Die Erwartungen sind hoch bei Peter Temples „Kalter August“. Als „bestes Buch über Australien“ ausgezeichnet, Spitzenreiter der aktuellen KrimiWelt-Bestenliste: Dutzendware sollte das also kaum sein. Oder doch?
Die Ausgangssituation: Nach einem traumatischen Berufserlebnis (selbst schwer verwundet, ein unerfahrener Kollege tot) hat sich Joe Cashin aus der großstädtischen Mordkommission aufs Land zurückgezogen, in seine Heimatstadt, wo er jetzt eine Polizeistation leitet. In ihm wüten also „die Dämonen der Vergangenheit“, was seit ungefähr 30 Jahren kein wirklich origineller Einstieg in einen Kriminalroman ist.
Der Fall: Charles Bourgoyne, reicher Mann und Philantrop, wird in seinem Haus ermordet. Drei junge Aborigines geraten in Verdacht, zwei von ihnen sterben im Kugelhagel der Polizei, der dritte begeht kurz darauf Selbstmord. Cashin ahnt, dass der Fall damit nicht ad acta gelegt werden kann und ermittelt, sehr zum Missfallen der Kollegen, weiter. Dass sich die Dinge tatsächlich anders darstellen – man braucht es uns versierten Krimilesern nicht eigens zu erläutern. Cashin gerät im Verlauf seiner Ermittlungen auf eine andere Spur, die tief in Bourgoynes Leben und Familie führt.
Das Personal: Den innerlich zerrissenen, sehr labilen Cashin erwähnten wir ja schon. Ein Stereotyp. Das trifft leider auch auf den Rest der Handelnden zu: eine Kollegin mit nicht weniger traumatischer Vergangenheit, ein durch und durch korrupter, rassistischer Polizist aus der Nachbarstadt, überhaupt: eine ganze Reihe rassistischer Australier, ein Aborigines-Politiker, Onkel eines der erschossenen Jungen, Bourgoynes Stieftochter, geschäftsmäßig kalt, Cashins Jugendliebe, jetzt Rechtsanwältin, bald mit Cashin im Bett – nichts als Standardfiguren, wie sie jeder x-beliebige Krimi durch die Story paradieren lässt. Wirklich interessieren tun sie einen nicht, dafür sind sie von Anfang an mit zu grobem Stift gezeichnet. Sie erfüllen eine Funktion, stehen für irgend etwas – nur nicht für sich selbst.
Einer wenigstens fällt aus dem Rahmen: der Landstreicher, den Cashin bei sich aufgenommen hat und der sich daran macht, den zerfallenen Familiensitz des Polizisten wieder aufzubauen. Er bleibt mysteriös und erst zum Schluss erfahren wir ein Detail aus seinem Leben, das uns in die Psyche dieses Mannes blicken lässt.
Peter Temples Stil ist streckenweise lakonisch-knapp, durchaus atmosphärisch. Nur, was macht er daraus? Der Aborigines-Strang baumelt irgendwann im Nichts. Auch Australier können Rassisten sein. Hätten wir auch ohne Temple gewusst. Eine relativ früh wie beiläufig eingestreute Information lässt uns aufhorchen. Die Weiche zu einer weiteren Stereotypenwelt, und der erfahrene Leser hofft: Nein, Peter Temple, das wirst du uns doch nicht antun, mit dieser Nummer arbeiten sie seit 100 Jahren und so langsam wird das langweilig.
Aber er tut es uns an, aus diesem Detail wächst ein neuer Strang, Cashin ist endlich auf der richtigen Spur (und wir kommen, gelangweilt, immer mehr davon ab). Von jetzt an geht alles ziemlich schnell und polizeimäßig, werden die richtigen Schlüsse gezogen, obwohl es uns schwerfällt, sie immer nachzuvollziehen, gibt es die üblichen Komplikationen und das erwartete dramatische Finale, das aber so dramatisch nicht ist, sondern eher: sehr lustlos inszeniert. Es muss irgendwie zusammenpassen, schlüssig sein – ist es nur leider nicht. Mord nach Muster.
Also: Man könnte „Kalter August“ als Krimidutzendware abhaken. Aus Klischees gebaute Personen und Handlung, fein säuberliche Trennung von Gut und Böse, etwas wohlfeile Gesellschaftskritik, schließlich der Zwang, den Fall genregerecht krachend zu Ende zu bringen. Bliebe tatsächlich nur dieser einzige Pluspunkt, der Landstreicher, an dem Temple wenigstens andeutet, was einen guten von einem allenfalls mittelmäßigen Kriminalroman unterscheidet: die Möglichkeit, uns selbst ein Bild von etwas oder jemandem machen zu können. Das ist alles? Das ist alles.
Peter Temple: Kalter August.
C. Bertelsmann 2007. 444 Seiten. 19,95 €
(Original: „The Broken Shore“, 2005, deutsch von Hans M. Herzog)
Hab ich dir doch gleich gesagt. Hätteste dir 444 Seiten Lektüre schön sparen können. Und entweder selbst einen Krimi schreiben können oder noch ein Gartentor streichen oder auswandern oder irgendwas Sinnvolles tun.
Dafür sag ich jetzt mal nichts über die komische Jury, die so ein Buch hochlobt. Werde ich nie verstehen. Aber das hatten wir ja schon ein paar Mal.
Sparen? Durchaus nicht, bester Georg, der du ja, wie man so hört, bald in die Mongolei umziehen wirst (oder Mond – natürlich nur erdabgewandte Seite – oder Mars?). Als Beobachter der Detektive obliegt es mir auch, deren Irrwege getreulich zu begleiten und diese zu benennen. Machen wir vielleicht morgen mal grundsätzlich, ausgehend von einigen Leseerfahrungen der letzten Wochen. Ja, „die Jury“. Warten wir die neue Liste ab, kommt ja wohl die Tage…
bye
dpr
Gute Krimi-Kritiker da, in der Mongolei! Achherrje, jetzt hab ich mich verschrieben: im Saargebiet! Wo ich doch hinziehe.
Was ich auch interessant finde, ist, dass man das eigentlich schon gleich am Anfang merkt. Nicht nur an der von mir kritisierten Sprache, die nicht durch die Übersetzung vermurkst wurde (das merkt man, dass es schon im Original so holprig ist). Sondern auch insgesamt: keine Atmosphäre, keine Personen, keine Lebendigkeit. Auch das merkt man sehr schnell.
Ich habe dann ja nach etwa 50 Seiten abgebrochen, weil mir meine Lebenszeit zu schade für so einen Schmarren ist. Wie ich jetzt weiß, wieder einmal zu Recht.
Die Sprache fängt sich und wird, wie ich es schon erwähnt habe, durchaus lakonisch-knapp, wenn auch nie wirklich „flüssig“, was ich aber von Sprache auch gar nicht unbedingt erwarte, höchstens von hochprozentigen Getränken. Du hast Recht: Der vorgestanzte Protagonist behindert die Geschichte beträchtlich. Aber letztlich verfummfeit wird sie durch die Handlungsklischees, die gar nicht anders als durch Personenklischees transportiert werden können. Aber der Landstreicher ist gelungen. Einfach nur vorstellen, am Ende dann der entscheidende Hinweis, warum er ist wie er ist. Hätte Temple das mal immer so gehalten…
bye
dpr
Warum denn? Oder sag mir einfach, auf welchen Seite das steht. (Am Anfang fand ich ihn auch noch etwas klischeehaft.)
S. 78, Zeile 21 ff. Da läuten bei mir immer sämtliche Alarmglocken…leider aus begründetem Anlass diesmal…
bye
dpr
Au wei! Ja, da habe ich auch gestutzt…
Das klingt fast so, als wäre mein lieber Freund Harlan Coben nach Australien ausgewandert. Gut, er hat’s nicht so mit dem Rassismus-Aspekt, bei ihm ist die Polizei global beschränkt. Aber es muss da einen gemeinsamen Figurenbaukasten geben, denn auch Coben schafft interessante Nebenfiguren, die er zugunsten überkonstruierter Flachpfeifen in den tragenden Rollen, bedenkenlos opfert. Da lobe ich mir doch Romane mit Bärenspucke, die findet man in kaum einem Autorenhaushalt;-)
Verehrter Jochen,
wie Sie wissen, besitze ich das alleinige Nutzungsrecht am Wort „Bärenspucke“. Ebenso sind „Guido Westerwelle“, „dieses Buch hat einen flüssigen Schreibstil“ und „dünnpfiffige Protagonisten“ als Formulierungen Exklusiveigentum von dpr. Ich bitte Sie, dies künftig zu berücksichtigen, da ich mich ansonsten gezwungen sehe, gerichtlich gegen Sie vorzugehen.
bye
dpr
Lieber dpr,
was das Copyright für „Bärenspucke“ angeht, sollten sie sich vielleicht erst einmal mit Herrn Crumley und seinem Übersetzer einigen. „Flüssigen Schreibstil“, „dünnpfiffige Protagonisten“ und „Guido Westerwelle“ in einem Schreibzug zu nennen, halte ich erstens für degoutant und zweitens für eine Tautologie. Ist deshalb eher geschmacklich als rechtlich relevant.
Lernen Sie das gerade in der Berufsschule, Jochen? Widerworte in Richtung Vorgesetzte schleudern? Wir sehen uns am Montag im Büro…die Klos müssten mal wieder geputzt werden…
bye
dpr
Wen es interessiert:
http://thecwa.co.uk/daggers/2007/index.html
beste Grüße
bernd