Charlie Huston: Ein gefährlicher Mann

(Unser Azubi Jochen mag besonders das Fach „Rezensionsgeschichte“ in der Berufsschule. Wie es die Alten so trieben, wenn sie lobten oder verrissen. „Wie sehen die Rezensionen der Zukunft aus?“ lautete die Aufgabe der letzten Hausarbeit, und Azubi Jochen hat sich sofort was ausgedacht. SO, sagt er, werden in hundert Jahren Kriminalromane rezensiert! Na, wollen doch mal sehen…)

– Charlie Huston. Guter Mann.
– Charlie Wer?
– Huston.
– Verwandt mit John?
– Nicht, dass ich wüsste. Obwohl, es gibt Ähnlichkeiten im Stil. Ähnlich lässig nach Außen, aber brodelnd im Kern. „Der Schatz der Sierra Madre“, wenn dir das noch was sagt. Da schwebt ’ne ähnliche Stimmung drüber.
– Vielleicht die Henry „Hank“ Thompson Trilogie? Soll sein wie Raymond Chandler auf Speed.
– Meint der „Playboy“. Ist aber Schwachsinn. Kein Detektiv in der Nähe. Wenn schon Speed, dann Jim Thompson. Der Name passt eh besser.
– Yeah, verstehe: „Thompson“! Wie ist er denn so – cool?
– Falsches Wort. Ein tablettensüchtiger Schuldeneintreiber, Bodyguard und Killer. Mit Gewissen und Verantwortungsbewusstsein, dass ihn ständig in die Knie zwingt. Und gerade deshalb zu einem gefährlichen Mann macht.
– Wie das?
– Er schützt, was ihm schützenswert scheint. Und geht dabei über Leichen. Und sei’s seine eigene.
– Finale Pflege?
– Abwarten, ob’s bei der Trilogie bleibt…
– Aber wird da nicht viel rumgejammert? Einer dieser Romane, in denen die Blessuren der Helden, der Wundbrand der Seele, zum eigentlichen Inhalt wird?
– Auf keinen Fall. Klar dreht sich viel um Henrys Befindlichkeit, aber eingebettet in eine stringente, schnelle Story voll düsterem Witz und hintergründiger Spannung. Außerdem nimmt Huston seine Figuren ernst. Da bekommt jeder seine Biographie, seine Motivation, sei’s knapp angerissen oder ausführlich – jederzeit nachvollziehbar und niemals larmoyant. Auch in den Brüchen. Und das wirkt völlig unangestrengt.
– Hmm. Klingt gut. Gibt’s Einwände?
– Die Dialoge sind gewöhnungsbedürftig. Keinerlei „Er sagte – sie antwortete, etc.“ Nur Gedankenstriche und ab geht’s. Ist gewöhnungsbedürftig. Aber faszinierend. Weil’s hinhaut.
– Verdammt, ich werde mir das Buch sofort holen.
– Eigentlich ’ne gute Idee.
– Wieso „eigentlich“?
– Weil ich das Klebeband nicht entfernen werde und du auf deinem Stuhl sitzen bleiben wirst.
– Das heißt, du richtest die Pistole auch weiter auf meinen Kopf?
– Genau. Tut mir zwar leid. Du bist ein netter, verständiger Kerl. Aber sie bedrohen meine Eltern…
– Verstehe.
– Freut mich. Aber das ändert nichts.
– Was kann ich denn sonst noch tun?
– Du? Nichts.
– Und was tust DU?
– Abdrücken.

„Jesus schaut sich die Bescherung durchs Fenster an und nickt.“
(Charlie Huston, Ein gefährlicher Mann, S. 11)

– Kaufen. Lesen.
(Wenn’s geht in der richtigen Reihenfolge: „Der Prügelknabe“, „Der Gejagte“, „Ein gefährlicher Mann“). Wenn’s nicht geht; geht auch.)

Charlie Huston: Ein gefährlicher Mann. 
Heyne 2006 
(Original: "A dangerous man", 2006, deutsch von Alexander Wagner und Don Marco), 
365 Seiten, 8,95 €

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