Hinrich Matthiesen: Auch du wirst weinen, Tupamara

Ein Roman zur rechten Zeit. Das Hickhack um die Freilassung oder Nichtfreilassung von Christian Klar noch im Ohr, verspricht uns Hinrich Matthiesen die literarische Aufarbeitung des Themas. In „Auch du wirst weinen, Tupamara“ treffen sich Täterin und Opfer – das heißt: sie treffen sich nicht.

Vor zwanzig Jahren hat Inge Kathrin Schwerdtfeger im Namen der Terrorgruppe „Rote Kolonne“, die sich selbst in der Tradition südamerikanischer Stadtguerilla als „Tupamaros“ bezeichnete, in Kaiserslautern zwei US-Soldaten ermordet. Jetzt wird sie vorzeitig aus der Haft entlassen. Derweil in den USA der Sohn eines der Getöteten die Welt nicht mehr versteht. Steven Harper, jetzt Mitte Dreißig, macht sich auf den Weg nach Hamburg, um Schwerdtfeger zur Rechenschaft zu ziehen. Wie? Das weiß er noch nicht. Das wird sich zeigen.

Harper, das wird sehr schnell klar, ist ein selbstgerechter, in jeder Hinsicht unsympathischer Zeitgenosse. Als seine Mutter einen dunkelhäutigen Freund „gesteht“, entlarvt er sich als Rassist; seine Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit unterscheiden sich kaum von denen des gemeinen Lynchmobs, mögen sie auch ein wenig kultivierter daherkommen. Darf man einen Kindesentführer foltern? Natürlich! Darf man jemanden, der nicht das Versteck einer Diebesbeute verraten will, bei Entzug von Wasser und Brot dazu zwingen, es doch zu tun? Gewiss!

Seine Gegenspielerin Inge Kathrin ist von ähnlichem Kaliber. Reue zeigt sie nicht. Zwar schwört sie der Gewalt ab, will den „Kampf“ aber fortsetzen. Sie hat inzwischen eine sechsmonatige Tochter (während eines Freigangs mit einem Ex-Terroristen gezeugt) und würde auch die, so sagt sie jedenfalls, „für die Sache“ opfern. Genau das wird Harper im Folgenden auf die Probe stellen.

Am Ende wird die Tupamara weinen; Harper hat sein Werk vollbracht und reist zurück – doch geschehen ist nichts. Das Thema Rache wurde von Matthiesen ebenso wenig abgehandelt wie das Thema Gewalt im politischen Kampf – und das ist gut so. Wir haben es, auf den Punkt gebracht, mit zwei reichlich beschränkten Menschen zu tun, die ihre Wege unbeirrt gehen. Beide sind durchaus potentielle „Sympathieträger“: Steven als Protagonist und nachweislich Geschädigter, Inge Kathrin als Opfer seiner Handlungen. Dass sich so etwas wie Mitgefühl nicht entwickeln kann, ist die erfreuliche Konsequenz des Textes. Jedes bestätigende Kopfnicken spräche gegen die Intelligenz des Lesers.

Ein Produkt der Spannungsliteratur im engeren Sinne ist „Auch du wirst weinen, Tupamara“ nicht. Alles geht seinen Gang, selbst der Clou am Ende ist vorhersehbar. Nicht weiter tragisch. Tragischer: die Sprache, besonders die Dialoge des Romans. Es besitzt noch den gewissen Charme des Inszenierten, wenn die Terroristin am Bett ihrer schlafenden Tochter über Che Guevara doziert, als schriebe sie einen Besinnungsaufsatz. Dass aber das Personal, Harper vor allem, zumeist in einem gestelzten Korrektdeutsch daherredet, ist nur schwer zu ertragen. Selbst dort, wo es locker sein soll („Bei meinen Eltern wäre ich nie darauf gekommen, sie mir bei der Liebe vorzustellen. Da hatte i ch ‚ne Schranke.“), wirkt es hölzern. Man kann auch das zunächst als Verstärkung eines inneren Verkrampfseins der Handelnden interpretieren; zutreffender wohl, dass Matthiesen so verbissen um „Stil“ bemüht ist, dass er ihn haarscharf verfehlt.

Hinrich Matthiesen: Auch du wirst weinen, 
Tupamara. Quermarken Verlag 2007. 251 Seiten. 16,90 €

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