Unkritische Ausgabe

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Krimi und Germanistik, das ist schon eine traurige Beziehung. Zu sagen haben sich die beiden Partner wenig. Spricht der Krimi, versteht ihn die Germanistik nicht, kommt die Germanistik ins Plaudern, hält sich der Krimi entsetzt die Ohren zu. Ganz schlimm wird es, wenn die Germanistik ihre ehelichen Pflichten zu erfüllen trachtet. Denn auch Krimis sind Literatur, sorry, und ab und an sollte man sie schon in der Missionarsstellung beglücken. Mit Fruchtbarkeit ist eh kaum zu rechnen, wie das Winterheft 2006/07 der „Kritischen Ausgabe“ mit dem Schwerpunkt „Verbrechen“ abschreckend zeigt.

Bereits der einführende Aufsatz von Ingo Piess, der uns den Krimi als „ein herrlich niederes Bedürfnis“ schmackhaft machen will, bündelt das komplette germanistische Elend. Die „krimiverschlingende Masse“, expliziert Piess kühn, setze sich aus „Angehörigen des Mittelstandes in eher langweiligem, aber eben gesichertem Berufsleben“ zusammen. Als einzigen Beleg für diese putzige These präsentiert Piess ein Zitat von – Ernst Bloch. Aktueller geht es nicht.

Im weiteren serviert der Autor die bekannte Melange aus oberflächlicher Genretypologie („Action Novel“ und Rätselroman, mehr scheint es hier nicht zu geben) und in ihrer Ahnungslosigkeit geradezu waghalsige Erkenntnisse: „Der Detektiv agiert nicht nur wegen seiner tollen Eigenschaften, sonden auch wegen seiner totalen Unabhängigkeit von äußeren Einflüssen völlig lebensfern.“

Lebensfern; genau. Wer dermaßen anachronistisch verallgemeinert, fände sich in einem Agatha-Christie-Forum gut aufgehoben, ist in einer „wissenschaftlichen Publikation“ aber fehl am Platze.

Als „gute Krimis“ lobt Piess „den psychologischen bzw. gesellschaftskritischen Krimi“. Und, man ist schließlich Kenner, nennt Namen: „Dostojewskis Schuld und Sühne, Capotes Kaltblütig und Handcarved Coffins (…) sowie Fontanes Unterm Birnbaum.“

Soll man nun lachen? Nein, dazu ist die ganze Chose denn doch zu traurig. Am Ende seines „Essays“ plädiert Piess nämlich für den status quo in Sachen Krimiregeln, keine Experimente also, denn: „Würde man versuchen, diese Regeln zu durchbrechen, würde man dem Krimi eine Kunstfertigkeit aufbürden, die er nicht braucht. Das Triviale ist diesem Genre einfach angemessener.“

Das ist die Arroganz eines „Wissenschaftlers“, der seine eigene Kunstfertigkeit nicht an den Krimi zu verschwenden gedenkt und folglich sehr trivial vor sich hin schwadroniert. Wozu Krimis lesen, wenn man darüber schreiben kann? Ein wenig Elizabeth George zitiert, auch mal Jacques Berndorf namentlich erwähnt, ansonsten wie üblich die theoretischen Standardwerke von Alewyn über Nusser bis Van Dine quergelesen – „Wissenschaft“, wie man sie höchstens unteren Semestern gnädig durchgehen lässt.

Und das Ärgerliche nimmt kein Ende. Es folgt das erste aus einer Reihe von kurzen Interviews, das Opfer heißt hier Norbert Horst, und der dürfte sich mehrfach die Frage gestellt haben, wer ihm da die Fragen stellt. Wirklich eine Redakteurin der „Kritischen Ausgabe“, oder doch die freie Mitarbeiterin einer xbeliebigen Illustrierten? Wie sind Sie zum Krimi gekommen…wessen Krimis lesen Sie selbst gerne…kein Wort über die Sprache Norbert Horsts, wäre ja auch noch schöner in einer „Zeitschrift für Germanistik und Literatur“.

Kürzen wir ab. So ziemlich alles in diesem „Schwerpunkt Verbrechen“ ist, wenn es um „Krimi“ geht, kenntnislos, desinteressiert und wahllos zusammengeschustert. Die ebenfalls in diesen Schwerpunkt gepackten Aufsätze über Toni Morrison, Orwells „1984“ oder „Die Geschichte der Pornografie“ nehme ich von meiner Kritik aus, sie interessieren mich an dieser Stelle nicht.

Friedrich Dürrenmatts Kriminalromane werden aus „systemtheoretischer Sicht“ gesehen, denn, wir hätten es nicht vermutet, „Dürrenmatts OEuvre ist interpretationsfähig und interpretationsbedürftig“ und, conclusio drei Seiten später, „Dürrenmatts Kriminalgeschichten sind also (…) systemtheoretisch dechiffrierbar, und zwar als Sozial- wie auch Symbolsystem.“ Das ist jeder Einkaufszettel auch, nebenbei. Der Autor Oliver Ruf („lehrt in Trier Neuere deutsche Literaturwissenschaft“) setzt noch eins drauf: „Dürrenmatt vollzieht dabei die Überwindung des klassischen Kriminalromans (…)“. Auf welcher Grundlage diese Erkenntnis beruht, bleibt auch hier im Dunkeln. Über Kriminalliteratur, ob klassisch oder nicht, erfahren wir nämlich nichts, es wird starkgebärdig behauptet, ein Bezugssystem ist nicht in Sicht, wie auch. Dazu müsste der Autor schließlich Krimis gelesen haben.

Mit der Wiedergabe des Offensichtlichen ist Stephan Mawick zufrieden, der „Rollenkonflikte in Astrid Paprottas Roman ‚Mimikry’“ untersucht. Was er feststellt, ist ja nicht verkehrt, wenn man die simplen Fakten mühsam aus den teilweise bizarr mäandernden Sätzen destilliert hat. Ja, Birgit „Biggi“ Benz identifiziert sich ir-gend-wie mit Kommissarin Ina Henkel. Und? Wenigstens „überrascht die Ermittlerin Ina Henkel den Rezipienten durch ihre psychische wie physische Verletzlichkeit“. Überrascht? Wir stellen uns Herrn Mawick vor, wie er eine Bäckerei betritt und dort völlig überraschenderweise Brot kaufen kann.

Genug. Weder möchte ich so genau wissen, „dass der Krimi eigentlich von der Grausamkeit und Gewalttätigkeit der Sexualität spricht“, noch ob der interviewte Kriminalbiologe „Angst vor dem Tod“ hat oder der Verfasser von Leverkusen-Krimis „der Markt ist gesättigt“ klagt. Ich bin bedient. Überreich beschenkt mit einer Ladung aus fundiertem Nichtwissen, beinahe schon fachüblicher Arroganz und Ignoranz sowie, es stand zu befürchten, jener aufgedunsenen Sprachhülsigkeit einer Seminargermanistik, die das desavouiert, was sie doch eigentlich mit ihrer Arbeit fördern sollte: Sprache und Literatur.

Nein, ich werfe jetzt nicht sämtliche germanistische Beschäftigung mit Kriminalliteratur in einen Topf. Es gibt Anzeichen für eine ernsthafte und unvoreingenommene Arbeit mit dem Genre, das ist wichtig und schön. Anstrengungen wie die der „Kritischen Ausgabe“ jedoch sind ein Rückfall in alte Zeiten einer Ständegermanistik, die sich ausschließlich dem literarischen Adel mit Ernst widmete, einem Adel, den sie, versteht sich, selbst geschaffen hatte. Daher zum Schluss ein paar Wünsche an die Zunft:

1. Bitte, lest möglichst viele Kriminalromane, bevor ihr über Kriminalliteratur schreibt! Lest querbeet, lest nicht nur die „deutschen Klassiker von ETA Hoffmann bis Fontane“!
2. Scheut euch nicht vor dem „Trivialen“! Auch höhere Literatur enthält Elemente des Trivialen, das ist nicht verwerflich, nein, das ist Literatur.
3. Ersetzt die Sprache, in der ihr eure Leistungsnachweise von der Proseminararbeit über den M.A. bis zum Dr. phil angefertigt habt, endlich durch eine andere, exaktere, weniger im Bedeutungsschwangeren und Hohlerdigen herumstochernde! Nicht nur die Leser werden es euch danken, auch die AutorInnen, über die ihr schreibt.
4. Übernehmt nicht gedankenlos die Genretypologien früherer Forschergenerationen! Es gibt inzwischen mehr als „Detektivgeschichte“ und „Rätselkrimi“! Lest unvoreingenommen! Staunt!
5. Beschäftigt euch ernsthaft mit der Geschichte der (nicht nur deutschsprachigen) Kriminalliteratur. Hier findet ihr ein fruchtbares Feld, das beackert werden muss, bevor man irgendwelche „Systemtheorien“ in die Landschaft setzt.

Kritische Ausgabe. Zeitschrift für Germanistik und Literatur. 
10. Jahrgang, Winter 2006/07. 166 Seiten. 3,50 € 
(→hier zu beziehen)

29 Gedanken zu „Unkritische Ausgabe“

  1. Es ist traurig, wenn Wissenschaftler wichtige Voraussetzungen für ihre Tätigkeit verloren oder nie besessen haben, nämlich Neugierde und die Fähigkeit sich zu wundern. Dass auch Wissenschaftler sie haben können, beweisen auf dem Gebiet des alten deutschen Krimis u. a. Hans-Otto Hügel, Carsten Würmann, Knut Hickethier und natürlich Joachim Linder. Für den englischen Krimi vor Conan Doyle fällt mir Peter Drexler ein. Diese Leute haben tatsächlich mehr als Standardlektüe gelesen, b e v o r sie Theorien aufstellen oder anwenden. Und die Entschuldigung, die alten Sachen sind ja gar nicht aufzutreiben, gilt seit einem Jahr nicht mehr. Nicht wahr, lieber dpr?
    Grüße
    Luju

  2. Die Germanistik kocht ihr salziges Süppchen doch eh auf fernen Planeten ohne Publikumsverkehr. Noch dazu ist dort die Atmosphäre so dünn, dass sich nur im dicht geschlossenen Theoriepanzer überleben lässt. Also wozu sich echauffieren über freudlose Fliegenschnäpper und altbackene Adepten arschlangweiliger Auslegungsware?

  3. Salzige Süppchen in rostigen Sprachtöpfen, lieber dj, gewiss. Aber es gibt, wie Kollege luju richtig anmerkt, durchaus verdienstvolle Geistesnahrung und so ganz ignorieren sollte man die Literaturwissenschaft keineswegs. Schon deshalb nicht, weil sie bei der Frage, wer im Orkus des Vergessens landet, ein Wörtchen mitzureden hat. Nein, ich achte meine kompetenten Zunftgenossen durchaus; sie sind eine Minderheit, das ist allerdings traurig.

    bye
    dpr

  4. Exempla docent. Vielleicht könnte man die Criminalbibliothek um eine Bibliografie der Sekundärliteratur erweitern, entweder mit Kommentaren oder Abstrafung der schlechten Beispiele durch Auslassung. Und die Kopulisten dürfen da natürlich auch nicht rein.
    Luju

  5. das ist, liebe Leute, nur zum Teil eine deutsche Spezialität: die Genre-Forschung ist, wenn ich recht sehe, weder in GB noch in USA noch in France wirklich institutionalisiert und wird hier wie dort in der Regel von ‚EinzelkämpferInnen‘ getragen (Lee Horsley, Susan Rowland, Stephen Knight in GB fallen mir auf Anhieb ein, oder Chuck Rzepka in USA …). Vermutlich darf man da nicht die ‚Schuld‘ bei den nationalen Literaturwissenschaften suchen, sondern müßte Genre-spezfische Aspekte berücksichtigen (was ich immer sage: das Genre hat eigene Beobachtungsstrukturen ausgebildet — das kann man just hier sehen).

    Ob Germanisten/dt. Literaturwissenschaftler besonders schlecht/unzugänglich schreiben, kann ich nicht beurteilen (obwohl ich wg. IASL online schon einige Vergleichserfahrungen habe). Die in D geführte Diskussion darüber scheint mir allerdings an einer asymmetrischen Wahrnehmung zu leiden — man liest aus/in fremden Sprachen vorzugsweise das, was ohnehin empfohlen wird. Ich kenne jedenfalls eine Menge Texte aus GB und USA, die manchem Leser so verstiegen erscheinen müßten wie die entsprechende deutsche Produktion. Ich kann nur von mir sprechen: mich langweilen die eingängig erzählten, mehr oder minder theorie-freien Genre-Historien ziemlich schnell (auch wenn ich sie selbst produziere).

    Grüße vom Balkon

  6. Eigentlich, lieber JL, geht es um basics. Ich produziere nichts, wovon ich keine Ahnung habe und was mich auch nicht interessiert. Also wird es etwa von mir nichts zu Science Fiction geben, weil ich mich mit meinen rudimentären Kenntnissen (Lem und eine Handvoll anderer Klassiker, auch die nur bruchstückhaft) aufs Gründlichste blamieren würde. Jetzt stelle ich mir Leute vor, für die „Krimi“ immer noch Fontane / Dürrenmatt / Conan Doyle ist. Und die dann „über Krimi“ schreiben. Wissen die nicht, was sie tun? Anders kann ich mir das nämlich kaum vorstellen. Und das wäre ja schon schlimm genug.
    Es geht m.E. nicht um die Frage Theorie / Nichttheorie. Die Unart, literarischen Werken irgendwelche Theorien überzustülpen, anstatt aus dem literarischen Werk selbst eine Theorie zu entwickeln, sie mit bestehenden abzugleichen etc., ist über das Genre Krimi hinaus weit verbreitet. Literatur über Literatur hat sicher nicht den herkömmlichen Unterhaltungs-/Konsumwert; sie kann komplex sein und schwer nachvollziehbar, aber man sollte es den wenigen Willigen, die sich einer solchen Lektüre aussetzen, nicht unnötig schwer machen. Das ist auch eine Frage des Respekts vor den LeserInnen.

    bye
    dpr

  7. Lieber dpr,

    mit der Alternative „literarischen Werken irgendwelche Theorien überzustülpen, anstatt aus dem literarischen Werk selbst eine Theorie zu entwickeln“ kann ich schon deswegen nichts anfangen, weil ich nicht sehe, wie ich aus dem literarischen Text die Theorie entwickle, mit der ich ihn dann ‚verstehen‘ kann. So, verzeihen Sie, ontologisch sehe ich Sie selten argumentieren (war weiter oben nicht von den Welten der Leser die Rede?).

    Und was den Hinweis auf die Sekundärliteratur angeht: da könnten wir uns die Beispiele um die Ohren hauen und kämen doch nur drauf, daß es halt so’ne und so’ne gibt (gegeben hat und geben wird). Im Zweifel gilt da auch Ihre Maxime: lesen, lesen, lesen.

    Und ob man da, wo die „Willigen“ sind, immer am besten aufgehoben ist — ich weiß nicht. Nur: auch die Willigen wissen in der Regel sehr genau, was sie wollen wollen und was nicht. (Die Verdoppelung ist gewollt!)

    Nix für Ungut — und beste Grüße

  8. Kann sein, dass ich mich etwas missverständlich ausgedrückt habe, lieber JL. „Eine Theorie aus einer Lektüre“ entwickeln, heißt einfach nur: einen Text als Deutungsmodell zu strukturieren. Das ist, wenn Sie so wollen, eine singuläre praktische Theorie, die einfach nur sagt: Dies oder das steckt in einem Text. In seinem Inhalt, seiner Dramaturgie, seiner Struktur. Natürlich bin ich nicht so vermessen zu behaupten, meine kleine Theorie sei gleichzeitig eine völlig neue. Es gibt immer Verknüpfungspunkte zu anderen. Bei meiner Paprottastudie war es insofern ganz witzig, als die Autorin selbst Paul Watzlawick sehr schätzt. Da liegt es nahe, sich etwa seine „Kommunikationstheorie“ näher zu betrachten. Und das hat mir die Argumentation tatsächlich erleichtert. Ohne dass ich jetzt die vier Krimis „unter kommunikationstheoretischen Aspekten“ gedeutet hätte – hoffe ich jedenfalls. Es ist eher so, dass ich nachgewiesen habe, dass Astrid Paprotta beim Schreiben ihrer Romane wohl ir-gend-wie von Watzlawick beeinflusst war. Was kaum überraschen dürfte.
    Gut, ontologisch verfahren wir doch alle immer einwenig. Ich glaube nicht (siehe „singuläre Theorie“), dass sich Text und Interpret so haarscharf trennen lassen. Ich versuche halt, Texte zum Reden zum bringen, wie auch immer. Aber dass ich, wenn der Text endlich spricht, manches so höre, wie ich es hören will –
    Ja, das mit den „Willigen“ ist schon okay so, wie Sie es sagen. Der Idealwillige weiß halt nicht, was er wollen will, er ist einfach nur neugierig und sagt nach der Lektüre: He, das hätte ich jetzt nicht gedacht. Es überzeugt ihn. Oder nicht. Dann ist er der theoretisch Idealwillige, der mich praktisch enttäuscht…

    bye
    dpr

  9. Wobei du dir, wie ich dich kenne, sicherlich bewusst bist, dass es auch problematisch ist, wenn du weißt, wovon die Autorin beeinflusst ist. Dass du dann mit diesem Hintergrund die Bücher liest. So kriegst du dann auch immer raus, was sie/du dir vorgegeben hat/hast.

    Ich hoffe, es erscheint dann mal bald, bin sehr gespannt.

  10. Ganz klar, lieber Georg. Aber ich habs halt nicht gewusst, als ich die Bücher gelesen habe. Erst später erfahren. Wobei es ja auch so ist: Wenn ich jetzt behaupten würde, Astrid Paprotta habe ihre Krimis als Bebilderungen der „Kommunikationstheorie“ verfasst, bekäme ich von der Autorin einiges zu hören. Denn so wars halt nicht. Es ist aber naheliegend, dass A.P.s Verständnis von Wirklichkeit und ihrer Konstitutierung durch Kommunikation mit dem Watzlawicks in wesentlichen Punkten übereinstimmt. Das ist dann für die Exegese hilfreich. Mehr aber auch nicht.

    bye
    dpr

  11. Ließe sich denn aus ihren Romanen die darunterliegende Kommunikationstheorie entnehmen? Ich meine auch nicht, dass sie sie bebildert hat. Aber merkt man, dass sie dadurch beeinflusst wurde?

  12. Schwierige Frage, Georg. Kann ich nur aus eigener Erfahrung beantworten: Als bis dato Nicht-Watzlawick-Kenner habe ich bei der Lektüre festgestellt, dass mir seine Theorie nicht nur einleuchtet, sondern in ihren Grundzügen eigentlich auch schon immer meiner eigenen Welt-Anschauung entsprochen hat. Das kann natürlich bei Astrid ähnlich gewesen sein. Du liest etwas und sagst dir: Der hat formuliert, was ich bisher mehr oder weniger diffus im Kopf hatte. Aber um das mal zu betonen: In den vier Krimis geht es nicht nur um Wirklichkeit und Kommunikation. Vor allem aber: Als fiktionale Texte formulieren sie natürlich überhaupt keine Theorien. Sie sind also weitaus verklüfteter als es ein theoretischer Text in der Regel ist. Das ist mit ein Grund, warum ich z.B. glaube, dass man aus Romanen mehr über Psychologie erfahren kann als aus Fachaufsätzen u.ä. Zu Watzlawick fällt mir jetzt ganz ulkigerweise noch Arno Schmidt ein. Du weißt schon: Romane als Wirklichkeit, der Rest als nightmare… Uh, aufhören. Wenn du subskribierst, machen wa vielleicht ma’n Buch draus. Nach 2020…

    bye
    dpr

  13. Ich subskribiere.

    Ist mir auch klar, dass Romane keine Theorien formulieren und dass sie sie manchmal lebendiger auf den Punkt bringen. Vergiss aber bloß nicht, dass manche theoretischen Texte noch viel verklüfteter (schönes Wort, das merke ich mir) sind als Romane.

  14. Ja, siehst du, das soll tatsächlich nicht ZERklüftet heißen…und eigentlich auch nur, dass einfaches Beschreiben etwa Theorien transzendiert, sozusagen. Oder die Welt und die Erklärungen von Welt kunstvoll zusammenfaltet. Wie es die Japaner mit Papier machen. Origami, heißt das wohl. Theoretische Texte, die das können, sind aber sehr, sehr selten. Romane, die das können, vielleicht noch seltener, wenn ich so drüber nachdenke…

    bye
    dpr

  15. „dass man aus Romanen mehr über Psychologie erfahren kann als aus Fachaufsätzen“ — das, lieber dpr, scheint mir daran liegen zu wollen, daß das, was wir so unter Psychologie verstehen (also unser ‚Begriff von Psychologie‘, eh aus Romanen stammt.

    Ich mach mich wieder an’s Kochen (s. Pseudonym). Und grüße.

  16. Diavoletto? Na, dann sparen Sie mal nicht mit dem Chili. Und ja, genau, das triffts schon. Nachdem ich mich von der Psychologie ziemlich gelangweilt zurückgezogen habe, beziehe ich meine diesbezüglichen Weisheiten aus den „Großn=Romanen“. Das können Sie ruhig ab sofort auf die Minusseite Ihres imaginären dpr-Dossiers schreiben!

    bye
    dpr

  17. Lieber dpr,

    in der Tat, das Editoriell von Ingo Piess ist schlichtweg kaum ertäglich und von schlichter ahistorischer Einfalt.

    Da beruhigt mich dann der Hinweis am Ende: „Dieser Essay entstand im Rahmen der Literarischen Übung »Kritische Genres «,die von der Redaktion der Kritischen Ausgabe zusammen
    mit Dr. Ursula Geitner im Sommersemester 2005 am Germanistischen Institut der Universität Bonn angeboten wurde“.

    Na also, Studentenarbeit ! Dafür wirkt der „Versuch“ doch dann wieder gut gemacht.

    Beste Grüße

    bernd

  18. Naja, ich weiß nicht, lieber Bernd. Studentenarbeit, schön. Aber was sucht die dann in einer Zeitschrift „Kritische Ausgabe“? Und zweitens: Auch Studentenarbeiten sollten Minimalkriterien erfüllen. Erste und wichtigste: Wenn ich von einer Sache ums Verrecken keine Ahnung habe, lasse ich entweder die Finger davon oder mache mich kundig. Die Arbeit scheint ja eine Art Highlight der „Literarischen Übung“ gewesen zu sein, da möchte ich die anderen gar nicht erst lesen.

    bye
    dpr

  19. Doch, doch lieber dpr.

    Wie lautet es in der Selbstbeschreibung der „Kritischen Ausgabe“ ?

    „Die Kritische Ausgabe (K.A.) ist eine literaturkritische Zeitschrift, die seit 1997 am Germanistischen Seminar der Universität Bonn erscheint und 2004 durch ein Online-Magazin ergänzt wurde. Sie wird betreut von einer überwiegend studentischen Redaktion und richtet sich an eine Leserschaft, die sich für historische und theoretische Hintergründe von Literaturproduktion und -rezeption interessiert.“

    (meine Hervorhebung)

    Also es richte sich an Leser, die sich die historische Hintergründe interessieren. Jau, genauso liest sich das. Da steht die Gewaltfreiheit Fontanes als lobendes Beispiel neben den Exzessen E. George [was würde der gute Ingo Piess wohl zu den sinnlosen und primitiven Gewaltausbrüchen bei Ellroy oder Pelecanos sagen], als wenn es für das eine wie das andere keine historischen Gründe gäbe.

    Beste Grüße

    PS bei „Gut gemacht“ liegt die Betonung auf dem zweiten Word. Erstaunlich nur, dass so etwas bei einem Seminar „Kritische Genres“ [Wasn das ?] durch- und nicht abgewunken wird.

  20. Hallo liebe KrimiLeser!
    Ja, ich bin der Verfasser von „Der Krimi. Ein herrlich niederes Bedürfnis“!
    Und ja, es ist schon lange her, dass ich diesen Text schrieb, die Veröffentlichung zieht sich ja immer so hin, und ja, ich werde dem Thema alles andere als gerecht.
    Mittlerweile denke ich anders darüber. Etwas. Mit keinem Wort die Literarizität erwähnt, ist eine Schande, das gebe ich zu.
    Man darf aber nicht vergessen, dass mein Aufsatz nur ein Essay ist, ein Versuch, allerhöchstens halbwissenschaftlich.
    Natürlich wollte ich auch provozieren, und dabei geht dann kritische Weitsicht oft flöten…
    Aber diesen kleinen Aufsatz, von einem in der Tat untersemstrigen Stundenten im Rahmen einer Lehrveranstaltung geschrieben, als Spiegel der Germanistik schlechthin darzustellen, erscheint mir recht hybrid.
    Er bietet nur Ansätze, etwas, woran man sich orientieren kann, sei es, indem man sich dran hält, sei es, indem man sich von abstößt.

    ich lese übrigens keine Krimis. Weil ich damit gar nicht erst anfangen will, sonst könnte ich nicht mehr aufhören.

    seid bestens gegrüßt!
    Ingo

  21. oh, stellenweise wart ihr schon soweit..

    in Anbetracht der Strenge und Empörung, die hier herrscht, hat das mit der Provokation wohl geklappt..

    ich hab den Fehler gemacht, einen Rundumschlag zu versuchen. Dem Thema Krimi auf sechs Seiten gerecht zu weden, ist eh unmöglich..

    ich konnte mir auch nicht erklären, warum gerade mein Essay es in die Ausgabe schafft, und dann noch ganz am Anfang, aber es hat nix damit zu, dass mein Text als Aushängeschild dieser lit. Übung gelte.

    Die Redaktion sollte man sich nicht zu einfältig denken.
    ich schätze diese Provokationskiste war ausschlaggebend, der Text bietet nämlich tatsächlich Anlass, sein Gemüt zu errregen und „Nein, So nicht!“ zu brüllen 😉

    Grüße
    Ingo

  22. Die Provokation, lieber Ingo Piess, wird hiererorts sehr geschätzt. Sie sollte allerdings fachlich fundiert daherkommen. Was sie, das gestehen Sie erfreulicherweise selbst zu, in Ihrem Fall nicht tut; wie auch. Sie lesen ja keine Krimis, Sie schreiben nur drüber. Das ist nicht provokativ, nur ärgerlich.
    Immerhin sind Sie ein scheinbar einsichtiger Mensch, und wenn ich dran denke, was unsereiner so an Proseminarmist verzapft hat…
    Was nun die Redaktion betrifft: Provokation, okay. Aber geballtes Nichtwissen, geballte Ignoranz? Dass sich die Zeitschrift als Versuchsfeld für angehende Literaturwissenschaftler begreift, sollte eigentlich nicht bedeuten, einfach mal so drauf los zu „provozieren“. Sondern am Kleinen das literaturwissenschaftliche Handwerk zu erlernen.
    Na, ich hoffe, Sie sind inzwischen weiter als damals – ich bin sogar überzeugt davon – und lesen Sie ruhig Krimis, das dürfen neuerdings auch Literaturwissenschaftler. Nur: Sagen Sies halt in Fachkreisen nicht weiter, man weiß ja nie…

    bye
    dpr

  23. Hallo zusammen!

    Freilich hab ich schon Krimis gelesen, so ist das ja auch wiederum nich..

    ich muss mein damaliges Ich etwas in Schutz nehmen:
    es als geballte Ignoranz/ geballtes Nichtwissen abzuurteilen, greift für mich, auch heute noch, zu kurz.
    Gewiss, viel Inhaltliches ist absurd und viele Formulierungen vor allem sind gräßlich.

    Dennoch finde ich mich stellenweise ganz gut 😉
    ich bewege mich eben nur auf der inhaltlichen und wirkungsästhetischen Seite des Krimis, und in diesem Rahmen habe ich ab und an, wie ich meine, zutreffende und gültige Aussagen gemacht.

    die einführende Kritik des guten dpr’s hingegen finde ich stellenweise bodenlos und unfair.
    Ein Ernst Bloch z.B. kann durchaus heute noch Gültigkeit besitzen. Das klingt fast nach ‚je aktueller, desto wahrer‘ (?!?), aber das wäre eine ebeso unfaire Kritik..
    .
    .
    .
    nun ja, Sie merken, ich bleibe unkonkret, weil es mich auch nicht mehr so bewegt, als das ich verbissen kämpfen müßte.
    Lesen Sie Krimis, ich werde mich auch nochmal daran begeben und gewiss meine Freude daran haben.

    beste Grüße
    Ingo

  24. Na, na, mein Lieber, jetzt treiben Sie hier aber mal keinen Keil zwischen den ollen Bloch und mich! Ich hab ja nix gegen seine steinalten Mutmaßungen, sie aber völlig ahistorischerweise als Jetztzustand auszugeben, DAS ist nun „bodenlos und unfair“. Also keine Blochkritik, wohl aber Piess-Aggregatzustand Prosemester-Kritik.
    Jo, bodenlos und unfair. Ich male mir gerade genüsslich aus, wie Sie – auf dem fachlichen Stand Ihres Krimiartikels – einen Aufsatz zu, sagen wir: C.M. Wieland rauslassen. „…leider nutzte Wieland die Technik des Inneren Monologs nur höchst unzureichend…der durchschnittliche Wieland-Leser ist 45, Studienrat und leidet an Blasenschwäche…“ – Hei, was glauben Sie eigentlich, würde man DANN mit Ihnen machen? Dann würden Sie sich nach dem guten, alten, milden dpr zurücksehnen, glauben Sie mir.
    Aber inzwischen sind Sie ja hoffentlich Piess-Aggregatzustand Hauptsemester. Lernen Sie schön weiter so, lesen Sie, wenn es sich schon nicht vermeiden lässt, auch mal Krimis und achten Sie mir die Leistungen des Genres. Dafür verspreche ich Ihnen auch, nichts über Wieland zu schreiben (uh, ich glaub, ich hab schon mal was…).

    bye
    dpr

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