Warum ist Deon Meyers „Der Atem des Jägers“ ein gelungener Kriminalroman? Betrachten wir uns die „Eckdaten“, könnte es genauso gut ein grottenschlechter, ganz und gar von den Konventionen des Genres in die Bedeutungslosigkeit gezogener Krimi sein. Uns begegnen: eine Hure mit Herz, ein Polizist mit einem Alkohol- und Beziehungsproblem, ein sympathischer Killer. Dazu kolumbianische Drogenbarone, korrupte Bullen, missbrauchte Kinder. Legen wir das Buch nach der Lektüre des Klappentextes also resignierend aus der Hand? Sollten wir nicht tun.
Sehr viel Stoff, den wir aus zahllosen anderen, nicht nur, aber überwiegend skandinavischen Romanen schon zur Genüge kennen. Die Schicksalswege dreier Protagonisten laufen aufeinander zu, die Dramatik steigt. Auch das Thema ist nicht sehr originell, passt jedoch genau zum Handlungsschauplatz Südafrika. Es geht um Rache. Thobela, ehemaliger Befreiungskämpfer, danach Auftragsmörder, später Farmer, rächt den gewaltsamen Tod seines Pflegesohns, indem er plötzlich anfängt, Kindermörder, die durch die Maschen der Rechtsprechung zu rutschen drohen, abzuschlachten. Natürlich ist bald jemand unter den Opfern, der eigentlich unschuldig ist, was den moralischen Zeigefinger – „Du sollst das Recht nicht in die eigene Hand nehmen!“ – unangenehm deutlich aus den Buchseiten reckt. Und, ganz nebenbei oder auch nicht, auf die schwierige Suche nach Gerechtigkeit und das komplexe Moment der Rache im Südafrika der „Wahrheitskommissionen“ verweist.
Rache treibt auch Christine um. Sie arbeitet als Prostituierte, und als sie von ihrer Kindheit und Jugend erzählt, wird rasch klar, dass sie diese Form des Broterwerbs wohl als Rache an ihrem christlich-fundamentalistischen Vater gewählt hat. Später wird sie ein zweites Objekt ihrer Rachegelüste finden, den kolumbianischen Drogenhändler Carlos, der sie zu versklaven droht.
Nur Benny Griessel, früheres Polizei-As, ist zunächst rachefrei, denn er hat andere Probleme. Seine Frau hat den Säufer vor die Tür gesetzt und ihm ein Ultimatum gestellt: Entweder in sechs Monaten trocken oder endgültige Trennung. Griessel kämpft jetzt gegen Alkohol und Depressionen, dann macht er sich daran, den mordenden Rächer Thobela zur Strecke zu bringen.
Klingt das gut? Ich fürchte: nein. Mankellmäßiges Herumgrübeln, ein wenig Küchenpsychologie, ein erhobener Zeigefinger: Das wird, wenn der Autor handwerklich seine Sinne beisammen hat, allenfalls ein Durchschnittskrimi, ein Thrillerchen, ein Moraltraktat light für alle, die beim Krimilesen auch mal gerne vor lauter Betroffenheit ins schwere Nachdenken verfallen wollen.
Tja, und dann schafft es Meyer gleich am Anfang, uns in die Handlung zu ziehen. Mit einem Kunstgriff. Denn der Roman beginnt damit, dass Christine ihre Lebensgeschichte einem Priester beichtet und alles Folgende, die Geschichten von Thobela und Griessel, quasi als Erinnerung ablaufen. Wie Meyer das macht, wie er gleich zu Beginn eine sehr melancholische und dichte Atmosphäre über den gesamten Text legt, das hat schon Klasse.
Die Geschichten selbst werden aus den Perspektiven der drei Protagonisten ausgebreitet, was nun nicht neu ist. Doch auch hier zeigt Meyer, wie man’s macht. Geschickt hantiert er mit dem Fokus und weist ihn abwechselnd seinen Figuren zu. Das hält die Handlungsfäden zusammen.
Und auch das mit dem erhobenen Zeigefinger ist nicht das, was es scheint. Die Story entwickelt sich zunächst konventionell. Thobela mordet, Griessel und Kollegen ermitteln, kreisen den Killer allmählich ein. Aber dann gerät alles durcheinander, sämtliche Moral wird obsolet und am Ende ist es Griessel, der allen Grund hat, das Recht in die eigene Hand zu nehmen und es mit unglaublich nüchterner Effektivität auch tut. Diese Szene – kurz, unkommentiert, in ihrer Konsequenz von nicht zu überbietender Brutalität – ist der Höhepunkt des Buches und zerstört zugleich alle moralischen Parameter.
Ein paar handwerkliche, dramaturgische Kniffe also sind es, die einen Plot, der von seiner Basiskonstruktion her eigentlich nur schiefgehen kann, auf grandiose Weise retten. „Der Atem des Jägers“ ist ein Buch, das beweist, wie auch durch inflationären und gedankenlosen Gebrauch längst untauglich gewordene Versatzstücke durch das schiere Talent eines Autors in neuem Glanz erstrahlen können.
Deon Meyer: Der Atem des Jägers.
Rütten und Loening 2007
(Original: „Infanta“, 2007, deutsch von Ulrich Hoffmann).
428 Seiten. 19,95 €