Zum „Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen“ am Sonntag hat Pieke Biermann ein passendes Thema für ihre Kriminalreportage herausgesucht: häusliche Gewalt. Hören kann man das – Achtung, Terminänderung! – jetzt schon am Freitag, 23. November 2007 im RBB-Inforadio 93,1 um 10:27 und 13:27 Uhr, die Wiederholungen gibt es am Sonntag um 13:45 und 18:45 Uhr und Montagnacht um 04:45 Uhr. Leser des „Tagesspiegels“ kommen am Sonnabend, 24.Oktober 2007 in den Genuss der „Wo bleiben die Kinder?“ betitelten Reportage. Und Podcaster wissen schon, dass sie aufs Radio klicken müssen.
Dass häusliche Gewalt kein privater Bagatellschaden ist, hat sich im öffentlichen Bewusstsein festgesetzt. Sie ist Terror im Alltag, sie erzeugt Angst und Ohnmacht durch einen Komplex von Angriffen – von Beleidigung über Nötigung, Erpressung, Bedrohung, Körperverletzung bis hin zum Tötungsdelikt. Hier ist „Privates“ hochpolitisch und damit auch polizeirelevant: Häusliche Gewalt ist eins der größten Kriminalitätsfelder.
Dass Männer die Täter und Frauen die Opfer sind, hat sich auch festgesetzt. Ein fast immer richtiges Bild, unschön für beide Seiten, aber nur zweidimensional. Am Tatort häusliche Gewalt sind fast immer Dritte: Kinder. Sie sind keine Kollateralschäden.
Die meiste Gewalt wird in der Familie gelernt, das weiß man aus allen einschlägigen Untersuchungen: Wer als Kind nur lernen darf, dass die Welt sich in Täter und Opfer teilt, ist hochgefährdet, später entweder das eine zu werden oder das andere zu bleiben.
Das Netzwerk der Krisenintervention für Frauen ist inzwischen einigermaßen gut geknüpft, aber wo sind die Hilfsangebote speziell für Kinder und Jugendliche? Wer fängt sie auf, macht sie stark, eröffnet ihnen den Weg ins Leben ohne Terror?
Ein Besuch im Kinderbereich eines Frauenhauses, beim Kindernotdienst, bei der Polizei, bei BIG (Berliner Initiative gegen Gewalt) – auch ein Beitrag zum kommenden Sonntag, 25.November, dem „Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen“.
„Dass Männer die Täter und Frauen die Opfer sind, hat sich auch festgesetzt.“
Unter der Gefahr, dass das falsch ‚rüberkommt, aber ganz so einfach ist’s nicht (und Männer verwundbarer als sie glauben).
-> Europäische Daten zum Thema
lesen kann man das jetzt schon:
http://www.inforadio.de/static/dyn2sta_article/ 921/218921_article.shtml
Lieber Bernd – eben weil es so einfach nicht ist, steht da als nächstes: Ein FAST immer richtiges Bild, unschön FÜR BEIDE Seiten… Bei häuslicher Gewalt bedeutet das „fast“ 80-90% männliche Täter, sorry to say. Das sind Zahlen von 2007, nicht 2005 (wie im Report der EU Commission).
Aber herzlichen Dank fürs Feedback – zeigt mir, wie sehr DIESES Thema „brennt“!
P.
Hab heute mittag eine Diskussion auf Phoenix gesehen, in der es um „innere Sicherheit“, Mittel zu deren (vermeidlicher) Herstellung (insbesondere Online-Überwachung) sowie deren Grenzen ging. Hierbei wurde wiederholt das große Crede des Bundesverfassungsgerichts betont, dass es eine Sphäre des Privaten geben muss, in welcher der Staat nichts zu suchen hat. Das Thema „häusliche Gewalt“ gibt dem Ganzen – und dem Begriff „innere Sicherheit“ – wieder eine völlig andere Dimension. Nicht nur was die Strafverfolgung angeht – die wie wir als Krimileser wissen, zwangsläufig auch in die Privatsphäre eindrigen muss, und dort oft einen erheblichen Kollataralschaden anrichtet (vgl etwa John Hart „Der König der Lügen; meine momentane Lektüre, wenn man will auch zum Thema „häusliche Gewalt“), aber noch mehr hinsichtlich der Prävention gegen diese Form der Gewalt. Wie soll dies gehen, ohne dass der Staat permanent in das „Allerheiligste“ eindringt? Kameras in allen Schlafzimmern? Wer hier nach der Gesellschaft, also etwa den Nachbarn ruft, verkennt die Realitäten, nicht nur in der Großstadt. Wer weiß schon wie es bei seinen Nachbarn zugeht und wer will das wissen …
Liebe Pieke,
wir wollen nicht streiten, aber was heißt hier „sorry to say“ ? Die Relation ist keine Überraschung – höchsten, dass viele Männer den Anteil der Frauen höher ansetzen würden (!).
Was allerdings für mich eine Überraschung war, dass ich bei der Suche nach diesem EU Bericht (der keine konkreten Zahlen zu Relationen angibt und noch für mich ungewohnte Varianten von Gewalt gegen Männer auflistet) auf einige Seiten gestoßen bin, die das Faktum „Häusliche Gewalt“ geradezu negieren und hierin viel Aufwand stecken.
Na, das mag man doch: Beiträge, die Kreise ziehen. Der gute JL hat nun zum Thema von Piekes heutiger Sendung selbst einen darauf rekurrierenden Beitrag geschrieben. →Hier nachzulesen. Er widerspricht darin der gängigen These von der Gewalt, die Gewalt gebiert. Und hat Recht. Opfer werden nicht automatisch zu Tätern. Sie sind gefährdeter als andere, aber auch sensibilisierter und daher vielleicht eher dazu in der Lage, den Teufelskreis zu durchbrechen. Piekes Beitrag findet sich →hier.
bye
dpr
Liebe Alle –
gefällt mir auch gut, dass es „Kreise zieht“! Und richtig selig bin ich über das Stichwort innere Sicherheit, ich würde sogar noch das geradezu hysterisch „medial belüftete“ Stichwort Terrorismus dazunehmen – dann wird ein richtiger, trittfester Schuh draus. Ich hab vor ca. 30 Jahren mal vorgeschlagen, „die Familie“ in den berüchtigten §129 aufzunehmen: als potentielle und tatsächliche „terroristische Vereinigung“. Wenn Familie die Keimzelle der Gesellschaft ist, und wenn wir heute doch alle ganz gern eine Gesellschaft haben mögen, in der friedliche Koexistenz nicht bloß Thema der Außenpolitik ist, dann müssen wir uns um die friedliche Koexistenz im Innern wohl bemühen. Das hat mit menschlicher Arbeit zu tun, und es ist in der Tat hochkomplex. Auch deshalb, weil wir – eben im Sinne der friedlichen Koexistenz – immer wieder neu festlegen müssen, wieviel „Staat(sgewalt)“ wir in unserem Privaten zulassen wollen oder müssen. Sorry to say, heißt an dieser Stelle: Ich finde es zutiefst traurig, dass Männer so unzweifelbar überwältigend auf Seiten der Gewalttäter zu finden sind und Frauen auf Seiten der Opfer. Das ist weltweit so, und das macht es nicht schöner. Da man aber auch nur ein kleines endliches Menschlein ist, egal welchen Geschlechts, sollte man wenigstens da, wo man wirksam sein könnte, auch wirken. Wenn ich ein Mann wäre, würde ich mich verdammt dafür interessieren, wieso mein Geschlecht so gewaltgeneigt, gewaltbereit, gewalttätig ist und was ich damit zu tun habe bzw. dagegen tun kann. Weil ich eine Frau bin, interessiere ich mich verdammt dafür, warum mein Geschlecht so viktimisierbar, für die Opferrolle gebucht ist und was ich damit zu tun habe bzw. dagegen tun kann. Verantwortung da übernehmen, wo man sie hat, ist nach meinem Verständnis der Kern von Zivilgesellschaft.
Was Gewalt ausgerechnet an dem Ort, an dem wir uns doch geborgen fühlen sollen, weil wir als Frischlinge in der Welt gar keine andere Chance zum Überleben haben, anbelangt, im „trauten Heim“ nämlich – die überhaupt zu thematisieren, öffentlich bewusst zu machen, Ideen und Praktiken für ihre Bekämpfung zu entwickeln, war ein Projekt der Frauenbewegung und hat, wiederum sorry to say, bis heute noch keine wirklich Männerbewegung auf die Beine gebracht. Aber immerhin viele institutionelle, teilweise blendend vernetzte Aktivitäten in Sachen Prävention und Intervention (vom „kleinen Funkstreifenbeamten“, der in ein häusliches Schlachtfeld gerufen wird und die Situation richtig erkennt, über die Opferschutz- und Präventionsbeauftragten der Polizei, die in Schulen, Kindergärten, Migrantenorganisationen usw. gehen und aufklären, Richter, die einem unbelehrbaren Kerl, der kein Näherungsverbot respektiert, sondern den womöglich bewaffneten Stalker macht, wirklich einen Haftbefehl verpassen, bevor er Frau und/oder Kind töten kann, bis hin zu Forschungsinstituten wie dem KFN von Pfeiffer in Hannover oder dem Lehrstuhl von Heitmeyer in Bielefeld). Und manche Einzelnen.
Niemand von denen behauptet – so wenig wie ich -, dass „Gewalt Gewalt gebiert“. Die Rede ist vom LERNEN – und die dazu einschlägigen Theorien kann ich hier nun wirklich nicht ausführen. Ich halte auch die volksmündliche Weisheit „was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ für falsch. „Es kömmt aber darauf an“, was man dem kleinen Kerl zwischen Hänschen und Hans für Alternativen bietet. Lässt man ihn im Tunnel seiner frühkindlichen Gewalterfahrung oder macht man ihm die Welt außerhalb des Tunnels auf? Wenn letzteres: Wer macht, darf, kann das dann? Wenn’s nicht seine eigene Tunnel-Familie ist, muss es wohl jemand Staat/Öffentliches sein. Und weiter: Kann man die Tunnel-Eltern auch aus dem Tunnel holen? Wer macht das? Usw. usw.
Da sind sie, all die Fragen nach Privat und Öffentlich/Staatlich. Da geht’s in der Tat um innere Sicherheit, und eben nicht in der – sehr interessegeleiteten – Verkürzung der mindestens letzten beiden Bundesinnenminister. Da tut Vernetzung not: Es gibt nämlich erstens schon einiges, was dazu gedacht und veröffentlicht ist, davon kann man profitieren, man muss nicht erst das Rad erfinden; und es gibt zweitens die Wirklichkeit, der man sich aussetzen kann. Auf die Gefahr hin allerdings, dass man feststellt: Die Gewalt, die Polizei oder Justiz ausüben, ist etwa so weit von der eines schlagenden, messerstechenden Vaters entfernt wie ein virtueller Bauchschuss von einem realen.
Avanti – P.