier Kriminalromane zu lesen, die nicht das Licht der Welt erblickten. Drei Romane von drei Heroen des Genres – schnöde von den Lektoraten für unwürdig befunden und in die Papierkörbe entsorgt. Hier sind sie.

Norbert Horst: Wortmetzel

Nach einem in Ausübung seiner dienstlichen Obliegenheiten empfangenen kräftigen Schlag auf den Hinterkopf sind bei Ermittler Konstantin Kirchenberg erschreckende Veränderungen festzustellen: Er denkt und spricht nur noch in grammatisch korrekten, dafür aber ellenlangen Schachtelsätzen. „Des Morgens, da ich aus der Nacht erwachte, kleidete ich mich an und ging, des Frühstücks übervoll, an mein Tagwerk, welches im Machen eines Tatortes bestand, wie wir es im Jargon unseres Berufes auszudrücken pflegen, derweil, ohne mein wirkliches Wissen, ein Serienmörder ganz Wanne-Eickel in Angst und Schrecken versetzte, indes es nicht lange dauerte, bis ich des Falles habhaft wurde und des Täters, welcher kein anderer war als jener Bube, welcher mir mit stumpfem Gegenstande aufs Haupt gehauen, später auch.“

Urteil das Lektorats: „Diese Prosa entspricht nicht der Philosophie unseres Hauses, welche auf moderne, knappe, das syntaktische Subjekt nur in geringen Dosen verabreichende Sprache ausgerichtet ist. Wir empfehlen Herrn Horst, ‚Wortmetzel‘ in der hochwohllöblichen Criminalbibliothek des 19. Jahrhunderts zu veröffentlichen, sintemalen wir diese in nächster Zukunft zu übernehmen gedenken.“ Man kann das Werk ab Februar 2007 →hier vorbestellen.

Friedrich Ani: Süden und der rosarote Mönch im Kloster Altötting

Tabor Süden, Ermittler im Amt für Vermissungen, ist wieder zurück! Und gleich wartet ein schwieriger und delikater Fall auf ihn. Im Kloster Altötting werden drei Fässer Bier vermisst! Was ist mit ihnen passiert? Wer hat sich ihrer bemächtigt? Süden schleicht sich als angeblicher „Betbruder Josef“ ins Kloster ein und macht sich auf die Suche nach den verschwundenen Fässern. Leben sie noch? Kann man sie noch austrinken? Was er nach und nach entdeckt, lässt ihm die Haare zu Berge stehen. Würdelose Äbte, die sich mit leeren Bierfässern sexuell vergnügen, haltlose Laienprediger beim Schafkopfen, gefallene Nonnen, denen keiner beim Aufstehen hilft. Die Situation wird existentiell, Südens Philosophie dito.

Urteil des Lektorats: „…müssen wir leider auf den Seiten 12, 139 und 760 gewisse Beschreibungen lesen, die den Leser zum Schmunzeln animieren könnten. Das aber ist Ani-Lesern nicht zuzumuten. Wir empfehlen eine völlige Umschreibung des Romans.“ – und so geschah es. Leider.

Astrid Paprotta: Mimi oder Die Wahrheit der Löwensterns

Ina Henkel hat den Dienst in der Mordkommission quittiert und bearbeitet nun die Reisekostenabrechnungen ihrer ermittelnden Kollegen. Eine liegt ihr schwer im Magen. Warum fährt Hauptkommissar Micha Miesbacher, genannt Mimi, jeden Dienstag nach Frankfurt-Höchst und möchte das Fahrgeld erstattet haben? Weiß er nicht, dass gemäß Dienstanweisung zur Berechnung der Reisekosten laut Drucksache III b vom 12. Januar 1984, Absatz 4, die Erstattung von Reisekosten nur dann gewährt werden kann, wenn eine Ermittlung im Sinne der Definition aus dem Merkblatt IV 5 vom 19. März 1971, geändert im Merkblatt IXXXX 3y vom 29. Dezember 1988 nur dann als Ermittlung gelten kann, wenn alle Vorschriften der Dienstanweisung V 6 für den gehobenen und höheren Dienst vom 3. Februar 1899, hier in ihrer Fassung vom 22. April 1922, aber unter Zugrundelegung der Ergänzung besagter Dienstanweisung durch die mündliche Übereinkunft zwischen Arbeitgebern und der Gewerkschaft der Polizei vom 8. November 1980, wie sie im Protokoll vom 17. Juni gleichen Jahres festgelegt wurde (allerdings ohne den am 9. Juli gleichen Jahres einvernehmlich gestrichenen Paragrafen 3)…

Urteil des Lektorats: „Ein interessantes Thema, durchaus. Allerdings kommt der Roman nur sehr schwer in Fahrt (genauer gesagt: erst beim Streit Ina Henkels mit ihrem Vorgesetzten über die Anwendbarkeit der Dienstanweisung zur Berechnung von Fahrtkosten ins nähere Umland vom 31. Dezember 1999, wie sie im Mitteilungsblatt 4A der Anweisungen für die Behandlung von Reisekostenanträgen der Polizei im Großraum Frankfurt ausschließlich Dillenburg und Oberursel festgehalten wurde). Wir empfehlen die Veröffentlichung des Romans im nächsten Rundschreiben der Frankfurter Mordkommission vom 14. März 2006.“ Konsequenz der Autorin: Sie schreibt ab sofort keine Spannungsliteratur mehr und wird seit Wochen ungewöhnlich oft in Filialen eines Großdiscounters gesichtet. Arbeitstitel des neuen Werks: „LIDL-Joe oder die Bonanza der gehobenen Geschmäcker“.

21 Gedanken zu „2006: The lost novels“

  1. Tja, wenn ich das wüsste. Leider behandelt mich die Piper-Presseabteilung nach wie vor als zum Atmen unnötige Luft und hat auf diesbezügliche Anfragen (offiziell auf Hinternet-Briefpapier gefaxt) nicht reagiert. Ich denke aber, wir können im Herbst 2007 damit rechnen, der Titel wird wohl auch im LIDL-Sortiment zu finden sein.

    bye
    dpr

  2. Im Kloster Altötting ?

    Vermutlich hat Süden gar nicht hingefunden, schließlich gibt es deren dreie.

    Dürfte sich also um eine „Fieber“-Fantasie handeln ?

    Beste Grüße

    bernd

  3. Hallo Bernd, Zitat aus dem „Rosaroten Mönch“: „Endlich sah Süden im Norden das imposante Kloster auf dem Berg. Er nahm die Ostabfahrt und orientierte sich nach Westen, bis er vor dem mächtigen Tor der alten Abtei einen Parkplatz fand.“ Hm. Ich weiß auch nicht…

    bye
    dpr

  4. Das ist der typische Fall einer Himmelsrichtungsverwirrung. Aber nicht des Autoren oder Erzählers, sondern seiner Leser. „Ex oriente lux“: das kennt Herr Ani. Warum also die Westorientierung von der Ostabfahrt? Im Lauf des Romans klärt sich das auf. Denn ebenso wie der östlichen Bin Laden vom westlichen Geheimdienst ausgebildet wurde und der östliche Buddha erst in den Westen kommen musste, ist der Lageplan der Abteikellerei falsch bzw. nach alten Aufzeichnungen genordet, nämlich geostet. So dass Süden im Gewölbe ständig nach Westen läuft, wenn er Süden meint.

    Ist doch klar, dass die Ost-West-Schiene nicht nur der erste Anhaltspunkt für die Leser sein sein könnte, sondern auch, TW hat es längst nachgewiesen, Anis Romane in den größeren Zusammenhang der russisch-amerikanischen bzw. Orient-Okzident-Krise einzuordnen ist.

  5. Irgendwie, lieber Georg, hast du zuviel psychodelisches Popcorn gegessen. Ani vermag einfach virtuos mit den Himmelsrichtungen zu spielen, das macht ihm so schnell keiner nach. Hoffentlich.

    bye
    dpr

  6. Psychedelisches Popcorn? Wogipssasdenn? – Ansonsten finde ich deine Desillusionierung gemein. Hab ich das nicht so schön interpretiert? Hm? Na?

    Ach. (Kleist)

  7. Typischer Fall von hermeneutischem Zirkel. Damit gewinnt man vielleicht in Bielefeld bei der großen Semesterabschlussverlosung einen M.A., aber bei Hinternet keinen Blumentopf. Hier wird sauber mit dem üblichen Werkzeug interpretiert: Holzhammer, Kreissäge, Schlagbohrer.

    Merk dirs!
    dpr

  8. Lieber Benedikt,

    in deinem zarten Alter (16) solltest du nicht ständig in der Bibel rumschmökern, sondern mal einen anständigen Krimi lesen. Das hab ich mit 16 auch getan und es hat mir nicht geschadet.

    bye
    dpr

  9. Als gut katholisch erzogen möchte ich dpr’s theologische Frage wie folgt beantworten: Gottes Fußstapfen sind wir … nämlich:
    „Die Geschöpfe sind eine Spur der Fußstapfen Gottes“
    (Johannes vom Kreuz).

  10. Bene musste schon ins Bett, der freche Lauser meint, in der Bibel sei „echt viel mehr los“ als in allen Krimis, sagte noch was von Sex. Also gleich ohne Abendmahl ins Bett.

    Johannes vom Kreuz: also, Mystikern würde ich nicht unbedingt glauben. Und wenn sie dann noch von „Spuren der Fußstapfen“ faseln – wie sollen denn Fußstapfen Spuren hinterlassen? – schon gleich gar nicht. Gibt genug, die meinten, ich wäre ihnen erschienen. Glaubt mir, nur kleinen Mädchen in Frankreich und Nina Hagen zeige ich mich.

  11. Ein was soll ich sein? Ein Fußstapfen? Man reiche mir diesen Johannes vom Kreuz und ich trete ihm in das nämliche! Dieser Mystiker hat auch schon das Zeitempfinden einiger Leutte zugenebelt, die eine Woche für zwei Wochen halten. Krimirätsel gibts nächsten Montag. Wenn mir eins einfällt. Noch ist mir keins eingefallen. Fußstapfen, tz…Fußtritt…

    bye
    dpr

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