Als Lektüre für den nächsten Korfu-Urlaub dürfte Ronnith Neumans „Tod auf Korfa“ allzu sonnige Gemüter schnell ungemütlich beschatten. Historische Dunkelheit, denn was in diesem Kriminalroman beschrieben wird, ist Teil jener deutschen Geschichte, an die erinnert zu werden nicht zum all-inclusive der Reiseweltmeister zählt.
Alles beginnt mit der Leiche eines Mediziners, die in einer schwer zugänglichen Bucht an Land geschwemmt wird. Sie weist Folgen übelster Folterungen auf, das Wasser in der Lunge ist zudem Süßwasser, Hauptkommissar Alexandros Kasantzakis folgert richtig: Mord. Zusammen mit seinem Team, zu dem auch die Fotografin Kristina Tzavrou gehört, macht sich Kasantzakis an die Ermittlungen.
Bald geschieht ein zweiter, ähnlicher Mord, es wird auch nicht der letzte gewesen sein. Der Kommissar und seine Fotografin erkennen irgendwann, es hier nicht mit einem xbeliebigen „Serienkiller“ zu tun zu haben. Die Spur führt in die Vergangenheit, die Zeit, als Korfu von der deutschen Wehrmacht besetzt war, als ganze Dörfer im Zuge von „Vergeltungsmaßnahmen“ ausgelöscht wurden und die Täter, wie auch anderswo, meist billig davonkamen.
Harter Stoff, der hier über 458 Seiten ausgebreitet wird, und das ist eine ganze Menge, aber schließlich gibt es auch viel zu erzählen. Nur – was? Hier sammelt Neuman erste Minuspunkte. Gewiss ist es legitim, ja, notwendig, so etwas wie „eine Atmosphäre“ zu schaffen, doch die Aufzählung sämtlicher Allerweltsphänomene gehört nicht dazu. Als Beispiel sei genannt, wie Neuman eine Zeugenvernehmung inszeniert (S. 150 f) und uns dabei einen Eindruck vom Leben der Inselbewohner geben will:
„Die Küche war einfach und völlig überladen. Ein riesiger Kühlschrank, auf dem Herd ein Topf, in dem ein Kohleintopf vor sich hin köchelte, in der Spüle Geschirr in einer Seifenlauge. Auf einem aus der Wand ragenden Holzbord der Fernseher, um ihn herum drapiert eine Flut von Familienfotos, nur zum Teil gerahmt. Wo immer man hinsah Spitzendeckchen, Stoffblumen, Hochzeits- und Taufschleifen, Mandeln in Tüllsäckchen, Nippes, vergoldete Engel, mit Seidenblumen geschmückte Kreuze“, uswusf.
Über lange fünf Seiten erstreckt sich diese Zeugenbefragung, werden viele für die Handlung unwichtige, für die „Atmosphäre“ letztlich irrelevante Details wiedergegeben, wird etwa das Angebot der Zeugin, ihren Besuchern etwas zu trinken zu reichen zu einem äußerst nervigen Hinundher (Kaffee-Wasser-oder darfs ein Hauswein sein? Ouzo, Tee? Nein, Kaffee, nein, Wasser). Der Spannungsbogen verschwindet hinter dieser Ansammlung von Nichtigkeiten, deren Weglassung oder Straffung den Roman ohne Mühe unter die 400-Seiten-Marke gebracht hätte.
Jedes Kapitel wird mit Auszügen aus dem Tagebuch des Täters, der Täterin eingeleitet, beginnend 1954 und bis in die aktuelle Handlungszeit fortgeschrieben. Die Leser, die Leserinnen wissen also immer etwas mehr als die Ermittler, langsam erhellt sich die Motivlage, werden die zunächst kryptischen Dinge konkret. Dagegen ist natürlich nichts einzuwenden. Doch schon bald stößt man bei den Ermittlungen selbst auf Hinweise, die zur Täterperson führen und dem Leser, der Leserin auch sehr schnell verraten, „wer’s denn nun war“. Überraschenderweise jedoch tappen die Ermittler im Dunkeln, verfolgen die Spuren, die ihnen die Autorin in den Text gestreut hat, nicht weiter, vielleicht aus Angst, den Roman dann gar nach 300 Seiten beschließen zu müssen.
Schwierigkeiten macht auch die angesprochene Motivlage der Tatperson. Sie ist gewiss nachvollziehbar, obgleich sie auf die in Kriminalromanen ebenso beliebte wie realiter äußerst umstrittene „gespaltene Persönlichkeit“ hinausläuft. Hier nun hätte man gerne mehr gewusst, etwas weniger knallig serviert. Und warum die Mordserie ausgerechnet JETZT beginnt und nicht schon früher, warum sie nicht die Täter, sondern ihre Nachkommen trifft – so ganz klar wird auch das nicht.
Ein interessantes Thema also, ein wichtiges auch, aber nur stellenweise wirklich gut umgesetzt.
Ronnith Neuman: Tod auf Korfu.
List 2007. 458 Seiten. 19,95 €
Mich hat „Tod auf Korfu“ nicht überzeugt. Die Story ist nicht stimmig, Charaktere falsch gezeichnet (z.B. eine psychisch Schwerstkranke ist zum zwischenmenschlichen Kontakt unfähig, geht aber allein einkaufen und wird in einer Klinik nur von einem Studenten behandelt).
Gegebenheiten bzw. Personen werden langatmig eingeführt und verschwinden dann im Nichts.
Ungefähr in Buchmitte ein deutlicher „Bruch“ in Story und Sprache, als liefe der Autorin die Zeit bis zur Abgabe davon.
Und: Könnte überall spielen, vom korfiotischen /griechischen Lokalkolourit keine Spur.