Gert Heidenreich: Im Dunkel der Zeit

Es gibt solche Sätze und solche. Die einen sind eben Sätze, die etwas mitteilen, nackt sind, so selbstverständlich wie Naturvölker nackt sind, die anderen sind Sätze, die man mit Bedeutung à la mode überzogen hat, Supermodels gewissermaßen, die über den Laufsteg der Literatur staksen und ihre Kultiviertheit vorführen. In Gert Heidenreichs „Im Dunkel der Zeit“ gibt es nicht viel von den nackten Sätzen, dafür umso mehr von denen, die den „tieferen Sinn“ spazieren tragen

„Es liegt an dieser verdammten Stadt hier“, sagte Swoboda. „Lachen Sie nicht, ich meine es ernst. Zungen an der Nelda ist ein fettes Chamäleon, das zwischen den Flüssen hockt, und wenn jemand wegwill, richtete es sich auf, dreht seine Augen in alle Richtungen, bis es ihn findet, schnellt seine Zunge in die Welt hinaus, klebt den Flüchtenden fest und verleibt ihn sich wieder ein.“

Sehr hübsch. Grammatisch bedenklich (wer findet’s?) aber, so steht zu befürchten, genau das, was hierzulande unter „literarisch“ verstanden wird. Swoboda, der Kommissar, ist auch so einer, eine literarische Figur, obgleich eigentlich Maler, bringt nur „dunkle Bilder“ zustande, und dass er überhaupt malt, ist schon überraschend, denn er lebt in dunklen Bildern, dieser Stadt Zungen irgendwo an der tschechischen Grenze, und in Zungen leben nur literarische Figuren, seit Menschengedenken und an Menschenstatt, aber jetzt schleicht der Tod genregerecht durch die Düsternis.

Einen der Jugendfreunde Swobodas hat es auf grausamste Art erwischt. Sind alle inzwischen um die 60, alle irgendwie vom Chamäleon Zungen mit der Zunge wieder eingefangen worden, auch der Mörder, so scheint es, der Mörder, der sich in Tagebucheinträgen outet, so dass man als Leser nicht lange über die Motivlage grübeln muss. Vor über vierzig Jahren haben Swoboda und der Ermordete ein Gedicht des Mörders nicht in der Schülerzeitung abdrucken wollen, das hat den Jungdichter derart niedergeschmettert, dass er sich nicht mehr davon erholen konnte und jetzt halt zuerst den einen und später den anderen, also Swoboda, killen muss. So etwas nennt man Krimi, und weil gerade Serienmörder hoch im Kurs stehen, wird fleißig seriengemordet, andere trifft es also auch noch, man fragt sich bloß warum, das heißt: nein, fragt man sich nicht, ist wurscht.

Denn es handelt sich hier unbezweifelbar um Literatur, nicht um Wirklichkeit, nicht um Logik. Die Lebensgefährtin des Ermordeten, beträchtlich jünger als dieser, wirft sich sogleich Swoboda ins Bett, steht auf und versucht einen Selbstmord, der aber nichts mit Swoboda zu tun hat, sondern mit irgend etwas anderem, das man aber auch nicht so genau erfährt, sie wird gerettet und wirft sich wieder Swoboda ins Bett, so hintergründig beliebig geht es halt zu in den verkleideten Sätzen.

Zungen, das ist natürlich nicht einfach eine Stadt. Zungen ist die Vergangenheit, Zungen ist die deutsche Enge, Zungen ist all das, worüber seit Jahrzehnten in diesem Land tief gegrübelt wird. Genau: Jetzt müssen wir die Nazigeschichte erwähnen. Zungen hat ein Geheimnis, ein düsteres Geheimnis, die Honoratioren, inzwischen allesamt weit über achtzig, sind darin verstrickt. Das ist nun nicht wirklich wichtig für den Kriminalfall, der sich von Mord zu Mord schleppt, aber soll es ja auch gar nicht. Es ist wichtig für die literarische Intention, es ist das schicke Tüchlein um den eigentlich sehr mageren Hals der Sätze, es ist eben das Gegenteil von „banal“, das Gegenteil von „nur Krimi“ – ein ernstes literarisches Thema eben.

Ach so, der Fall. Ist nichts weiter als ein sehr dröger Whodunnit. Drei, vier Figuren kommen als Täter in Frage, jeder von denen kanns gewesen sein, einer ist es schließlich, jeder andere hätte es auch getan. Aber, noch einmal: Darum geht es nicht. Es geht um das, was „hinter den Dingen“ haust, das Schwerphilosophische, das Zeitkritische, das Symbolhafte. Kurzum: das, was Sätze, die nichts weiter als Bedeutungsträger sind, zu gelehrter Trivialität macht. Belanglos wie das Serienmorden in Zungen an der Nelda.

Gert Heidenreich: Im Dunkel der Zeit. 
Nymphenburger 2007. 399 Seiten, 19,90 €

2 Gedanken zu „Gert Heidenreich: Im Dunkel der Zeit“

  1. Der Ausdruck ist mir nicht aufgefallen. Ansonsten fallen die Dämonen aus jeder Seite, klar. Sonst wärs ja nicht literarisch.

    bye
    dpr

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