Die Lektüre für den Sommer trifft so allmählich hier ein, schweigen wir jetzt von den Urlaubsschmökern, in denen uns deutsche Krimischaffende aus Italien, Spanien oder Griechenland berichten, betrachten wir die – vielleicht – essentiellen Werke. Einige wenigstens.
Ob essentiell oder nicht: Andrea Maria Schenkels „Tannöd“-Nachfolger ist ein mit Spannung erwartetes Buch. In „Kalteis“ (Edition Nautilus, 152 Seiten, 12,90 €) bleibt sich die Autorin sprachlich und kompositorisch treu, was nun wenig überrascht. Wieder wird ein authentischer Fall (München, 30er Jahre, Mädchenmorde) aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet, mischen sich Aktenvermerke und Zeugenaussagen, fiktiv verknüpft über die Geschichte eines jungen Mädchens, das vom Land in die Großstadt zieht, der Werdegang eines idealen Opfers.
Andrea Maria Schenkel wird es schwer haben, da braucht man kein Prophet zu sein. Ist „Kalteis“ zu nah an „Tannöd“? Oder zu weit davon entfernt? Wie auch immer: Die einen wird’s garantiert enttäuschen, die andern freuen. Der Überraschungseffekt des Erstlings, der Bonus des Debüts überhaupt, das wird bei „Kalteis“ keine Rolle mehr spielen. Die Kritiker studierens schon, die Normalleser seien auf den August vertröstet, wenn das Büchlein auf den Markt kommen wird – etwas früher als ursprünglich geplant, was natürlich auch marktstrategische Gründe hat, noch ist „Tannöd“ in aller Munde, da wird der Griff zu „Kalteis“ vielleicht zum Reflex.
Mit weit weniger medialer Aufmerksamkeit darf wohl Roland Voggenauers „Blut und Wasser“ rechnen, ein Debüt aus dem Pendragonverlag (159 Seiten, 9,90 €), im Untertitel als „Chiemgau-Krimi“ tituliert, was die Sache in die Nähe handelsüblicher „Regionalkrimis“ rückt. Wohl zu Unrecht, wie denn schon Rainer Gross mit seinem ebenfalls bei Pendragon erschienenen „Grafeneck“ hier und da das Unrecht widerfuhr, in die „Tannöd“-Kiste gesteckt zu werden. Ein erstes Anlesen verspricht Interessantes, ein Mordfall aus dem Jahr 1869 wird noch einmal „aufgerollt“.
Ganz aktuell ist Hinrich Matthiesens Thema in „Auch du wirst weinen, Tupamara“ (Quermarkenverlag, 251 Seiten, 16,90 €), wenn mir auch der Titel so gar nicht gefällt, aber bitte, das ist Geschmackssache. Kathrin Schwerdtfeger, Terroristin, für den Mord an zwei amerikanischen GIs verantwortlich, wird nach zwanzig Jahren aus der Haft entlassen. Sie bereut nichts. Was nun den Sohn eines der Getöteten auf den Plan ruft, der Rache will.
Ich habe das Buch noch nicht angelesen, bin aber gespannt, wie Matthiesen es hinkriegt, das aus der bloßen Inhaltsbeschreibung glotzende Stereotypenmuster zu vermeiden. Bald weiß ich mehr – und die werte Leserschaft auch.
Mit, ich gestehe es, einer winzigen Träne im Augenwinkel habe ich gestern Bruno Morchios „Kalter Wind in Genua“ (Unionsverlag, 316 Seiten, 19,90 €) ausgepackt. Eine der letzten Originalveröffentlichungen der metro-Reihe unter der Ägide des geschätzten Herausgebers Thomas Wörtche, wie es weitergeht, das wissen nur die Schweizer Götter des Unionsverlags. Morchios Roman, schreibt Wörtche, sei „sozusagen das Genueser Gegenstück zu Izzos Marseille und Vásquez Montalbáns Barcelona“. Und da man dem Burschen gemeinhin Glauben schenken kann, freuen wir uns schon auf die Lektüre, vielleicht verschwindet ja dann das Wehmutstränchen oder es schwillt zum Strom, weil uns der Gedanke an die metro-Zukunft noch trübsinniger werden lässt.
dpr