Ich kann sie nicht länger ertragen. Sie trampeln auf meinen Nerven, sie zersetzen meinen Restverstand, sie stolzieren anachronistisch wie Dinosaurier durch die Moderne, sie erniedrigen den Kriminalroman zur Lektüre ewig im geistigen Kindergartenalter harrender Leser. Schafft sie endich ab! Bringt sie um die Ecke! Irgendwo ein Auftragsmörder, der diesen Job als Ehrenamt übernehmen will? Hauptsache, sie verschwinden. Die Ermittler.
Die Krise der Kriminalliteratur ist offenkundig. Oder wie der Kollege zu sagen pflegt: Die einen schreiben fürs Elysium, die anderen für den Mülleimer. That’s crime fiction today. Und woran liegt das? An der Faulheit, dem Unvermögen, dem Markt: schon richtig. Aber auch am Korsett, in das Krimiautoren unfehlbar schlüpfen, sobald sie die Muse geküsst hat, diese von ewigem Mundgeruch geplagte Schöne, die längst in die Jahre gekommen ist und ihre verführerischen Lippen dem Katalog der kosmetischen Chirurgie zu verdanken hat.
Dieses Korsett heißt: Es muss einen oder mehrere Ermittler geben, deren Aufgabe es ist zu ermitteln. Sie mögen dies nüchtern tun oder ständig besoffen, tief depressiv oder ironisch augenzwinkernd, bieder oder unkonventionell, im abgetragenen Tranchcoat oder im maßgeschneiderten cut, das ist völlig egal, ermitteln müssen sie.
Betrachten wir das mal historisch. Es gibt in der Geschichte der Kriminalliteratur ganze vier reine Ermittlertypen. Typ 1: Sherlock Holmes, das unfehlbare Genie. Typ 2: Miss Marple, die schrullige Alte. Typ 3: Philipp Marlowe, der zwischen Zynismus, Melancholie, Resignation und Mitleid hin und her gerissene Einzelgänger. Typ 4: das Ermittlerteam. Seit über 100 Jahren definiert sich Krimi aus den dramaturgischen Zwängen heraus, die das Ermitteln mit sich bringt. Zuerst wissen sie gar nichts, dann stochern sie im Nebel und schließlich lösen sie den Fall. Damit muss Schluss sein!
Vor allem im Sinne der Leserschaft. Es ist nicht mehr mitanzusehen, wie die Leser es hinnehmen, als unmündige Bürger von irgend welchen dahergelaufenen Ermittlern an die Hand genommen und durch die Story geführt zu werden. Das ist wirklich wie Kindergartenausflug. „Na, Kevin, guck mal, was ist denn das da?“ Kevin guckt. Das ist – „eine Tante, die mit einem Onkel kämpft!“ Der Ermittler lächelt barmherzig. „Nein, Kevin, das ist eine Tante, die gerade einen Onkel furchtbar lieb hat und in neun Monaten sind sie dann zu dritt!“ So etwa. Du bist der Depp, du wirst zum Mitdenken aufgefordert, aber du weißt gar nichts, der Ermittler weiß es immer besser.
Erkenntnisgewinn, okay, okay. Am Ende weiß auch Kevin, dass die Tante dem Onkel nicht das Kaugummi stehlen möchte, wenn sich ihre Lippen ineinander verhaken. Aber lernt man das nicht auch so? Durch blankes Zuschauen, durch MITDENKEN, durch eigenes Kombinieren, eigenes Schlüsseziehen? Natürlich. So lernt man das im wirklichen Leben, wenn man einmal die viele unnütze Zeit abzieht, die man in Bildungsanstalten verbringt. Warum aber nicht im Kriminalroman? Warum werden wir dort ständig bei der Hand genommen und durch die ewiggleichen Muster, die längst verrotteten Blaupausen geführt? Wie soll der Krimi eine Zukunft haben, wenn er es sich in der Vergangenheit eingerichtet hat?
Man wende bitte nicht ein, die Angst der Autoren vor dem Verzicht auf die ermittelnde Instanz sei „irgendwie ökonomisch“ bedingt. Nehmen Sie „Tannöd“! Wo gibt es da Ermittler? Na? Und das Ding hat sich inzwischen 250.000 mal verkauft!
Schön, „Tannöd“ ist nur insofern ein gutes Beispiel, weil auf Ermittler gepfiffen wird. Als Paradigma taugt es indes nicht, denn die Ermittler sind ja allgegenwärtig, sie befragen die Zeugen, die Verdächtigen. Ein paradigmatischer Krimi, der sich von der ermittelnden Instanz emanzipiert, sähe aber etwa so aus:
Ein Verbrechen geschieht. Die Polizei erscheint auf der Bildfläche (meinetwegen auch ein Privatdetektiv). Sie nimmt ihre Ermittlungen auf – und verschwindet wieder. Im Folgenden werden wir ganz lapidar mit dem allgemeinen Setting und den beteiligten Personen vertraut gemacht, mit dem, was letztere tun und lassen. Wie sie handeln, wie sie reagieren, wie sie denken, wie sie planen, wie mit ihnen geplant wird. Kurz: Die Welt, in der das Verbrechen geschehen konnte, wird rekonstruiert. Ende. Weiter nichts. Am Schluss erscheint dann der Ermittler bei einer dieser Personen und sagt: „Hallo, Herr / Frau X., Sie sind hiermit wegen Mordes verhaftet. Die Beweise sind lückenlos!“
Der Leser, die Leserin ist aber ja selbst ermittelnde Instanz gewesen, sie hat selbst kombiniert. Und jetzt nickt sie das Ergebnis der „Profis“ vielleicht ab – oder sie sagt: Blödsinn, Justizirrtum, es war ganz anders, ich kanns beweisen. Das wäre Emanzipation! Und irgendwann verzichtet man auf das Erscheinen der Ermittler ganz, dann endet der Krimi einfach so, die werte Leserschaft soll sich gefälligst selbst ein Urteil bilden und den Bösewicht in ihrer eigenen Phantasie seiner gerechten Strafe zuführen – oder es eben lassen.
Das ist nun alles reichlich theoretisch, ich weiß. Und ich höre auch schon die Herren Eckert und Horst, die ja von „Polizeiromanen“, also wahren Ermittlernestern, leben, lauthals „Unsinn!“ schreien. Aber die müssen halt umlernen, sind ja noch jung und dynamisch. Man müsste das mit der Emanzipation vom Ermitteln in praxi vorführen, etwa, indem man einen konventionell mit ermittelnder Instanz ausgestatteten Kriminalroman dekonstruiert und nach den neuen, zukunftsweisenden Regeln wieder zusammensetzt. Astrid Paprottas „Feuertod“ zum Beispiel.
Wer diesen gewiss gelungenen, aber eben nach den alten Regeln gelungenen Roman gelesen hat, wird erahnen, wie im Grunde überflüssig die beiden durch die Szenerie tappenden polizeilichen Ermittler sind. Zumal sie am Ende doch so klug als wie zuvor sind, um mit jenem „Faust“ zu reden, der ja auch die Konventionen herausgefordert hat. Man merkt, dass Astrid Paprotta hier etwas Revolutionäres plante, aber dann doch vor der unseligen Tradition des Genres kapituliert hat. Waren ihre Ina-Henkel-Krimis noch vollständig um das Zentrum der Ermittlerin herum aufgebaut, so rücken die Ermittler in „Feuertod“ schon etwas an den Rand des Geschehens. Sie sind aber noch da. Der Leser identifiziert sich mit ihnen, Frau Paprotta schickt sie der Lösung entgegen, lässt sie Fakten sammeln etc. Was gar nicht notwendig wäre! Es ginge auch ohne!
Ich werde in den nächsten Tagen die Erlaubnis von Autorin und Verlag einholen, „Feuertod“ umschreiben zu dürfen. Ermittler raus! Einfach zeigen, was ist! Das tut Frau Paprotta dankenswerter Weise schon über weite Strecken, aber eben nicht konsequent. Das werden wir ändern! Ich habe inzwischen schon die beiden in meinem Besitz befindlichen Exemplare des Buches in ihre Bestandteile zerlegt und, Seite für Seite, an die Wände meines Arbeitszimmers gekleistert. So bekommt man den besten Überblick für die De- und anschließende Rekonstruktion. Ich rechne damit, in spätestens 9 Monaten mit meiner Arbeit fertig zu sein und den ersten Prototypen des vollständig ermittlerlosen Kriminalromans präsentieren zu können. Wenn der Verlag nicht dumm ist, wird er MEINE Version dann als die zu diesem Zeitpunkt wohl 6. Auflage von „Feuertod“ auf den Markt werfen. Der erste Krimi des 21. Jahrhunderts! Selbstverständlich werde ich Frau Paprotta wenngleich in geringem Umfang an den Einnahmen beteiligen.
was ich jetzt VERMISSE, ist eine angabe darüber, von wem dieser essay INSPIRIERT wurde.
Dieser Essay wurde von zwei hessischen Damen inspiriert.
bye
dpr
Lieber Herr dpr,
ich darf ja jetzt in die Oberschule. Da lesen wir jetzt von Henry James: The Sacred Fount (1901). Sollten Sie mal reinschauen.
Liebe Grüße von Ihrem Kevin!
Tätst du Higsmith unter die Krimis zählen? Ripley funktioniert ja auch ohne nennenswerte Ermittler.
Verbrechensliteratur, ja. Das gab’s aber doch auch schon mal. Essay mal.
James? Hochschmidt? Igitt, das ist ja Literatur! Nein, ich denke an den Feldwaldundwiesenkrimi, mit Mord und Wer-wars und Warum-überhaupt. Eine Erneuerung des Genres aus sich heraus, nicht über Themenwahl oder Sprachbehandlung oder Perspektiven. Das ist eine Herausforderung! Krimischaffende Deutschlands, holt eure Bücher hervor und versucht, sie OHNE Ermittler zu spannenden Krimis zu machen! Ich rufe die Krimijugend der Welt!
bye
dpr
ich finde ermittler großartig. fruttero + lucentini haben schöne bücher geschrieben (du bist so blass, der liebhaber ohne festen wohnsitz, der palio der toten reiter), aber die für mich schönsten bücher sind die ermittlerbücher, wie weit ist die nacht, die sonntagsfrau, das geheimnis der pineta.
im ripley taucht einmal ein ermittler auf, ein englischer inspektor, da ahnt man, was sie mit den ermittlern hätte leisten können, wenn es sie interessiert hätte.
„Der Leser, die Leserin ist aber ja selbst ermittelnde Instanz gewesen, sie hat selbst kombiniert. Und jetzt nickt sie das Ergebnis der „Profis“ vielleicht ab – oder sie sagt: Blödsinn, Justizirrtum, es war ganz anders, ich kanns beweisen. Das wäre Emanzipation!“
Naja, so neu ist das nicht. Wenn man will, findet man das schon in den frühen, sogenannten „Rätselkrimis“, wo Leser und Ermittler sich einen Wettlauf beim Erkenntnisgewinn lieferten.
Ludger
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Wir wissen nicht, was Ihnen der freundliche dpr bei Ermittlerüberdruss empfiehlt, wir empfehlen Ihnen zum Beispiel die Wyatt-Romane von Gary Disher. Oder die düsteren Meisterwerke von Derek Raymond. Oder die Hap/Leonard-Romane von Lansdale. Oder den schönen Roman „Gimme more“ von Liza Cody. Oder die sprachverliebten Geschichten von Pablo DeSantis. Oder den wunderbaren Fabulier John Fusco. Oder…
Warum den Roman der Paprotta umschreiben, wo doch dort die Ermittler ohnehin schon „überflüssig“ sind?!? Das ist doch keine Herausforderung…
Warum nicht lieber die Romane von Horst Eckert oder Norbert Horst umschreiben? Da könnte man den Herren Autoren auch direkt mal zeigen, in welche Richtung sie „umlernen“ müssten.
„Herr, zeige uns den Weg!“ ruft die Krimijugend dem selbsternannten Krimipapst entgegen.
*kopfschüttelnd*
@Ludger: Derek Raymonds „Nightmare in the Street“ hat einen Ermittler als „Zentrum“, dazu noch einen mit, ähem, inneren Dämonen.
Ich merk schon: Das ist wie damals am spanischen Hof. Kolumbus: Hey, gebt mir drei Schiffe, und ich entdeck euch Amerika! Hofschranzen: Was sagt der Penner? Vielleicht entdeckt er den Seeweg nach Indien, aber wir fahren eh lieber ums Kap der guten Hoffnung rum, da gibts mehr zu sehen. — Man kämpft gegen Windmühlenflügel! Als Sancho Pansa fungiert Anobella!
@Ludger: Bei den Wyatt-Romanen ist es Wyatt selbst, der die Fälle löst. Zwar ein Gangster, aber „ein guter“. Dito Lansdale: Unsere beiden Helden fungieren ebenfalls zeitweise als Ermittler – ihr dürft das jetzt alles nicht so wörtlich nehmen, Polizei und so, Privatdetektiv etc! – ein Ermittler ist jemand, der den Fall im Sinne der Auflösung vorantreibt. Ohne ihn gäbe es keine Story und keine Krimidramatik! — „Gimme more“, lieber Ludger: Wenn ich mich recht entsinne, wird dort ein verschollener, angeblich toter Popstar gesucht. Okay, das ist schon ein ganz brauchbarer Ansatz zur Ermittlerlosigkeit, ebenso einige Sachen von Raymond und De Santis…
@Thomas: Horst Eckert wird Probleme kriegen, das sehe ich schon. Aber er wird sie meistern, notfalls wird ihn sein Verleger Dr. Booß ins Gebet nehme („Horst, mach hinne! Die anderen könnens doch auch!“). Norbert Horst kann sich auf seine Monologstärken konzentrieren und sie perspektivisch ausbauen. Nicht mehr alles aus Sicht des Herrn Kirchenberg, sondern Polizei raus, Opfer, Täter, Zeugen etc. rein! Dann ist er schon nah dran an Joyce, beim Subtext helf ich ihm dann. Aber ich bleib bei „Feuertod“. Das ist nämlich der einzige Krimi, von dem ich zwei Exemplare hab, also entsprechend Seite für Seite an die Wand kleben kann.
bye
dpr
*kein Krimipapst. Es gibt schon drei. Letztens ist auch Martin Compart diese Ehre zuteil geworden. TW und Ludger M. kennen wir eh.
**Krimigott? Hm, damit könnte ich mich eventuell…
Richtig, lieber Ralf, auch in der „Factory“-Reihe gibt es Ermittler. Ich hatte hingegen „Roter Nebel“ oder die ganz frühen Romane, die z.T. noch unter seinem Geburtsnamen Robin Cook erschienen, im Sinn.
Ludger
*kramt nach ermittlerlosen Kriminalromanen
Nein, nein, lieber dpr, Deinen Ansatz finde ich ja interessant, aber er ist auch nicht wirklich neu (also nix mit Amerika, Indien und dem Kap der guten Hoffnung). Mach‘ ruhig mal.
Man kann, gaaaanz grob, mindestens zwei Kernkrimidramaturgien heraus nehmen (es gibt natürlich mehr und die haben dann wieder irgendwelche Bastarde und Ableger und Varianten): Das „Wer-war-es“-Zeugs und die „Schnappen-Sie -ihn?“-Sachen. Bei den erstern sind Ermittler wohl zu 99 Prozent vertreten, da wird es mit dem Rausstreichen/Umarbeiten wirklich interessant und ob das überhaupt funktioniert. Bleibt das wirklich spannend? Verkommt das nicht zum rein Deskriptiven, was auf Dauer auch langweilig werden kann?
Bei den zweiteren muss nicht zwangsläufig eine Aufklärung erfolgen, daher wird hier schon wesentlich öfter auf „Ermittler“ verzichtet.
Natürlich kam mir bei der Lektüre Deines Essay auch gleich Wörtches gnadenlos gute und gnadenlos deprimierende Abrechnung „Tod durch Erfolg?“ in den Sinn. Sein Verweis auf andere Medien (Comic, Film) hat ja auch etwas für sich, nämlich einfach mal zu fragen, in wie weit man Erzählkonzepte aus Film oder Comic auf Literatur übertragen kann? Funktioniert das oder geht das in die Hose?
Von daher gefällt mir natürlich Deine Idee, innerhalb der Literatur selbst an den Stellrädchen der Erzählung und Dramaturgie mal etwas heftiger zu drehen. Das könnte vielleicht dem Pessimismus von TW etwas entgegensetzen. Bleibe gespannt.
Herzlichst
Ludger
Ich bin, lieber Ludger, weder für Film noch Comic Spezialist; glaube aber, dass es grundlegende Unterschiede gibt, die einen „Transfer“ kaum möglich machen. Nehmen wir nur die Atmosphäre. Ein Autor schreibt „Sie saßen auf der von Kerzen erhellten Terrasse und sahen auf den Fluss“, ein Film ZEIGT das. Ist viel direkter einerseits, sehr viel „atmosphärischer“, andererseits jedoch habe ich als Zuschauer keine Möglichkeit, meine eigene Vorstellungskraft ins Spiel zu bringen.
Ähnlich ist es mit der Dramatik. Ist „Plötzlich trat ein schwarzer Schatten hinter der Scheune hervor“ wirklich spannend? Wenn ich das SEHE, kanns sehr spannend sein (mir fallen da immer Autoverfolgungen ein. Ich hab mal einen Krimi gelesen, der hat die seitenlang geschildert. Furchtbar langweilig! Das zu sehen, fände ich wahrscheinlich auch nicht sonderlich erhebend, es wäre aber wohl auszuhalten).
Ich habe also nichts gegen Filme; ziehe aber die Literatur bei weitem vor und halte sie letztlich auch für das flexiblere Medium, weil sie im Idealfall die Instanz des „Konsumenten“ mehr fordert. Und genau da setzt meine Anregung, auf Ermittler zu verzichten, an. Natürlich hab ich das jetzt etwas locker formuliert, meine es aber sehr ernst. Die Vorläufer gibt es, klar. Mir fällt gerade Charles Willefords „Pickup“ ein, auch De Santis „Sechste Laterne“ ist noch in guter Erinnerung. Tatsächlich geht es um zwei Dinge, die du auch schon angesprochen hast: Gelingt es, die hauptsächlich durch Ermittler /Ermittlungen generierte Spannung anderweitig zu erzeugen? Gelingt es, dies unter einer stärkeren sinnlichen / gedanklichen Einbindung der LeserInnen zu tun?
Herr Wörtche hat den status quo korrekt benannt, auch was die Fortschritte bei Film, Comic anbetrifft, ganz klar. Aber seinen abschließenden Pessimismus, die KriminalLITERATUR betreffend, teile ich nicht. Wir reden hier nicht über die 90plus-x %, die sich bei Krimis ihre Spannungsdusche holen wollen. Sollen sie; interessiert mich nicht. Wir reden über die Sachen, die uns als Leser fordern. Die verqueren, die verstörenden, die desillusionierenden, die erhellenden Geschichten. Und die sind noch lange nicht am Ende.
bye
dpr
Auch Joachim Linder hat sich inspirieren lassen, den ermittlerlosen Krimi zu überdenken. →Hier.Mit Kommentar. Das ist jetzt fast wie Blogkarneval.
Lieber dpr,
die meisten Rätselkrimis ohne Ermittler rutschen natürlich ins psychologische und/oder in den Thrillerbereich. Zuerst fiel mir Boileau und Narcejac ein, aber die sind viel zu „manipulativ“. Am ehesten käme wohl bis jetzt Agatha Christies „Zehn kleine Negerlein“ in Frage.
Beste Grüße
bernd
Alain-Robbe Grillet hat es gemacht (Der Augenzeuge), konsequent und spannend. Wer das nicht Krimi nennt, will Krimis eben nicht so haben. Es unter Robbe-Grillets Niveau zu machen, stelle ich mir langweilig vor
Lieber dpr,
ohne Ermittler kein Detektivroman, so einfach ist das. Genausogut könnte man den anderen konstitutiven Bestandteil, das Verbrechen, weglassen. Warum sollte man das tun? Außer man ist der Ansicht, dass das ganze Genre nicht mehr ins 21. Jahrhundert passt. Interessanter finde ich es, den Kriminalisten genau auf die Finger zu schauen und zu ermitteln, wieviel ihre Arbeit tatsächlich zur Lösung des Falls beiträgt. In John Harveys neuem Roman „Gone to Ground“ beispielsweise fördern die Polizisten Grayson und Walker (wie weiland Ross Macdonalds Lew Archer) im Laufe ihrer Ermittlungen in einem Mordfall eine veritable Familientragödie zutage, um dann am Ende doch … Aber das darf ich natürlich nicht verraten. So viel sei gesagt: Meine Begeisterung als Leser hielt sich in Grenzen, auch wenn Spielereien mit Genreregeln auf einer Metaebene durchaus Spaß machen können.
All the best
Joachim,
der hier nachdrücklich Lawrence Blocks „The Burglar on the Prowl“ als Sommerlektüre empfiehlt, auch wenn sich der Autor für eine Nebenfigur in dieser amüsanten Whodunnit-Variante schändlicherweise den Namen J. Feldmaus ausgedacht hat.
Das „Abrutschen“ ins Psychologische, lieber Bernd, ist die große Gefahr bei dieser Geschichte. Nicht dass ich generell den „psychologischen Krimi“ geringschätzen würde, aber tatsächlich ersetzt Psychologie häufig fehlende Handlung.
Ich kenne, lieber Leichtenstein, den „Augenzeugen“ nicht, wenngleich anderes von Robbe-Grillet. Diese ganzen nouveau roman – Sachen (Claude Simon, den ich etwas besser kenne, auch) machen doch etwas, das mit dem Krimi-ohne-Ermittler-Thema vergleichbar ist: sie konstruieren die narrativen Strategien anders als in den tradierten Erzähltheorien vorgegeben. Darauf liefe auch der Krimi-ohne-Ermittler hinaus. Nicht ein Ersetzen von Handlung, die von Detektion vorangetrieben wird, sondern ein anderes Konstruieren und Vorantreiben von Handlung. Das Ding dann nicht mehr „Detektivroman“ zu nennen, liegt auf der Hand, lieber Joachim, aber da Leser/Leserin quasi zu DetektivInnen mutieren (was sie bei Robbe-Grillet u.a. auch sind, selbst in den Nicht-Krimis), wäre es ganz nett, die Bezeichnung beizubehalten.
Ein anderer Aspekt ist natürlich der der Spannung, die ja ohne herkömmliche Detektion auch „irgendwie anders“ zu generieren wäre.
Spannend ist das schon…
Und danke für den Sommerlesetipp, Joachim, obwohl das, was sich Block hier leistet, vollkommen zynisch und feldmannverachtend ist.
bye
dpr
Rekonstruieren als Selbstzweck ist aber langweilig, und manchmal habe ich das Gefühl, das tun schon zu viele Autoren: Wenn ich Szenen lese, wo die Menschlein wie Insekten unter einer Glasplatte hampeln oder etwas schon dadurch Sinn haben soll, weil es wie eine Collage daherkommt. Das Autorenstreben nach dem vermeintlichen „O-Ton der Realität“ macht oft umso spürbarer, dass sie etwas konstruieren. Und die vermeintlich ent-autorisierte Haltung des „schaut doch selber hin“ impliziert das Pädagogische.
Bei Robbe-Grillet ist das erträglich, er hat einfach neue Mittel ausprobiert, um Spannung zu erzeugen; der Leser erzeugt sie selbst, weil die Unsicherheiten, Aufregungen und Rätsel, die wir aus real life kennen, genauso im Text zu funktionieren scheinen, statt einfach nur beschrieben zu werden. Natürlich ist auch er nur autoritärer Zauberer…Und schwankt zwischen gewaltig raffiniert und einer zu großen Verliebtheit ins eigene Prinzip& dann wird´s öde. Sowas können trotzdem bestimmt nur wenige und außerdem hat Robbe-Grillet ein Sicherheitsnetz gegen das Gefühl von Konzept-Texten gespannt: Starke Sprache&Beobachtung , die distancierte Gedanken immer wieder verscheuchen.
Gruß, L.
Re-konstruiert man wirklich als Leser? Oder konstruiert man nicht ebenso wie der Autor selbst? Ab einem gewissen Punkt der Lektüre ist es mir doch herzlich egal, was der Autor mir da sagen will. Dann erzählt mir die Geschichte selbst die Geschichte, und es wird meine Geschichte. Sprache ist wichtig, aber nur ein Element von mehreren. Vielleicht entsteht Spannung auch erst dann, wenn ich als Leser merke, dass meine Geschichte von der des Autors abweicht. Ich gebe aber zu, dass dieses „Wie hat er/sie es denn gemacht?“ mich schon manchmal interessiert. Auch Skelette haben ihren Reiz.
bye
dpr
Was ist das denn nun für ein Quark? Ich fordere sofort Kritiken ohne Kritiker, Rezensionen ohne Rezensenten, die schwafeln doch alle nur und lenken ab.
Immer eins nach dem anderen, lieber criticus! Erst mal die Ermittler, dann die Autoren, dann das Lesepublikum – und am Schluss die Rezensenten. Tod dem Krimi!
bye
dpr
Der Mainstream braucht die Ermittler! Das ist es was die Menschen lesen möchten.
Aber es gibt immer auch Nischen die eben gefunden werden wollen und Neues enthalten.
Vor kurzem kam zum Beispiel ein Buch vom österreichischen Autor R. Kocznar heraus das erfrsichend neue Erzählperspektiven enthält.