(Kommissar Wickius kennt die Verbrechens- und Kriminalliteratur der letzten ca. 2500 Jahre in- und auswendig, er löst jeden Fall, indem er das literarische Muster dafür sucht. Und Sie? Wissen auch Sie, welche klassischen Fälle den hier in loser Folge geschilderten Mordtaten zu Grunde liegen? Dann nichts wie ran an die Kommentarfunktion! Für alle Unbelesenen gibt es die Auflösung immer ein paar Tage nach der Veröffentlichung der Geschichte.)
Das hier war ein Albtraum; der ultimative Blick in den Abgrund. Anna Beller zitterte in ihrer hähnchenledernen Haut – Geschenk eines Verehrers, lange her, hatte ne mobile Broilerstation gehabt. Drei betrunkene Weihnachtsmänner torkelten ihr entgegen. Kiloweise Rouge auf den Wangen, dick grünen Lippenstift aufgetragen, nein, auf die Wülste geschmiert wie Margarine auf altbackenes Brot. Zwei Jungkriminelle, die in fremden Zungen plapperten, warteten auf arglose Kundschaft, der man die saisonal bedingt gut gefüllten Portemonnaies aus den Taschen ziehen konnte. Und hinter ihr eins der armen Schweine – hatte sie am Hauptbahnhof linkisch angesprochen und dann, nach der obligatorischen Abfuhr, hoffnungsvoll an ihre Fersen geheftet. Arme Sau, dachte Anna, hat niemanden, sitzt allein zuhaus, führt Tagebuch, schreibt über Phantastereien und tolle Frauen, die er gehabt haben will. Anna Beller verdoppelte ihre Schrittfrequenz. Sie war auf der Suche nach Wickius, Wickius, der Legende, Wickius, dem Phantom. Irgendwie verschollen, irgendwie versackt, hatte man ihr im Präsidium gesagt, suchen sie ihn, finden sie ihn, fragen sie ihn. Wickius kennt die Lösung. Das ist sein Problem.
Anna Bellers Problem, das erkannte sie immer deutlicher, war etwas anderes: dieser Job. Klang ja gut: Kriminalhauptkommissarin auf 1-Euro-Basis. Klang besser als „Schwangerschaftsvertretung im Nonnenkloster Garmisch-Partenkirchen“ (der Beichtvater war 80 gewesen) oder „Umschulung zur Krimiautorin nebst Bewerbertraining und Word für Anfänger“. Aber nun, da sie durch die Straßen der großen Stadt irrte, die überall nur „der Moloch“ hieß, wusste sie, dass sie nie einen mieseren Job gehabt hatte. Und Hunger hatte sie auch. Vor allem aber: Durst. Gottseidank befand sie sich in der Fußgängerzone, wo Hundehäufchen und etwas kuhfladenähnlich aufs Pflaster gespeites Grünsoßiges zu umschiffen waren. Anna Beller begab sich in die nächstgelegene Kneipe, wenigstens schön warm war es dort.
„Ein Bier, bitte!“ Der Wirt sah sie mit hohlen Augen an. Unförmiges Gesicht, seit Tagen, Wochen nicht rasiert. Die Melancholie schwitzte ihm aus der Leidensvisage, und als er ihr das Bier, ein in zwanzig Sekunden gezapftes Sieben-Minuten-Pils, vor die Nase knallte, roch Anna Beller die Notwendigkeit einer Körperreinigung und hielt für einen Moment die Luft an.
„Noch was?“, brummte der Wirt. Anna Beller lachte kurz und schmerzhaft. „Was ich jetzt brauche, haben Sie nicht“, antwortete sie, und der Wirt: „Das kommt drauf an. Erzählen Sie doch mal.“
Warum erzählte Anna Beller ihre Geschichte in diese lauernde, dabei apathisch ins Nichts starrende Physiognomie? Sie wusste es nicht, aber sie erzählte. Von jenem schrecklichen Mord, für den es keine Erklärung gab. Von jenem Bruder des Opfers, der mehr und mehr paronoid wurde. Von den nächsten Angehörigen des Toten, die nicht ermittelt werden konnten. Sie erzählte, nun ja, weil Weihnachten war. Weil eine Horde verfrühter Sternsinger am Lokal vorbeiging und „Latääärne, Latäärne, Sonnemondund-stäääärne“ gröhlte. Weil ihr gegenüber an der Wand ein Plakat mit dem Konterfei von Eduard Zimmermann hing. Weil aus dem Fernseher ein Talkmaster plärrte, weil… dies eben ein Scheißjob war, bei der ihr nur Wickius würde helfen können, Wickius, der Verschollene, Wickius, das Phantom.
Der Wirt nickte nur, als Anna ihre Geschichte zu Ende erzählt hatte. Dann sagte er langsam: „Ist doch klar, meine Liebe, wers war. Sie sollten nicht nur Patricia Highsmith und Wolf Haas lesen. Lesen Sie doch mal…“
Da, plötzlich, fiel es Anna Beller wie Schuppen von den Augen: Der Wirt war kein anderer als Wickius! Sie hatte ihn nicht erkannt! Anna Beller lächelte. DAS wäre doch ein hübscher Krimiplot! Du suchst jemanden, der die ganze Zeit da ist! Darauf war bestimmt noch keiner gekommen, schon gar nicht in dieser beschissenen Stadt, die man „Moloch“ nennt, weil hier in jeder Straße eine Krimiautorin, ein Krimiautor wohnt und vor sich hin bloggt.
(Schlussbemerkung: Mit dieser dramatischen Begebenheit endet die erste Staffel der Wickius-Reihe. Die Storyschreiber arbeiten schon fieberhaft an der zweiten, die „Wickius – der Film“ heißen wird. Unsere Presseabteilung wird Sie auf dem Laufenden halten.)
Ich wage mal einen Tipp: Astrid Paprotta, Sterntaucher.
*lacht
das rätsel kann ich natürlich wieder n i c h t lösen.
aber der moloch, in dem krimiautoren bloggen … wo jetzt …
georg haut´s bestimmt gleich raus.
ah. wär ne gute erklärung für frankfurt.
Ich kann den jungen Mann nur loben und mich anschließen. In meinem Verlag erscheinen halt nur gute Bücher.
Vielen Dank, Herr Fischer.
Welcher junge Mann denn?
Anna Beller
Dieser Herr Georg doch, ma chère jeune dame.
Mich wundert nur, dass er nicht längst selber Krimis geschrieben hat. Oder haben Sie ihn schon unter Vertrag, Herr Fischer?
Nein, der ist bei mir. Der Vorschuss war hier höher.
… und die 27 anderen in diesem wunderbaren Text erwähnten Werke? Schnellschuss, lieber Georg, da piept der Fischer und der Rowohlt nickt ernst.
bye
dpr
das is auch so ’ne Legende: 7 Min. für’n Pils. Als ich noch zapfte, haben’s die Tresensteher immer zurückgegeben: „Kannse selber saufen, die Plörre!“
Ja, die Legenden. Wer an das 7-Minuten-Pils glaubt, der glaubt auch an den 70-Minuten-Orgasmus, wie der unvergessliche Wirt Hannes immer sagte.
bye
dpr
Und? Bin ich wieder der einzige?
Und, gibt es noch einen Tipp? Wenn ich schon der einzige Ratende bin.
Ich frage ja nur … damit sich der Kreis schließt.
Ein Tipp: Das eröffnende „Das hier“ stammt aus einem bekannten mazedonischen, niemals ins Deutsche übersetzten Krimi, während „wie Schuppen von den Augen“ aus einem Krimi aus den Zwanziger Jahren stammt, in dem die Haarpflegewerbung thematisiert wird. Das müsste genügen.
bye
dpr
Toll, niemals ins Deutsche übersetzt? Wieso ist er dann „bekannt“? In welche Sprache ist er denn übersetzt? Ins Alt-Aramäische?
*lacht
Stummfilm, lieber Georg.
stummfilm …
*kippt lachend unter den tisch
Hoppla, da gibt sich jemand als Georg aus. Oder ist da noch ein Georg. Der Beharrliche war ich jedenfalls nicht. Kenner sehen das an der Sprache, die eine andere als meine ist. Der Rhythmus…
Hört mich jemand? Manchmal kriege ich nicht sofort Antwort.
Siehst Du nicht, lieber Georg, dass da eine Frau unter dem Tisch liegt ?
Vielleicht erweist Du Dich als Gentleman ?
Gehe zum Tisch, beugt Dich runter und hilf der Dame hoch.
Ich bin sicher zum Dank wird sie Dir Ihr Ohr leihen.
Bernd! Die Dame liegt seit 11 Uhr 51 unterm Tisch! Da hättest du aber mal selber…ach so, ja, Redaktionskonferenz, Vorbereitung der Weihnachtsfeier, Verteilung der Bestechungsgelder. Na dann…
bye
dpr