Paul Lascaux: Salztränen

Wenn der Einwäger im Heimetli abhockt und mit den Bauern und Käsern sein Bätziwasser trinkt, seine Brissago raucht, während draußen das Chueli gar bitter muht, dann wissen wir, wohin es uns verschlagen hat: ins Glauserland. „Salztränen“ von Paul Lascaux ist also ein Schweizerkrimi, einer, über den man – der Autor hat’s mit dem Titel nicht anders gewollt – leider nur salzige Tränen heulen kann.

Heinrich Müller, Privatdetektiv, soll im Auftrag der Versicherung den mysteriösen Unfalltod des Einwägers Hans Bähler untersuchen. Einwäger – man weiß das – sind Käseaufkäufer und, da sie für große Firmen arbeiten und ständig die Preise drücken, bei den Produzenten around the Emmental nicht beliebt. Der Bähler Hans war dazu ein Weiberheld vor dem Herrn, was genügend Mordmotive ergibt, aber der Müller Heinrich soll ja schauen, ob es Selbstmord gewesen sein könnte, dann bräuchte die Versicherung nicht zu zahlen.

Ja, der Privatdetektiv. Komischer Kerl, natürlich, und komische Hobbies hat er obendrein, das Erstellen von Listen zum Beispiel – Nick Hornby lässt grüßen -, aber das vergessen wir gleich wieder, für die Story nämlich ist es ohne Belang. Müller begibt sich sofort zum Tatort, einem abgelegenen Tal, und von nun an geht alles ratzfatz. In der Wirtschaft trifft er die Bedienung Lucy, eigentlich Ethnologiestudentin, und sofort macht er sie zu seiner Assistentin. Zusammen befragen sie dann die Einheimischen, denen das Wasser ökonomisch bis zum Hals steht, und die Einheimischen geben ohne größere Widerstände erschöpfend Auskunft.

Aber wie! Sobald sie die Münder aufmachen, die Bauern, die Käser, stelzebeint die Sprache aus ihnen heraus: „Kann der Geschmack wirklich demokratisiert werden, oder ist dies alles nur ein Missverständnis? Geht es weniger um den Geschmack an sich als um die Abwechslung, als deren Ursache eher Langeweile auszumachen ist denn Geschmacks- und Unterscheidungsvermögen? Oder limitieren wir die Produktion für auserlesene Minderheiten, die bereit sind, einen höheren Preis zu bezahlen?“
So also spricht der Käser, und der Leser weiß genau: So spricht der Käser eben nicht, so spricht man in der Metaliteratur, dort, wo unter und über jeder Geschichte eine andere steckt, von Jeremias Gotthelf etwa, der ausgiebig und kursiv gekennzeichnet zitiert wird. Das macht den Text potentiell interessant für die auf dem Käsesektor schon benannten „auserlesenen Minderheiten, die bereit sind, einen höheren Preis zu bezahlen“, nämlich den, hinter jedem Satz sogleich einen anderen zu vermuten und daher hinter allem eine andere, höhere Absicht.

Das ist soweit in Ordnung. Warum nicht? In den „Salztränen“ geht es halt um (Kriminal)-Literatur, da wird nicht nur Gotthelf zitiert, da wird auch auf the man himself hingewiesen, den Glauser, und in der komischsten Szene (der einzigen komischen, nebenbei) sehen wir Lucy über einem Buch sitzen, das „Mord im Alpenglühen“ heißt, die Geschichte der Schweizer Kriminalliteratur abhandelt und von Paul Ott herausgegeben wurde, der nun kein anderer ist als die bürgerliche Seite von Paul Lascaux –

Ja, hübsch. Doch wozu das alles? Irgendeinen Sinn muss es doch haben und dann, wenn ich den gefunden habe, muss ich bereit sein, den Text ihm gemäß zu lesen. Nur: Ich finde keinen Sinn. Ich lese einen Krimi, dessen Plot mit jeder Seite verworrener wird, da geschehen neue Morde oder alte Todesfälle werden flugs zu Morden erklärt und alles hängt wie billig zusammen, man muss die Milch nur lange genug rühren, damit sie Quark wird, und einen Showdown gibt es, bei dem auch kein Glauser mehr beispringt und die Metaliteratur der klugscheißenden Landbevölkerung überhaupt längst in die Knie gegangen ist.

Vielleicht wird mir einer jetzt klipp und klar nachweisen, wie ich Ignorant die Zusammenhänge nicht gesehen habe, wie ich die wahre Sinn- und Handlungsebene gar nicht erkenne, sondern nur einen Plot, der in der nächsten Auflage von „Mord im Alpenglühen“ zu den zehn Grausligkeiten der schweizer Krimigeschichte gezählt werden müsste. Bitte schön. Noch einmal treibt mich der Müller Heinrich nicht zum literarischen Käsen in die Berge.

Paul Lascaux: Salztränen. 
Gmeiner 2008. 227 Seiten. 9,90 €

9 Gedanken zu „Paul Lascaux: Salztränen“

  1. Was lest ihr solche Bücher. Lese gerade „Die Söhne Abrahams“ und kann mich vor Meta-Ebenen kaum retten. Schweizer Bergwelt ist dagegen so schön heimelig.

  2. Na, das wird ein interessanter Stammtisch, Henny! Meine Wenigkeit hat sich bei der Lektüre gefragt, wo Littell all die schönen Metaebenen gelassen hat… EBENEN allerdings hat er genug. Und, glaub mir, in die heimelige Bergwelt des Herrn Lascaux willst du ganz bestimmt nicht.
    Ob der Gmeiner-Verlag, lieber Dschorsch, keine Lektoren MEHR hat, würde ja voraussetzen, er habe jemals welche gehabt. Du verstehst?
    Genau, Kristine, nimm den Käse bloß nicht in die Krimikiste. Das riecht immer so…

    bye
    dpr

    bye
    dpr

  3. Ich dachte, seit „Glennkill“ hätte sich rumgesprochen, dass man vom Subgenre der Schafs(käse)krimis besser die Finger lässt. Allein die Kombination von Coverbild und Titel hätte Warnung genug sein müssen, dass es geschmacklos bis widerlich wird. Tsss.

  4. Ich merke schon, bei diesem Stammtisch werden die Bierkrüge fliegen. Also keine Anspielungen… sondern gespanntes Warten auf die ersten Eingänge.
    @Thomas: Ja, aber das ist doch ein KUHKÄSEKRIMI, kein Schafskäsekrimi! Es gibt auch keine sprechenden Kühe – was schade ist, vielleicht hätten die wie normale Menschen gesprochen.

    bye
    dpr

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