Kapitel XIX

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Was bisher geschah: Völlig wurscht! Jetzt gehts ans Eingemachte! Der Übeltäter bekommt ein Gesicht und einen Namen! Der Showdown naht! Nächste Woche ist die Geschichte aus! Freut euch!

Er stand am Fenster und blickte hinunter auf die Straße. Bald würde alles ihm gehören: die Straße, die Stadt, das Land, die Welt. Es war alles eine Frage der Zeit, er hatte es nicht eilig. Er setzte sich wieder an den Schreibtisch und lauschte der Geschäftigkeit in den Büros der Angestellten. Seine Geschöpfe! Sie hingen an seinen Lippen, sie zitterten vor seinem Wort, sie gaben ihm alles, was er von ihnen verlangte, besonders die ukrainischen Zwangspraktikantinnen waren mehr als gebefreudig. Er hörte einfach zu und lächelte dabei. Na schön, in letzter Zeit war einiges schiefgegangen, doch das spornte ihn nur an, zwang ihn dazu, seine theoretische Genialität praktisch zu nutzen. IDIOT, die teure Insel in der Südsee, war verloren, um die Krimischaffenden, die dabei den Haien zum Festmahl gedient hatten, kaum schade. Sie ließen sich ersetzen, bloße Pappfiguren. Hatte er nicht damals, als alles begann, auch zunächst mittellos dagestanden? Nur mit einer Idee im Hinterkopf?

Ja, wie hatte nur alles angefangen, damals? Er war zum Studium nach Bayern gezogen, ein naiver Junge vom Land, nun in der Weißwurstmetropole, unter Menschen, deren merkwürdige Sprache er nicht verstand. An den Wochenenden lange Spaziergänge durch die reizvolle Landschaft. Ziellos. Einmal war Hochwasser, die Isar sprühte über ihre Ufer, warf sich auf die Äcker. Plötzlich ein Schrei, ein entsetzlicher Schrei – ein Mensch in Lebensgefahr! Er blickte über die Fluten, erkannte nichts, hörte noch einmal diesen Schrei, sah dann den Arm, der aus den Wassern ragte, mitgerissen wurde.

Er war nie ein Held gewesen. Jetzt jedoch, da er das Leben eines Menschen in Gefahr wähnte, warf er sich bedenkenlos ins kalte Wasser – es war März -, schwamm zu jenem Arm, der sich nur mit Mühe in der Luft hielt, ergriff ihn, zog Arm und alles, was an ihm hing, zum Ufer, unbegreiflich, wie er das schaffte.

Ein älterer Mann war das, die Haare schon weiß. Flache Atmung. Wiederbelebungsbesuche, Druck auf den Brustkorb. Endlich: Der Mann schlug die Augen auf.

Es stellte sich heraus, dass er einem leibhaftigen Bischof den unerwarteten Rapport vor seinem Chef erspart hatte. Sie saßen in einem Gasthof, der Gerettete in Decken gehüllt, welche die mitleidige Wirtin herbeigebracht hatte, während die nassen Kleider des Bischofs am Kachelofen trockneten. Sie tranken warmes Bier und aßen Brezeln mit Weißwurstfüllung. Zwei einheimische Mitgäste furzten in abgetragene Lederhosen und nannten es Folklore.

„Ich werde Ihnen ewig dankbar sein“, versprach der Bischof und lächelte. Er konnte sehr schön lächeln. „Es ist eine Strafe Gottes, ich weiß es wohl. Gott kann es nicht gefallen, dass ich in meiner Freizeit nicht den Rosenkranz bete, sondern Kriminalromane schreibe.“

Dem konnte nicht widersprochen werden. Vor lauter Mitleid ließ sich der Retter auf dieses Thema ein, heuchelte Interesse, bat sogar darum, einen dieser bischöflichen Krimis lesen zu dürfen, der Gefragte sträubte sich zunächst – auch dies nichts anderes als Heuchelei -, versprach dann aber, seinem Retter ein Manuskript zukommen zu lassen. In den nächsten Tagen.

Und der Bischof hielt Wort. Ein Packen beschriebenes Papier wurde abgegeben, war zu lesen, zu beurteilen. Gar nicht mal schlecht. Gut, der junge Student und Lebensretter hatte keine Ahnung von Literatur. Sein Fach war die Betriebswirtschaft, denn er wollte es zu etwas bringen in seinem zukünftigen Dasein. Und er kannte die Menschen. Wusste, dass sie diesen wohlformulierten Krempel dem Verleger aus den Händen reißen würden.

Noch am gleichen Tag schrieb er einen euphorischen Brief, drängte den Bischof zur Veröffentlichung seines Werkes. „Geht nicht“, schrieb der Bischof bedauernd zurück, „wenn ich das unter meinem Namen publizieren lasse, bin ich meinen Job los. Von meiner weiteren Karriereplanung gar nicht zu reden.“

Welcher Teufel ritt unseren jungen Studenten? Was ging in seinem Kopf vor, als er abends in der Wirtschaft hockte, zwei Maß trank, wieder diese scheußlichen Brezeln aß, wieder Einheimische gröhlend in Lederhosen furzen hörte, des Mitstudenten an seinem Tisch gewahr wurde, der gegenüber dem Kellner bedauerte, die Zeche nicht zahlen zu können? Warum wurde unser Lebensretter nun auch noch zum Philantropen und steckte dem Zechpreller einen Zehner zu?

Weil sich in ihm ein Plan zu verfestigen begonnen hatte. Ich brauche einen Strohmann, dachte er. Irgendeinen Dummen, der wenigstens intellektuell aussieht, schöne schwarze Haare und einen linksliberalen Bart hat. Der abgebrannt ist und zu allem bereit. Unter seinem Namen will ich den Krimi des Bischofs veröffentlichen – und die Kohle teilen wir uns dann wie Jesus die Fische und Brote oder diesen Wein bei der Hochzeit, weiß der Teufel was und wie.

Der junge Mann, dem er den Zehner zugesteckt hatte, strotzte nur so vor Dankbarkeit. Vor allem als er hörte, da sei noch ein Hunderter drin, gar zwei, drei, vier. Alles ganz legal. „Du gibst einfach deinen Namen her – und hast sonst nichts zu tun. Wie heißt du eigentlich?“

„Friedrich Ani“, antwortete der Gefragte. Das passte. Schöner Name.

Und so nahmen die Dinge ihren Lauf. Als „Friedrich Ani“ veröffentlichte unser Bischof fortan einen Krimi nach dem anderen, ein jeder gut katholisch und gut verkäuflich. Aus dem Bischof wurde ein Kardinal, dem Bayern eines Tages zu eng wurde. Er ging nach Rom. Und wurde zum Papst gewählt.

Das aber war viele Jahre später und längst hatte sich der ehemalige Student ein Imperium aufgebaut, Krimiautoren, die keine Krimiautoren sein durften, Strohmänner und Strohfrauen, die für gutes Geld ihre Namen hergaben.

Es hatte lange gedauert, bis den nunmehrige Unternehmer erkannt hatte, was für ein weltpolitisch brisantes Geheimwissen da in seinem Tresor ruhte. Natürlich war jedes Geschäft schriftlich fixiert, mit Unterschriften versehen worden. Wundervolles Erpressermaterial. Dokumente zudem, die, einmal an die Öffentlichkeit gekommen, die Welt aus den Angeln heben konnten. Man brauchte nur eine Andeutung zu machen, schon sprang das politische Deutschland panisch durcheinander. Und nicht nur das. Einzig ER wusste, dass Ian Rankin eigentlich Tony Blair war.

Er lachte. Hatte er nicht vor kurzem erst bei einem Telefonat mit der Bundeskanzlerin beiläufig erwähnt, die Erbschaftssteuer mache ihm zu schaffen? Viel zu hoch sei die? Er musste nichts weiter sagen. Wenige Wochen darauf wurde ein Gesetzentwurf, der die Erbschaftssteuer für Unternehmen radikal senkte, im Parlament durchgewunken.

Heute abend würde er mit dem Vizekanzler telefonieren. Münte, natürlich auch ein Krimischreiber, wie alle diese Politiker. „Münte“, würde er sagen, „mir passt es nicht, wie ihr mit Schäuble umspringt. Der Mann hat doch recht! Von deutschem Boden darf sich nie wieder ein Minarett in den Himmel erheben! Da sitzen dann die Extremisten drin und schreiben konspirative Emails! Abreißen das Zeug!“ Und Münte würde wissen, was er zu tun hätte…

Er überlegte sich manchmal, warum gerade Politiker, Wirtschaftskapitäne und Showgrößen zum Krimischreiben tendierten und kam stets zu dem Schluss, es sei krankheitsbedingt. Ein Psychotumor gewissermaßen, so wie ja schon „Politikmachen“, „Humankapital freisetzen“ oder „Die Fresse in jede Kamera halten“ als Krankheiten von den Kassen anerkannt wurden. Da findet sich, was zusammengehört, dachte er. Kein normaler Schriftsteller käme auf die Idee, einen Krimi zu schreiben, war ja keine Literatur. Und der Normalmensch? Du und ich? Der las Krimis, weil sie ihm Einblick in die kranken Hirne ihrer VerfasserInnen gewährten. Ganz simpel.

Zögerliches Klopfen an der Tür. „Herein!“ schrie er wütend. War doch gerade so schön in seinen Allmachtsphantasien. Walter Mitty, der Strohmann, der für ihn den Chef gab, streckte den Kopf ins Büro.

„Entschuldige bitte, Raphael, aber da ist ein Herr Wickius, der dich ganz dringend sprechen möchte. Es ginge um Leben und Tod!“

Raphael Wünsch grinste. Wickius! In der Höhle des Löwen! Der Mann, der seine Pläne zu durchkreuzen drohte! Es war Zeit für den Showdown.

„Lass ihn rein, Walter. Und guck mal auf dem Chefredakteursklo, da ist wieder verstopft. Bring das in Ordnung!“

Walter Mitty nickte ergeben und gab die Tür frei. Horatio Wickius betrat das Büro. Seine Mimik drückte Entschlossenheit aus.

7 Gedanken zu „Kapitel XIX“

  1. aaaargh … das hätte ich mir ja denken können, dass du, wenn ich bienenfleißig was zu dem ani-drehbuch im münchen-tatort in die tastatur tippe, du auf dem anderen kanal lästerst.

    *wirft die arme in die luft

    lieblingsstelle? der psychotumor „die fresse in jede kamera halten“.

  2. Au fein. Und auch ein Schlag ins Gesicht all der Ärzte und Rechtsanwälte die nach ihren Altersplänen gefragt was von einem Krimi murmeln. Welcher Schriftsteller wird einmal auf Rente eine Herzoperation vornehmen oder einen besonders kniffligen Fall in Karlsruhe erstreiten? Die Vorstellung, daß man zum Schreiben keine besonderen Kompetenzen braucht und das einfach mal so machen kann, wenn man mal ne Minute hat, gruselig.

  3. So langsam ahne ich, wer sich hinter der grundehrlichen Fassade des Raphael Wünsch verbirgt! Werde morgen früh mal genauer hinschauen, wenn ich vor dem Spiegel stehe.

  4. Logisch. Ich bin nur da, wo es wirklich wichtig ist. Ich sehe ja auch nicht ein, warum ich mich freuen sollte, wenn in einem mittelmäßigen bis schlechten Krimi auf einmal irgendein Ort gezeigt wird, den ich kenne. Was soll denn das?

    Noch mal zum Mitschreiben: Ich will keine authentischen oder sonstwie Krimis an Orten, an denen ich schon mal war: Ich will gute Krimis.

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