So wird es kommen: Die einen spekulieren, ob Horst Eckerts „Königsallee“ eine Reaktion auf das absonderliche Benehmen des Düsseldorfer Oberbürgermeisters sei, der den Autor nicht in städtischen Gebäuden hat lesen lassen. Die anderen diskutieren über die im Text ausgebreitete Korruption und ihre Entsprechung im wirklichen Leben. Und eine dritte Gruppe mokiert sich über das desolate Bild der Polizei, wie es der Roman zeichnet. Alles in Ordnung, schön & gut.
Man kann „Königsallee“ so lesen, unter einem Leitmotiv gewissermaßen, man kann das Buch auch als „Polizeiroman“ goutieren, das ist solider Eckert-Stoff, das kann er halt, da geht es ab, da wird nicht groß herumphilosophiert, da wird gezeigt, wo der Hammer hängt. Auch in Ordnung. Interessanter jedoch die Erzählstruktur und was sie letztenendes vollbringt.
„Königsallee“ ist ein Kriminalroman von enormer Handlungsdichte, der Plot eine vielköpfige Hydra. Schön; das allein ist keine Garantie für Güte. Nichts fällt in diesem Genre leichter als die Generierung von Handlungsschwangerschaften, deren Früchte die Welt mit allerlei belanglosen Aktivitäten überziehen.
Die äußere Gestalt des Romans manifestiert sich in drei ineinandergreifenden Erzählsträngen. Der Oberbürgermeister von Düsseldorf kooperiert, um ein Prestigebauprojekt zu realisieren, mit der transnistrischen Mafia. Ein Gemälde von Max Beckmann, vor Jahren gestohlen, taucht nach einer dubiosen Transaktion wieder auf. Ein Kleindealer und Polizeiinformant wird erschossen. Innerhalb dieser Geschichten wuchern weitere Geschichten. Die von Simone, der persönlichen Referentin des Bürgermeisters etwa, ehemalige Edelprostituierte, jetzt ehrgeizig, bereit, über Leichen zu gehen. Oder die von Lena, die eigentlich Henrike heißt und die Tochter des „Richter Gnadenlos“ getauften Juristen Andermatt ist, der als Kandidat für einen Ministerposten gehandelt wird. Oder die Freundin des getöteten Kleindealers, eine zunächst nebensächliche Geschichte, die zum Ende hin größere Bedeutung gewinnt. Ganz zu schweigen von den Ermittlern. Gleich vier haben in diesem Roman ihre eigenen, sehr verqueren Geschichten.
Sie hängen alle, wie erwähnt, zusammen, aber nicht im Sinne eines Konstrukts, das uns schließlich wie ein sauber entwickeltes Knäuel als der Ariadnefaden präsentiert wird, mit dessen Hilfe dem Labyrinth der Wirklichkeit zu entkommen wäre. Kaum etwas ist so, wie es zu sein scheint, die einzelnen Stränge fügen sich nicht unseren Erwartungen, von Gerechtigkeit kann die Rede nicht sein, von „Abgeschlossenheit“ noch weniger.
Was bei jedem dieser Handlungsfäden auffällt, ist die Leichtigkeit, ja, Selbstverständlichkeit, mit der Täter und Opfern und Opfer zu Tätern werden. Das hat nichts mit der alten Masche zu tun, Täter „menschlich“ darzustellen. Sondern ist in seiner Summe der Kitt, der diese Welt zusammenhält. Eine morsche, eine instabile Welt, die aber am Ende eben doch in ihrem alltäglichen Zynismus funktioniert.
Der Einwand, einige der Personen in „Königsallee“ seien ein wenig holzschnittartig geraten (der Oberbürgermeister vor allem), geht ins Leere. Der Roman funktioniert wie eine Abstraktion, das Personal wird, je „tiefer“ man auf der sozialen Leiter nach unten steigt, umso fassbarer, nach oben hin ist es die Karikatur der blanken Macht. Auch das entspricht der Wirklichkeit, deren Schaltzentralen anonym bleiben, austauschbar. Man muss es überhaupt sagen: Eckert ist hier ein Stückchen „noir“ gelungen, das weit über den Anforderungskatalog herkömmlicher Polizeikrimis hinausreicht. Ein Gesellschaftsroman im besten Sinne, ohne Illusionen, ohne Beschönigungen.
Horst Eckert: Königsallee.
Grafit 2007. 411 Seiten. 18,90 €
Hi Dieter,
ich wusste, dass du in den Chor der Jubilierer einsteigst.
Axel
(der später den „Schweinekrieg“ online stellt, ehe er sich weiter „Up in Honey’s Room“ vergnügt)
„das Personal wird, je „tiefer“ man auf der sozialen Leiter nach unten steigt, umso fassbarer, nach oben hin ist es die Karikatur der blanken Macht. “
Genau das aber ist die Crux gewisser Kriminalromane: daß „unten“ immer – irgendwie – man denkt es sich zumindest, weiß es als Schriftsteller doch gar nicht – menschlicher und „oben“ immer – irgendwie – undurchsichtig, kalt und böse ist. Damit mutiert der Kriminalroman bisweilen zu einer Art Selbstverständigungstext, und die überraschenden Geschichten werden nicht erzählt.
Berechtigter Einwand, lieber Ralf. Im,nun ja: „wirklichen Leben“ ist es halt so, dass „nach oben hin“ brutal medial gemenschelt wird, „nach unten hin“ aber alles in reichlich grau-anonymer Soße zerkocht wird. Die angesprochenen „gewissen Kriminalromane“ drehen das nun um, was nicht generell besser ist, aber als Ansatz statthaft. Die da oben sind grau, sind holzschnittartig, sind austauschbar, die da unten sind plötzlich Individuen. Entscheidend ist, wie man es macht, welche Absicht dahintersteckt. Eckert, das sei ihm bescheinigt, drückt hier nicht auf die Tränendrüse oder suhlt sich in Sozialromantik. Andererseits ist die Welt der Mächtigen schon auch „menschlich“, aber die Figuren sind tatsächlich austauschbar, stellvertretend für die Macht an sich.
Völlig richtig, dass es auch andersrum funktionieren kann. Dahinter steckt auch immer eine Interpretation von Wirklichkeit, im Eckertschen Falle scheint mir diese große=ganze Struktur gelungen.
@Axel: Du wusstest, dass ich „Königsallee“ loben würde? Im Voraus? Da wusstest du mehr als ich. Aber so sind sie nun mal, die Pfälzer: Nicht nur immer alles besser wissen, sondern auch noch früher als man selber…
bye
dpr
Hab‘ vorher mit dem Medium in meinem Haus gesprochen.
@ Axel: Hast du nicht.