Was bisher geschah: Wickius hat die künstliche Südseeinsel IDIOT erreicht, auf der die deutschen Krimischaffenden Fortbildungskurse in Plotten, Surfen und Deutsch besuchen. Er wird inhaftiert. Die bezaubernde US-amerikanische Geheimagentin Claudine Schrunz befreit ihn. Doch der böse Alte macht ihnen einen Strich durch die Rechnung. Der zugedröhnte Giorgio zielt mit einer Schrotflinte auf Wickius. Er drückt ab. — Das Kapitel endet mit orgiastischen Kopulationsszenen und ist daher für zartbesaitete Gemüter kaum geeignet.
Ich hatte mir das Totsein anders, irgendwie endgültiger vorgestellt. Jedenfalls nicht als ein von schmerzendem Steiß negativ überlagerter Zustand, den die Berührung durch eine ebenso weiche wie weibliche Hand paradiesisch beendete. Ich weiß nicht, warum mir Fräulein Schrunz gerade DORTHIN griff – vielleicht sagte ihr der Instinkt, es sei der einzige Punkt, dessen Stimulierung Männer sogar von den Toten aufzuerwecken mochte. Sie tat es also. Sie berührte meine Nasenspitze und fragte:
„Sind Sie okay, Wickius? Können Sie aufstehen? Dann würde ich sagen: Hauen wir von hier ab.“
Erst langsam begriff ich, was geschehen war, und Claudine erzählte mir später das, was ich mir innerhalb der wenigen Augenblicke, die mir zur Verfügung standen, nicht selbst zusammenreimen konnte.
Nicht eine Schrotgarbe hatte mich niedergestreckt, sondern die plötzliche Aktivität des gewaltigen Motors von IDIOT. Claudine war, als der irre Giorgio seine Waffe auf mich gerichtet hatte, unbemerkt zur Seite getreten, hatte jenen roten Knopf an der Umhüllung des Motors gewahrt und – gedrückt. Ohne Vorwarnung hatte die Maschine ihre Kraft entwickelt, bereit, IDIOT von der Stelle zu bewegen, was jedoch durch die Tatsache vereitelt wurde, dass vier schwere Anker die künstliche Insel an ihrem Platz festhielten. So kämpften hier also die Kräfte gegeneinander. Ergebnis: eine Art Erdbeben. IDIOT erzitterte, es fiel mir schwer, mich zu erheben, ich hielt mich an Claudine fest – und zwar genau dort, wo man auch Frauen von den Toten auferwecken kann, aber auch nur dann, wenn sie nicht ganz ohne Gefühle sind. Claudine war dies gottlob nicht. Sie warf mir einen tiefen Blick zu und streifte meine Hand mit der ihren beinahe bedauernd von der linken der beiden Wölbungen.
„Wir müssen jetzt einen klaren Kopf behalten“, sagte sie und wies mit dem ihren auf die drei am Boden liegenden und offensichtlich bewusstlosen Männer.
Ich begriff sofort. Giorgio will auf mich schießen – Claudine drückt den roten Knopf – der Motor beginnt zu arbeiten – IDIOT beginnt zu erzittern – Giorgio verliert das Gleichgewicht – er reißt die Waffe hoch, drückt ab – schießt die Schrotladung in die Decke – diese verliert sämtliche Contenance und stürzt in schweren Einzelteilen herunter – trifft den Alten und seine beiden Bewaffneten – und zwar genau an ihren schwächsten Stellen: den Köpfen.
Ich beugte mich zum Alten; er schien tot zu sein. Auch einer der Bewaffneten atmete nicht mehr. Nur Giorgio gab Geräusche von sich, die auf sein Verweilen unter den Lebenden schließen ließen. Immer noch mit einer Überdosis Apostrophin abgefüllt, dazu, wie ich annahm, mit einem gehörigen Quantum Antiritzeltropin in der Blutbahn, stierte er mich mit seinen irren Augen an und krächzte:
„Sagen Sie Anobella, dass….“
Dann verlor er das Bewusstsein. Armer Kerl. Claudine Schrunz legte mir ihren Arm auf die Schulter, sagte: „Wir müssen weg!“ und sie hatte Recht. Es war keine Zeit für Mitmenschlichkeit, Giorgio würde selber sehen müssen, wie er sich aus dieser Scheiße befreien konnte.
Als wir ins Freie traten, erkannten wir, welche fatalen Folgen das mächtige und dauerhafte Erzittern von IDIOT gezeitigt hatte. Viele der Bäume waren umgestürzt und hatten Menschen unter sich begraben. Hier lag wenigstens die Hälfte der deutschen Krimischaffenden in ihrem Blut, die andere rannte panisch und schreiend umher. Dann gab es einen Ruck, der selbst Claudine und mich von den Beinen fegte. Ich nahm an, eine der Ankerketten habe der Gegenkraft nicht mehr standgehalten, sei gerissen – da, ein zweiter Ruck – da, ein dritter – IDIOT wurde nur noch von einem Anker gehalten, die Insel begann sich um ihre Längsachse zu drehen, immer schneller, immer schneller. Keine Frage: Wir mussten schleunigst von hier verschwinden.
Irgendwie erreichten wir den Strand. Dort wurden Rettungsboote zu Wasser gelassen. Ich erkannte den Mann mit der Pferdemaske, der mit einigen seiner Schergen ein Motorboot bestieg. Zwei weitere Mitglieder der Besatzung mühten sich mit einem Schlauchboot ab, höchstens zwanzig Meter von uns entfernt. Ich sah Claudine an, Claudine sah mich an. Wir hatten einen gemeinsamen Gedanken und lächelten…
Nachdem wir die beiden Männer mit gezielten Schlägen außer Gefecht gesetzt und das Boot vom Strand abgestoßen hatten, entfernten wir uns allmählich von IDIOT. Noch hörte man Schreie, hörte auch, wie Gebäude in sich zusammenfielen, Bäume umkippten. Dort wo noch vor wenigen Augenblicken der Strand gewesen war, erblickten wir nun eine Klippe, doch auch dies war nur von kurzer Dauer, denn IDIOT drehte sich immer schneller. Menschen schleppten sich zum Strand und stürzten in die Fluten. Ein Rudel Haie tauchte auf und probierte vom Fleisch deutscher KrimiautorInnen. Es schien ihnen besser zu munden als manchem Leser die Werke dieser Unglücksseligen. Wir sahen Oliver Bottini, der einen riesigen weißen Hai mit Handkantenschlägen zur Räson zu bringen versuchte. Vergeblich. Finis Bottini.
Wir waren vielleicht hundert Meter von IDIOT entfernt, als ganz in der Nähe unseres Bootes ein Kopf aus dem Wasser tauchte, ein Arm in die Luft gereckt wurde. Der Kopf verschwand wieder, tauchte erneut auf, endlich eine Stimme, die verzweifelt rief:
„Wickius! Ich bin’s! Ludger! Ihre Kollege Menke! Retten Sie mich!“
Er beendete seine Worte mit einem grässlichen Schrei. Vier oder fünf Haie hatten begonnen, den zappelnden Körper des Hamburger Krimibloggers zu umkreisen, um die beste Stelle für den ersten Biss zu finden.
Ich überlegte. Würden wir Ludger retten, wären wir zu dritt in diesem Boot. Es lagen glücklicherweise volle Wasserkanister und Lunchpakete darin, sie könnten für drei reichen. Aber die Vorstellung, dass Ludger meine Zweisamkeit mit Claudine stören würde – vielleicht waren wir wochenlang unterwegs, wir beiden, in einem klitzekleinen Boot unter heißer Sonne – diese Vorstellung behagte mich keinesfalls. Also rief ich dem noch immer zappelnden Menke mit fester Stimme zu:
„Ludger! Herr Menke! Machen Sie sich keine Sorgen! Sobald wir auf Hilfe treffen, schicken wir eine Rettungsexpedition zu Ihnen. Halten Sie also durch! Versuchen Sie in den nächsten Wochen möglichst kräfteschonend zu schwimmen! Lenken Sie die Haie ab! Erzählen Sie Ihnen aus Ihrem Leben! Nur Mut! Es wird alles gut werden! Wir sehen uns dann bei der diesjährigen Frankfurter Buchmesse wieder, ich geb auch einen aus!“
„Danke!“ schallte es zurück. „Sie sind ein wahrer Freund, Wickius! Und sagen Sie bitte dpr, wenn Sie ihm zufällig begegnen sollen, dass ich ihn nach wie vor für den Größten halte!“
Dpr? Auch er war auf der Insel gewesen und wahrscheinlich mit dieser untergegangen. In diesem Augenblick raste ein luxuriöses Motorboot mit großer Geschwindigkeit an uns vorbei. Ich erkannte dpr am Steuer, zwei atemberaubende Blondinen an seiner Seite. Ich glaubte dpr grinsen zu sehen. Hatte es der Bursche also doch geschafft, ungestraft der Katastrophe zu entgehen!
Stille. Nach einer Stunde hörten wir nur noch die sanften Wellen, die gegen unser Boot schlugen. Wir paddelten ruhig und schweigsam. Dann kam etwas Wind auf und trieb uns nach Westen, wir stellten das Paddeln ein und legten uns nebeneinander auf den Boden, teilten uns einen Becher Wasser und ein Schinken-Käse-Sandwich. Es war fürchterlich heiß. Wir waren nass bis auf die Knochen. Wir legten unsere Kleider ab. Wir waren nackt. Über uns der immer dunkler werdende Himmel. Die ersten Sterne am Firmament. Ich streckte meinen Arm aus, erreichte zufälligerweise wieder eine der beiden Wölbungen usw. Auch Claudine streckte einen Arm aus, um meine Nasenspitze zu berühren. Es war nicht meine Nasenspitze.
Als wir zwei Stunden später erschöpft von einander ab ließen, uns abermals einen Becher Wasser teilten, sagte Claudine:
„Wir treiben noch immer nach Westen. Wenn das so weitergeht, landen wir auf JAVA. In etwa vier bis fünf Wochen.“
Ich nickte zufrieden. Java. Dort gab es guten Kaffee, dort war ein Objekt die Instanz einer Klasse. Ich lächelte.
***
Die Beller lächelte keineswegs. Sie schäumte vor Wut. Las schnell noch den Nachsatz auf der letzten Seite des Flaschenpostdokuments:
„Geschrieben am 14. Tag unserer Odyssee. Möge es eine Menschenseele finden und uns zu Hilfe eilen. Aber nicht sofort. Drei Wochen halte ich das potenzmäßig noch durch! Gezeichnet: Wickius.“
„Dieses Schwein!“ fluchte Anna Beller und stand auf. Lief nervös in der Wohnung umher, der wickiuslosen, und so sehr sie ihn auch verfluchte, so sehr sehnte sie sich doch nach seiner Anwesenheit. Es ist nicht gut, wenn eine Frau alleine ist, und selbst die Beller war eine Frau.
Was er jetzt wohl gerade tat? – Die Beller dachte daran und ihr Verstand verdüsterte sich. Sie AHNTE, was er gerade tat. Sie hasste ihn. Sie hasste die Schrunz. Sie hasste die Haie, die es nicht vermochten, das Schlauchboot zu entern. Sie rief Ludger Menkes Krimiblog auf, doch kein neuer Eintrag zeugte von der wunderbaren Rettung des Bloggers. Auch Giorgio war wohl verloren. Und Wickius —
In diesem Moment klingelte es an der Tür. Kurz, kurz, lang, lang. Das war Wickiussens Zeichen…
Schöner Cliffhänger … Lieblingsstelle:
„Sind Sie okay, Wickius? Können Sie aufstehen? Dann würde ich sagen: Hauen wir von hier ab.“