Die „Tannöd“-Klone schmoren schon in den kreativen Röhren. Neuer Deutscher Heimatkrimi: nachdenklich, rückwärtsgewandt, dünnleibig. Wer wohl wird der / die Erste auf der Welle sein? Rainer Gross, das steht fest, ist es nicht. Dem ist mit „Grafeneck“ ein sehr eigenständiges, sehr vielversprechendes Debüt gelungen.
Dabei musste mit dem Schlimmsten gerechnet werden. „Ein melancholischer Krimi, ein dunkler Heimatroman“, warnt der Klappentext. Ort des Geschehens: ein Dorf auf der Schwäbischen Alb. Wir lernen den Protagonisten kennen, Hermann Mauser mit Namen, Schullehrer, knapp über 60, der Dorfkauz, fährt gerne Motorrad und kriecht in dunkle Höhlen.
In einer solchen findet er, es sind Ferien, eine mumifizierte Leiche. Wenigstens seit 50 Jahren liegt die dort, Schusswunde. Mauser weiß sofort: Das ist meine Leiche, ich muss aufklären, was passiert ist. Warum Mauser so handelt, wird rasch klar. Auch seine Vergangenheit steckt voller Leichen, begrabenen und noch nicht begrabenen. Die Schwester, „geistig zurückgeblieben“, wurde in der Euthanasieanstalt Grafeneck getötet, die Mutter hat sich darob erhängt, der Vater, Dorfpolizist, war Handlanger und Gegner der Nazis zugleich, so war es halt damals.
Die Suche nach der Identität des Toten wird zu einer Suche nach dem Vater, den Mauser zunächst instinktiv, dann faktisch untermauert in den Fall verwickelt sieht. Auch das kennt man wie die „neuen Heimatromane“ aus den Siebzigern, selten gelungene, meist arg peinliche Sprach- und Hirnverrenkungen. Dass es bei Gross gelingt, hat einen simplen Grund: Der Mann kann schreiben. So einfach kann es manchmal sein.
„Mauser packt das Suchgerät ein, draußen geht die Sonne unter. Die Dämmerung ist noch nicht hereingebrochen, die Amseln singen noch nicht. Er fährt von hinten heran, auf einem gesperrten Waldweg, und stellt das Moped ab. Der Wald ist licht, er findet den Weg und kommt gerade über der Höhle heraus.“
So, lakonisch knapp und dennoch präzise, dicht verarbeitet, kommt Gross’ Prosa daher und lässt uns doch genügend Platz für eigene Bilder. Ein Musterbeispiel von gelungenem perspektivischen Erzählen, das die Innenwelt des Hermann Mauser in ihrer ganzen Verwirrtheit und doch Konsequenz zeigt. Was bei einem mäßig begabten Autor wie das Aneinanderreihen mehr oder weniger banaler Einfälle enden würde, wird bei Gross zu einem logischen Gedanken- und Handlungsteppich verwoben.
Und, ganz wichtig: Die Kriminalgeschichte kommt nicht zu kurz, ist nicht Vorwand für das Ausbreiten höheren Gedankengutes. Sehr schlüssig das alles. Wird wohl leider nicht Nummer 1 beim SPIEGEL, aber wenn Pendragon davon etwa 10% vom „Tannöd“-Quantum absetzen könnte, wärs doch auch schon ein Erfolg.
Rainer Gross: Grafeneck.
Pendragon 2007. 191 Seiten. 9,90 €
„Tannöd-Klone“: das Wort des Tages, wie man bei Ihrem Kollegen Menke erfahren kann. Grüße!
So ist es, lieber JL. Ich freue mich, dass der Kollege das Thema Plagiatsvorwurf aufgegriffen hat, mir selbst ist es schlicht zuwider, zumal ich die angebliche Vorlage nicht kenne. Also: Informiert euch beim Superblog-nominierten Ludger! →Hier!
bye
dpr
Tannöd hin oder her, lieber dpr, ich seh‘ hier eher die komischen Aspekte des sich lohnenden Verbrechens. Aber so isses halt: in den Augen des Betrachters.
Den komischen Aspekt sehe ich durchaus auch, lieber JL. Ich sah ihn schon, als plötzlich, ein Dreivierteljahr nach Erscheinen des Bändchens, das sog. anspruchsvolle Feuilleton und die üblichen Fernsehtanten und -onkel drauf aufmerksam wurden. Das hat was.
bye
dpr