Die folgenden Aufzeichnungen unseres Titelhelden erreichten die Redaktion auf denkwürdigem Wege. Sie befanden sich zusammengerollt in einer verkorkten Flasche mit der Aufschrift „Dr. Schlawinskis Original Südsee Erfrischung – jetzt mit 10% Datteln!“. Diese Flasche wurde – südwestlich der japanischen Insel Kyubashi – von Herrn Ludwig Hirnbeiß aus dem Pazifik gefischt, welchen Herr Hirnbeiß in Begleitung seiner Gattin auf einer handelsüblichen Luftmatratze zu überqueren gedenkt. Die Flaschenpost – denn um eine solche muss es sich handeln – gelangte per Sonderflugzeug in unseren Besitz und wird nun wort- und zeichengetreu wiedergegeben. Man entdeckte sie im spärlichen Nachlass des inzwischen verschollenen Ehepaares, einer Plastiktüte, welche außer der Flasche nur einen Stahlkamm sowie fünf unbenutzte Kondome enthielt. Die Aufzeichnungen schildern Wickiussens Erlebnisse, kurz nachdem dieser die geheimnisvolle künstliche Insel betreten hat, auf der sich die deutschen Krimischaffenden vor den kritischen Nachfragen von Öffentlichkeit und Ordnungsmacht versteckt halten.
Der Sand, auf dem ich mich erschöpft niedergelassen hatte, war feinkörnig und kitzelte zwischen meinen Zehen. Ich lag reglos, spürte die Nässe, welche meine Unterschenkel umfing, hob nur leicht den Kopf aus Angst vor Entdeckung, blickte auf eine Kulisse aus in sanfter Brise unmerklich pendelnden Palmen, hörte von Inneren der Insel herkommend ein anhaltendes dumpfes Geräusch, in das sich hier und da spitze Menschenschreie zu verirren schienen. Ich hatte Gänsehaut; aber ich konnte nicht mehr zurück; ich musste weg vom Strand, auf dem ich schutzlos, hilflos den unbekannten Gefahren ausgesetzt war. Ich kroch auf den nächsten Palmenhain zu —
Geschafft! Erschöpfte lehnte ich mit dem Rücken am Stamm einer Palme, das dumpfe Geräusch – Trommeln? – war stärker geworden, die spitzen Schreie – Gelächter? – mehrten sich. Meine Hand ertastete etwas – ein Stück Papier? Ich nahm es vorsichtig auf, kramte die Taschenlampe aus meinem Survival-Bag, richtete ihren Strahl auf das Papier – was war das? Was wollte mir diese Schrift sagen? (Originalpapierfetzen als Anhang dieser Flaschenpost beigefügt).
Ich musste weiter ins Innere der Insel, den Geräuschen entgegen. Von Palme zu Palme kroch ich, von Gebüsch zu Gebüsch, von Tanne zu Eiche, von Eiche zu Buche, von Buche zu Kiefer – wie bitte? Tatsächlich! Unmerklich war die tropische Vegetatation in das uns Deutschen Vertraute eines Mischwaldes übergegangen! Natürlich! Ich erinnerte mich daran, auf einer künstlichen Insel zu sein, die nicht an den Bewuchs der Breitengrade gebunden war.
Ein Feuer? Jedenfalls eine Art zuckendes Licht. Ich kroch näher, das dumpfe Geräusch dröhnte in meinen Ohren, die spitzen Schreie waren wohl wirklich Gelächter, welches aus dem gleichförmigen Plaudern von Menschen eruptierte. Ein Feuer. Ja, ein Lagerfeuer! Und um dieses Feuer herum hockten etwa zwei Dutzend Personen beiderlei Geschlechts im Schneidersitz.
Die meisten kannte ich von Fotografien, einige auch persönlich. Da saß Astrid Paprotta; halb eingenickt, ein Heft auf den Knien. Daneben Horst Eckert, der sich auch mal wieder rasieren könnte. Ihm gegenüber leuchtete das rote Haar von Thea Dorn, und auch das nicht weniger rote von Anne Chaplet konnte ich erkennen. Neben dieser nun saß – es durchzuckte mich – kein Geringerer als Krimiblogger Menke. Er lauschte – wie alle anderen, jedenfalls taten alle so, als würden sie lauschen – den Ausführungen eines das Feuer beständig umrundenden Mannes, der wohltönender, doch Authorität ausströmender Stimme zu seinen Hörerinnen und Hörern sprach. Ich konzentrierte mich auf seine Worte:
„Also merken Sie sich: Wenn man einen Plot entwickelt, muss man sicher sein, dass dieses Produkt aus Phantasie und Kalkül JEDERZEIT – ich wiederhole: JE-DER-ZEIT! – erfolgreich in die schnöde Wirklichkeit verpflanzt werden können muss. Werden – können – muss! Sie müssen dann, wie ein großer Kollege in den Siebzigern, einfach nach Berlin fahren und dort die Amis um eine Million Dollar erleichtern können. Dies zu erreichen, bedarf es SPARTANISCHER DISZIPLIN! Ich wiederhole: SPAR-TA-NI-SCHER DIS— Frau Paprotta, nicht einschlafen! Wir habens gleich!“
Die so Gemaßregelte schreckte auf und lächelte den Dozenten entschuldigend an, in welchem ich zu meiner Überraschung, ja, zu meinem Entsetzen niemand anderen erkannte als IHN: dpr. Noch niemand hatte diese Legende des Krimibloggens von Angesicht zu Angesicht erblickt, doch es war kein Zweifel möglich: Er musste es sein! Diese aristokratische Haltung! Diese sprachliche Brillanz! Dieser vollendete Körperbau! — Der schrille Ton einer Schulklingel riss mich aus meinen Überlegungen.
„So, Schluss für heute!“, sagte dpr, „wir sehen uns morgen früh zur nächsten Unterrichtseinheit ‚Plotten für Deutschland’! Danach wird Ihnen Herr Walser einen schönen Vortrag über Bodenseekrimis halten. Und jetzt genießen Sie den lauen Südseeabend, gehen Sie aber nicht zu spät in ihre Hütten!“
Hütten. Ja, schemenhaft zeichneten sie sich im Flackern des Feuers ab, Original Südseehütten, jetzt mit 10% Palmenblättern eingedeckt. Dpr verließ unter dem begeisterten Gemurmel seiner Schülerinnen und Schüler den Kreis, welcher sofort jene Lockerheit erreichte, die man von allen Pausenhöfen dieser Welt kennt. Horst Eckert hatte einen Papierflieger gebastelt, den er nun Richtung Paprotta segeln ließ, welche ihrerseits das Heft von ihren Knien aufgenommen und sich auf der Stelle darin vertieft hatte. Es handelte sich – ich konnte es vage erkennen – um die 2367. Folge der Abenteuer Perry Rhodans.
Anne Chaplet unterhielt sich kichernd mit Ludger Menke – ein Bild, welches ich mir bis dahin in meinen kühnsten Träumen nicht hätte auszumalen wagen.
„Komm, Ludger, trink noch einen!“
Die Chaplet hielt eine Flasche mit dunkelrotem Inhalt in der Hand, „Dr. Schlawitzkis Original Südsee Erfrischung“ buchstabierte ich. Menke nahm die Flasche und führte sie zum Munde, in den sich sogleich ein Schwall der Flüssigkeit ergoss.
„Das macht lustig!“ wusste Frau Chaplet, „Ich hab schon drei von den Dingern intus!“
Allmählich löste sich der Schülerkreis auf. Diese und jene erhoben sich und wankten einzeln oder in kleinen Gruppen den Hütten zu, in welchen sie verschwanden. Bald hockte allein noch Frau Paprotta mit ihrem Perry-Rhodan-Heftchen am langsam niederbrennenden Feuer. In den Hütten gingen die Lichter an, Radioapparaten entkam gedämpfte Unterhaltungsmusik, schrille Schreie kündeten von der ewigen Praxis enthemmter Triebabfuhr. Endlich erhob sich auch Frau Paprotta und ging zu den Hütten.
Ich lag im Unterholz, ganz verwirrt, nicht wissend, was nun zu tun sei. Schon hatte ich mich fast entschlossen, die Nacht im Schutze einer mächtigen Eiche zu verbringen, um meine Erkundung des Eilands bei Tageslicht fortzusetzen – da knackte es verdächtig und bedrohlich hinter mir, Äste splitterten – und bevor ich entfliehen, ja, bevor ich mich auch nur umdrehen und der offensichtlichen Gefahr ins Auge sehen konnte, ertönte, sehr nahe schon, eine sonore, dabei nicht unfreundliche Stimme:
„Ei, wen haben wir denn hier?“
Der dies sagte, war ein rundes Männlein, in einen alterthümlichen Bratenrock gewandet, der graue spärliche Haarkranz um gerötetes Kopfhaar toupiert, eine Laterne in der Rechten, so dass man das gütige Gesicht des Alten erkennen konnte, denn alt war er, alt und weise lächelnd.
„Wickius, angenehm“, stellte ich mich vor, und der Alte nickte wissend.
„Ah, Wickius! Wir haben schon damit gerechnet, dass Sie kommen würden! Seien Sie gegrüßt! Gewiss sind Sie hungrig? Durstig? WISSENSdurstig auf jeden Fall!“
Er lachte über seinen Witz und schritt an mir vorbei, drehte den Kopf, winkte damit, ihm zu folgen. Ich tat es in Ermangelung einer Alternative. Wir gingen am fast erloschenen Lagerfeuer vorbei auf die Hüttenreihe zu.
„Ja, diese Krimischaffenden!“ kicherte der Alte. „Wie die Kinder!“
Eine Frau trat aus der Dunkelheit in den Lichtkreis der Laterne.
„Das ist Thalia“, stellte sie der Alte vor, „sie wird sich um Sie kümmern. Ich habe bedauerlicherweise noch zu tun, doch man sieht sich morgen beim Frühstück. Leben Sie wohl bis dahin! Ich heiße übrigens Hans Paul Dönkemeyer, genannt ‚Der gütige Richter’“
Schneller als er aufgetaucht war, verschwand er wieder. Thalia kam auf mich zu. Sie erinnerte mich an die korpulenten Tanten meiner fernen Kindheit, an die, von denen man prustend sagte, sie hätten Hintern wie Brauereigäule. Da Thalia nun auch ein mächtiges Pferdegebiss entblößte und mir hinstreckte, was sie für ein Lächeln hielt, wirkte sie tatsächlich wie eine Zentaurin, eine Mischung halb Mensch, halb Pferd. Sie winkte mir zu und drehte sich um, ging auf eine Hütte am Rande der Lichtung zu. Ich folgte ihr. Was erwartete mich? Wo war ich da reingeraten? Wo war Anne Beller, wenn man sie einmal brauchte? — Ich wusste es nicht. Wie im Traum folgte ich Thalia durch die Dunkelheit.
***
Langsam legte Frau Anna Beller die Papiere aus ihrer zitternden Hand. Wickius, das ahnte sie, schwebte in tödlicher Gefahr. Er war Zentaurinnen noch nie gewachsen gewesen. Was würde ihn am nächsten Morgen erwarten? Die nächsten Blätter aus der Flasche mussten davon berichten. Anna Beller war unfähig, weiterzulesen. Sie grübelte. Wer war der Kriminalschaffende, der nach zwei Typen nach Berlin schickt, um einen Plot zu entwickeln, der dann gleich in praxi auf seine Tauglichkeit überprüft werden soll? Wickius hatte es natürlich sofort gewusst. Doch Wickius war – ja, wo war Wickius jetzt? Lebte er noch? Lesen Sie nächste Woche weiter aus den Papieren eines Gestrandeten…
sehr gelungen, diese folge, von der handelsüblichen luftmatratze über den ausgerissenen zettel bis zur enthemmten triebabfuhr!
schön auch die raterei, wer der ich-erzähler ist. hätte ich am ende gar nicht gesagt.
*lacht
„Radioapparaten entkam gedämpfte Unterhaltungsmusik“: schöne Formulierung.
Aber Thalia: das ist denn dochg zu viel Arno Schmidt.
Danke, Liebste. Ein Lob aus deinem Munde ist mir willkommener als alles Geld der Welt…Und du, Dschordsch, lenk bitte nicht ab! Rätselfrage beantworten, aber pronto! Riesenbuchpaket zu gewinnen!
bye
dpr
Ach, da ich eh immer der Einzige bin, der antwortet, bin ich’s auch ein wenig müde. Ich werde die Lösung also erst verraten, wenn hier mindestens drei andere geantwortet haben.
* wartet noch auf sein Fleißkärtchen für seine Thalja-Lösung!
r i e s e n b u c h p a k e t zu gewinnen?
das gibt es bei m i r!
*meint das lob ernst
**erkennt den lacher in der HANDELSÜBLICHEN LUFTMATRATZE
***wünschte, andere krimiautoren hätten nur EINEN solchen kleinen gag in ihren büchern
Bei dir? Bei mir gibts dazu aber auch noch ECHTE NACKTFOTOS zu gewinnen! Von dir natürlich…
bye
dpr
leider ist ja mein scanner kaputt … tasse tee drübergegossen … hab viele nacktfotos von mir …
*über ihrem a r c h i v
**zuckt mit den schultern
Jetzt aber mal nicht komisch werden, Herr dpr!
Ludger
*warnt
** blickt ernst in die Runde
Ludger? Es ist komisch.
Es ist einfach traurig mit dir, Ludger. Anstatt auf meinen dramaturgischen Kniff, Wickiussens Erlebnisse via Flaschenpost und als Bericht eines Ich-Erzählers auszubreiten, einzugehen – das gabs noch nie in der deutschsprachigen Kriminalliteratur! – offenbarst du eine völlig egozentrierte, antihumoristische (Anobella hat natürlich wie immer Recht!), revanchistische Grundeinstellung, die deinen Status als Krimiblogger unterminiert. Aber ich mache weiter. Ich werde es schaffen. In nicht allzu ferner Zukunft werden Anne Chaplet und du bei einer Flasche Weißwein in einem Bistro sitzen und Brüder-/Schwesternschaft trinken. Und ich ernte dafür den Friedensnobelpreis…
bye
dpr
Zur Betonung meines Beitrags:
Ludger? Es i s t komisch.
*unterstellt Ludger nicht einen Mangel an Humor
**zieht den Hut vor DPR´s spontanem Ausdrucksvermögen