Ganz kurz: „Laßt die Kadaver bräunen“ ist ein gefundenes Fressen für alle Freunde geradlinigen Handlungsreisens, ständig wechselnder dramatischer Situationen und fröhlichen Dahinmordens. Ein Krimi, den man „nicht mehr aus der Hand legen kann“ und bei 190 schnellen Seiten auch nicht aus der Hand legen muss. Wer also seine 12,80 € in ein paar Stunden Genuss ohne Reue und Nachwehen investieren möchte: bitteschön. Wer sich noch einen Mehrwert verspricht: auch den gibts.
Es beginnt mit Schüssen auf eine Leinwand. Erstere von einem Gangster abgegeben, letztere von einer alternden Künstlerin namens Luce bemalt, die sich einen abgelegenen und verlassenen südfranzösischen Weiler mit 20 verfallenen Häusern gekauft hat, wo sie bisweilen Gäste empfängt. Der schießende Gangster – keine Angst, noch ist es nicht ernst, noch ist es nur Teil der Kunst – gehört zu diesen Gästen, den Luces Anwalt und Geliebter mitgebracht hat. Drei zwielichtige Gestalten sind es, geführt vom hartgesottenen Rhino. Auch ein versoffener Schriftsteller hat sich bei Luce eingefunden.
Man kommt schnell zur Sache. Die Gangster – der Rechtsanwalt gehört auch zu ihnen, hält sich aber zurück – überfallen einen Transporter und erbeuten 250 Kilo Gold unter Zurücklassung mehrerer Leichen. Auf dem Rückweg zu Luce nehmen die Täter des Schriftstellers neurotische Frau samt Kind und Kindermädchen mit, ein Fehler, wie sich bald herausstellt, denn die Frau wird polizeilich gesucht. Ihr auf den Fersen zwei Polizisten, mit deren Auftauchen in Luces Reich das muntere Spielchen der Kadaverproduktion beginnt.
Und es ist tatsächlich beides: Munter und ein Spielchen, eine Inszenierung. Im Mittelpunkt steht Luce, die mit großem Amüsement die ständigen Wechsel im Kampf zwischen Gut und Böse – und sehr bald auch zwischen Böse und Böse – verfolgt. Sie, die Künstlerin, weiß, was auch der Leser am Ende wissen wird: das Verbrechen ist die einzige Form, in der Kunst noch funktioniert, weil es die einzige Form ist, in der sich das Leben als Grundlage der Kunst noch beschreiben lässt.
Warum aber funktioniert „Laßt die Kadaver bräunen!“ abseits solcher Metatheorien auch als Krimi? Weil es die allgemeinen Vorgaben des Genres so lange ausreizt, bis sich die Geschichte quasi selbst inszeniert, eins aus dem anderen folgt, folgen muss. Und immer tut sich etwas, werden die Karten neu gemischt, die Joker und Schwarzen Peter neu verteilt. Die Sätze, asketisch mager, aber durchtrainiert, transportieren lediglich das, was für die Inszenierung wichtig ist. Eine Inszenierung, die durchaus ihre dramaturgischen Feinheiten – schnelle Szenenabfolge, zeitliche Rückgriffe bei Perspektivwechseln – hat. Am Ende weiß der Leser, worum es Manchette und Bastide geht. Um eine Analyse der Gesellschaft, der Kunst – aber er weiß es nicht, weil man es ihm theoretisch eingebläut hätte, sondern weil er selbst es bemerkt hat. So diskret können nur Franzosen sein.
Mit „Laßt die Kadaver bräunen!“ betrat Jean-Patrick Manchette 1971 die Bühne der Kriminalliteratur. Mit einem Werk, das Geschichte schrieb, den „Neo Polar“ begründete, aber vor allem eines klarmachte: Am Besten sind Krimis dann, wenn sie als Krimis überzeugen. „Laßt die Kadaver bräunen!“ überzeugt. Und nur dann sind wir gewillt, auch seinen Mehrwert zu honorieren.
Jean-Patrick Manchette, Jean-Pierre Bastid: Laßt die Kadaver bräunen! Distel Literaturverlag 2007 (Original: „Laissez bronzer les cadavres!“, 1971, deutsch von Katarina Grän, und Ronald Voullie). 190 Seiten. 12,80 €
Gibt´s inzwischen auch verfilmt: Leichen unter brennender Sonne
https://www.imdb.com/title/tt5827212/