Ich weiß, das darf man nicht: Die Kritik an einem Buch kritisieren, an dem man selber beteiligt war. Andererseits bin ich aber auch Kritiker und nehme mir das Recht heraus, auf gewisse Mindeststandards beim Rezensieren zu pochen. Genaues Lesen, zum Beispiel.
Lieber →Ludger, lieber →Axel. Wenn ihr euch bei der Besprechung der von Christiane Geldmacher herausgegebenen Anthologie „Hell’s Bells“ schon auf das Vorwort und / oder gar den Klappentext kapriziert, dann lest doch bitte beides GENAU und, falls zeitlich möglich, ZUR GÄNZE.
Sowohl im Vorwort der Herausgeberin als auch im Klappentext heißt der Satz, an dem ihre eure Rezensionen aufhängt: „Kleinster gemeinsamer Nenner ist die Spannung, das, was Patricia Hightsmith Suspense nannte.“ Der Satz lautet NICHT: „Die AutorInnen dieses Bandes richten sich nach dem von Patricia Hightsmith definierten Suspense-Begriff“. Steht nämlich gar nicht dort. Wäre ja auch Unfug. Auch von Alfred Hitchcock und SEINEM Spannungs-/Suspence-Begriff steht dort nichts. Wäre noch größerer Unfug. Der Satz bedeutet schlicht: Die hier versammelten Geschichten wollen spannend sein und diese Spannung ist einmal von einer bekannten Autorin Suspense genannt worden. Das ist schon alles.
Es dürfte euch nicht entgangen sein, dass die Entwicklung der Kriminalliteratur entscheidend abhängt von der Entwicklung und Differenzierung des Spannungs-/Suspensebegriffs, der eben NICHT von wem auch immer vor vielen Jahren endgültig definiert worden ist. Sonst könnte man etwa den kompletten Simenon als „unspannend“ in die Tonne kicken oder einige Ansätze aus der brasilianischen, der algerischen, der kubanischen Kriminalliteratur, die einem völlig anderen Spannungsbegriff verpflichtet sind. Über diese Differenzierung schreibt Frau Geldmacher, bezogen auf den Kurzkrimi, in ihrem mit zweieinhalb Seiten ellenlangen, für Rezensenten natürlich viel zu ausführlichen Vorwort durchaus einiges Grundsätzliches und Gescheites. Man muss es nur lesen.
Nachdem ihr das gelesen habt, könntet ihr nun, wenn ihr wollt, alle Beiträge des Bändchens auseinandernehmen und gnadenlos verreißen. Damit hat man zu rechnen, damit hat man zu leben, damit sollte man kein Problem haben, wenn man schreibt. Ein Problem habe ICH aber damit, dass Unzulänglichkeiten der kritischen Instanz an die Herausgeberin weiterreicht werden. Den Schwarzen Peter behaltet schön selber.
Nichts für ungut
ich habe bei allem respekt auch den eindruck, als ob da vorher noch nicht allzu viele kurzgeschichten gelesen wurden.
das amüsante allerdings ist, dass die rezensionen gegen highsmiths kurzgeschichten gewendet werden müssten, die erfrischend unspektakulär sind. ich erinnere an die geschichten für weiberfeinde, für tierfreunde (heißt es so?) etc.
da ziehe ich natürlich nicht mit.
und daran arbeite ich mich auch nicht ab.
Und ist eigentlich Fippys Geschichte ein Theaterstück? Hatte ich nicht so verstanden. Nur weil „dramatis personae“ drübersteht? Für mich war es eine Geschichte in Dialogform.
Little Book for Misogyny
Große (ach was: größere) Klasse, wer aber mit der Erwartung ‚rangeht, das hätte was mit Krimi zu tun, wird bitterlichst enttäuscht sein.
Wieso enttäuscht? Da „Krimigeschichte“ zur „Literatur“ gehört, darf sie sich alles erlauben. Wenn sie es kann.
Wer traut sich jetzt noch, dpr’s Erstling zu besprechen?
ich warte auf FALLbeispiele gelungener krimikurzgeschichten. es gibt genug zeitgenössische anthos, da kann man sich schlau machen. wenns besser ist als das, was ich gefunden habe … freue ich mich über gute kurzgeschichten.
*böblingen! reutlingen! tübingen!
Siehst du, liebe(r) wt, das ist genau der Grund, warum ich nach Ludgers Besprechung die Sache mehr oder weniger humoristisch genommen und mir das, was ich eigentlich sagen wollte, verkniffen hab. Nach der Reprise von Axel hab ich dazu aber einfach keine Lust mehr gehabt.
Also noch mal ganz deutlich: Es geht nicht darum, ob jemand ein Buch, an dem ich mitgewirkt habe, verreißt. Es geht um das Wie. Bei Axel bin ich ja außerdem als einziger noch ganz gut weggekommen, sein Urteil „länglich“ ist völlig okay. Was ich aber auf den Tod nicht ausstehen kann, ist das Zugrundelegen hirnrissiger Prämissen, die dann auch noch auf die Herausgeberin zurückfallen. Das Risiko, bei einigen als beleidigte Leberwurst oder bösartiger Treter zu gelten, nehme ich billigend in Kauf. Is halt so.
Also: Verreißt mich, macht mich nieder – ich werde traurig sein, aber ich sollte es mit etwas Glück überleben. Macht eure Arbeit anständig, auch ein Schlachtfest sollte ordentlich vorbereitet sein. Ich teile aus und bin gewappnet, entsprechend einzustecken.
bye
dpr
es ist auch völlig hirnrissig, die autoren für das vorwort der herausgeberin haftbar zu machen. die kannten es nicht, noch weniger den klappentext. den kannte noch nicht mal ich.
ich habe überhaupt keinen zweifel dran, dass dpr besprochen werden wird. ich habe so wenig zweifel dran, dass ich den einwurf überhaupt nicht kapiert hatte.
Ach Georgie.
ceterum censeo
Mathematik: Mengenlehre.
Deiner Meinung nach ist Krimi eine Teilmenge der Literatur, ja ? Wenn also die beiden Mengen nicht identisch sind, gibt es Elemente der Menge Literatur, die keine Elemente der Menge Krimi sind.
Elemente und Mengen kann man über ihre Eigenschaften beschreiben. Die Elemente der Menge Literatur, die nicht Element der Menge Krimi sind, haben also Eigenschaften (oder es fehlen ihnen welche, je nachdem ob positive oder negative Kriterien gewählt werden), die Elemente der Menge Krimi nicht haben.
Wenn wir denn nun für einen Moment akzeptieren, dass Highsmiths Buch (welches zu meinen Top 20 oder so gehört) nicht der Menge Krimi angehört, dann müssen wir auch akzeptieren, dass es Eigenschaften hat oder ihm welche fehlen, die Elemente der Menge Krimi besitzen.
Wenn Du (na, gut: Alle außer Dir) ein Buch beurteilst, ziehst Du implizit oder explizit auch diese Eigenschaften heran und fragst sie ab (JL hat es in einem zu wenig gewürdigten Beitrag über A.M. Schenkel auf seinem Blog vorgemacht).
Nun sind leider nicht alle so offen wie Du und lesen auch einen Liebesroman ergebnisoffen zu Ende, wenn sie eigentlich meinten einen Horrorthriller zu bekommen. Will sagen, sie können nicht so schnell reframen (Verb zu „Reframing“).
Und irgendwie ging es doch dpr darum, nücht ?
Du hast ein sehr schönes Vorwort geschrieben; ich habs heut morgen extra noch mal gelesen, bevor ich auf die beiden Schluffis da reagiert habe.
Aber vonwegen „jetzt wird er nicht mehr besprochen“: Das wäre dann ein weiterer Beleg herrschender deutscher Krimi(un)kultur: Die AutorInnen dürfen verrissen werden, die Kritiker aber sind unantastbar. Hä? Ich würde mich sehr freuen, wenn hier von mir malträtierte AutorInnen mit offenem Visier antreten würden. Unterhalten wir uns, streiten wir uns, versöhnen wir uns, was auch immer. Dass ich nicht gerne Verrisse schreibe (glaubt mir keiner, ich weiß), ist eine andere Sache. Ich hätte heute die Frau Klönne auch lieber gelobt, und ich lobe sie hier wenigstens dafür, dass sie ihre Kommissarin die Musik von Laura Veirs mögen lässt. Die mag ich nämlich auch. Eine Kultur ohne Streit ist einfach keine. Und Kritiker stehen nicht unter Artenschutz. Ich schon gleich gar nicht.
bye
dpr
Hm, klingt plausibel, Bernd. Fast. Du setzt aber voraus, dass Dschordsch Kriminalliteratur als TEILMENGE von Literatur betrachtet. Tut er aber meines Erachtens nicht. Er zählt sie zur Literatur allgemein und bestreitet damit indirekt, dass es überhaupt solche Teilmengen (z.B. Genres) gibt. Beide Auffasssungen kann man durchaus vertreten.
Der Mengenlehre würde ich aber lieber durchdie objektorientierte Programmierung ersetzen. Dort hat jedes Objekt nicht nur Eigenschaften, sondern auch METHODEN (ein Auto hätte die Eigenschaft „vier Räder“ und die Methode „kann fahren“). Nun, Literatur und Kriminalliteratur mögen sich in den Eigenschaften unterscheiden – Kriminalliteratur hat Verbrechen, Allgemeinliteratur nicht unbedingt) und sicherlich auch in einigen Methoden – die allerwichtigste Methode haben sie aber beide: Sie können als Textobjekte etwas im LeserInnenhirn anstellen. Sinnvolles oder weniger Sinnvolles, sie können dich für ein paar Stunden den Alltag vergessen lassen oder dein Leben für alle Zeiten völlig verändern. Das ist die einzige sichere Konstante. Und die kann, wie in der Programmierung, von unendlich vielen Variablen abhängen.
bye
dpr
Die größten Kritiker der Elche
werden später selber welche.
Und haben eins, zwei, drei vergessen,
wie kritisch sie einmal gewesen.
*Änderungen und Ergänzungen von mir
***Und lasst uns wieder über Texte streiten, die es lohnen!
Vielen Dank, lieber dpr. Wieso schreibe ich hier eigentlich, wenn du mich so gut erklären kannst? Ja, ich finde, Krimi ist Literatur. Und seit Wörtches Erklärungen meine ich gar nicht mehr sagen zu können zu dürfen, was Krimi ist. Nur dass es eben Literatur ist. Und deswegen mit literaturkritischen Maßstäben gemessen werden muss. Also: Ist er gut oder schlecht?
Ich finde aber trotzdem, dass es Genres gibt. Nur dass ich sie nicht definieren kann. Aber ich erkenne sie durchaus, wenn ich sie sehe. Und wenn ich dann einen Roman lese, der wie ein „Krimi“ anfängt, aber dieses Genre dann verlässt, dann ist es eben am Anfang ein „Krimi“ und am Ende ein, naja, „Roman“. Oderwasauchimmer.
dpr, erklärst du das bitte auch noch mal? Danke.
Und was ist jetzt mit Fippys Geschichte? Theaterstück oder nicht?
ooch, Loide, daß Ihr jetzt noch Eure eigenen Räder neu erfindet … (und eh‘ ich am Ende noch ‚gewürdigt‘ werde, und das am Hofe eines Papstes: da lägen mir zu viele Kreuzigungsbalken rum): Warum sollte Krimi nicht als Teilmenge von Lit. definiert und — objektorientiert — durch Merkmale beschrieben werden, die sowohl ‚literarisch‘ als auch ‚literaturbezogen‘ sind (wir sind hier doch auf einem ‚Krimiblog‘ und reden mit ‚Krimirezensenten‘ und ‚Krimiautoren‘)? Und das Spezifische wird doch erst sichtbar, wenn man mit anderen Prosagenres vergleicht (von … unterscheidet) — z. B. Bildungsroman oder Liebesroman.
Nu denn: ich würdige Hell’s Bells und Krimijahrbuch und Erst- wie Zweitlinge (doch meist im Stillen).
Beste Grüße!
‚Programmierung‘ führt da, lieber dpr, eher auf einen Abweg, will mir scheinen — und die unendlich vielen Variablen muß man eh ordnen, wenn man über ‚Krimi‘ sprechen will (oder meinetwegen auch ‚Kriminalliteratur‘).
übrigens … *lacht auf … fehlt ein drittel vom vorwort. ich habe drei seiten geschrieben, aber es wurde auf zwei seiten gekürzt. da hing noch ein RIESENessay dran, aber der platz war zu knapp.
es ist jedenfalls kein kritisches verfahren, autoren für das vorwort haftbar zu machen.
und henrikes stück/dialog fällt natürlich aus dem ganzen ding raus, ebenso wie der spengler oder dpr. gerade deswegen liebe ich diese texte. da ist kein wort falsch, kein bild schief, und es sind alle drei sehr hintergründig. sie sind alle drei so weit vom genre entfernt wie nur was. und genau deshalb wollte ich sie haben. allein wie die bewohner des hauses in henrike heilands stück die leiche besprechen, ist großartig. und wie die täterin, während sie das tun, endlich in ruhe klavier spielt, weil der mann, der es ihr verbieten wollte, erstochen auf dem dachboden liegt. gut so, denkt der leser, der alte sack. und weint auch dem zweiten opfer keine träne hinterher. da ist platz für so viele einfälle und so viel wortwitz, dass der platz nicht reicht, um sie aufzuzählen. und das gilt auch für spengler und dpr. natürlich passt gerade henrikes beitrag ünerhaupt nicht zu dem titel „kriminalgeschichten“ auf dem einband. na und?
und zum angeblichen schulaufsatz oder zum „nur“ schulaufsatz sage ich lieber nichts, gell. das ist worst-kritiker-szenario.
@wt: Also jetzt muss ich doch drauf bestehen, immer schon Elch gewesen zu sein… Man ist halt beides, was nicht leicht ist: Kritiker und Elch. Und „vergessen“ und „gewesen“ reimt sich nicht wirklich, sorry.
@JL: Ich stimme Ihnen ja in allem zu (oh, Sie werden plötzlich ganz blass…), und objektorientierte Programmierung kennt auch so etwas wie „Superklassen“ und „Vererbung“. Es gibt „abstrakte Klassen“, von denen Objekte abgeleitet werden (Instanzen) — nein, das ist schon recht hilfreich im Bezug auf Kriminalliteratur.
Und Fippys Theaterstück ist natürlich ein Dialogstück. Man könnte es aber auch auf die Bühne bringen.
bye
dpr
Ja, dpr.
Mir war natürlich klar, dass „Georgie the Fundie“ Krimi und Literatur ineinander übergehen lässt. Man muss auch Fahrzeuge, Autos und Schiffe nicht trennen … ich sehe aber den Wert nicht.
Wenn auch Georgs und meine Bewertungsmaßstäbe unterschiedlich sind, so sehr unterscheiden wir uns gar nicht. Es gibt hier von mir einige Besprechungen zu Büchern, die man unter durchgängig streng krimiästhetischer Betrachtungsgweise hätte schelten müssen und die mir sogar gefielen.
Anobella, das verstehe ich nicht: „und henrikes stück/dialog fällt natürlich aus dem ganzen ding raus, ebenso wie der spengler oder dpr. […] sie sind alle drei so weit vom genre entfernt wie nur was.“ Hast du das von dpr ? Ich gebe ja hier gelegentlich den Genrefundi, aber das ist überhaupt nicht wahr. Grenzbereiche des Genres werden hier nicht ausgelotet.
Theaterstück ? In meinen Augen nicht, gelegentlich gibt es Krimis/Bücher, die tragen so eine Aura. Aber nur weil man die Geschichte auf die Bühne bringen könnte … da ist doch wenig theatralisches.
Naja, die Diskussion hatten wir ja schon einige Male, und ihr kennt alle meinen pragmatischen Ansatz. Lassen wir’s dabei. Denn wenn nicht einmal Papst Thomas W. Krimi definieren kann, werde ich den Teufel tun und es versuchen.
Der Papst kann sehr wohl Krimi definieren! Wir konnten ihm nur nicht genug bezahlen, damit er es tut. Aber wir sparen schon eisern für nächstes Jahr…
bye
dpr
*jetzt übrigens online: Zwei mustergültige Vollsuspenseplots astreiner Kurzkrimis!
* überweist (liegenbebliebene) ukranische Zloty (oder wie das da heißt)
muss natürlich „ukrainische“ heißen – so durcheinander bin ich schon
Lieber Georg,
es fiele mir leicht, einen Link auf die Seite eines Genretheoretiker zu setzen, der schon vor mehreren Jahren dargelegt hat, dass es keinen Sinn macht, Genres per Definition festlegen zu wollen.
Her mit dem Link. Bitte.
Wieso melden sich Ludger oder Axel nicht? Hm? Auf auf!
Sorry, ich war den Tag über unterwegs. Soll ja ein Leben neben dem Internet geben.
Also, wir können von mir aus gerne konstatieren, dass nicht alle Geschichten in „Hell’s Bells – Kriminalgeschichten“ Kriminalgeschichten sind. Wir können auch sagen, dass der kleinste gemeinsame Nenner nicht bei allen Geschichten vorhanden ist. Dann bleibt aber nur noch eine – von außen betrachtet – willkürliche Zusammenstellung von Geschichten/literarischen Texten übrig. Die sind dann – von außen betrachtet – eine für keinen besonderen Anlass zusammengestellte Wundertüte:
die Geschichten können in Deutschland spielen – oder nicht
die Geschichten können ein Verbrechen beschreiben – oder nicht
die Geschichten können Debüts sein – oder nicht
die Geschichten können traditionell erzählt sein – oder nicht
die Geschichten können Krimis sein – oder nicht
die Geschichten können spannend sein – oder nicht
Hm.
„Greatest Hits“, „Mystery Street“, „Dangerous Women“ (alle leider nur auf Englisch), „Die Meister lassen Morden“, „Crime Anthologie 1“ und „Blue Lightning“ sind gute Zusammenstellungen, bei denen die Tops eindeutig überwiegen. Alle Bände haben ein nachvollziehbares Konzept und sprechen ein bestimmtes Publikum an.
Das gilt auch für den noch nicht gelesenen Syndikats-Band „Schöne Leich‘ in Wien“. Da erwarte ich in Wien spielende Kriminalgeschichten. Wenn die Geschichten dann in München oder in der Uckermark spielen fänd ich das nicht toll. Ebenso wenn über ein Drittel der Kriminalgeschichten auch nach einer weiten Genredefintion keine Kriminalgeschichten sind.
Wenn ich dich jetzt richtig verstehe, lieber Axel, dürfen Krimianthologien nur dann auf deine Gnade hoffen, wenn die Stories
a) irgendwie thematisch zusammengehören
b) dem Spannungsgedanken von Hitchcock verpflichtet und
c) keine Schulaufsätze sind
Hm. Vor allem eins wird mir nicht klar: Wieso sollten die Geschichten eines solchen Bandes unter einem besonderen Thema stehen? Wenn ich weiß: Aha, spielt alles in Wien, dreht sich alles um die Fußball-EM u.a., dann wird mir jedenfalls auch schon ein Stück Spannung genommen…
Was mir bei deiner Besprechung hingegen völlig fehlt, sind genaue Begründungen, WARUM etwas misslungen ist. Warum z.B. lässt dich Norbert Horst „ratlos“ zurück?
Vor allem aber: Wie kann ich mich als Rezensent einer solchen „Wundertüte“ mit einer einzigen Prämisse – Spannung – nähern und diese Prämisse auch noch auf ihre traditionellste Form von „suspense“ reduzieren?
bye
dpr
Ich muss ausnahmsweise dpr zustimmen. Mir gefallen auch Anthologien, die gar nicht zusammengehören. Ich muss nicht immer ein Oberthema haben. Wenn z.B. draufstünde: Krimianthologie, das würde mir schon reichen.
Wobei hier die Herausgeberin sagte, nicht alles seien Krimis.
Ein Vorwort hat die Aufgabe, die Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Teil der folgenden Texte zu lenken. Sonst ist es einfach nur ein weiterer Text, der zufällig im gleichen Buch erscheint.
Insofern bleibe ich dabei, dass eine als Einzelwerk herausgegebene Anthologie etwas besonderes (was auch immer wir jetzt darunter verstehen sein soll). Wenn der Titel zum Beispiel „Die besten Krimigeschichten des Jahres“ ist, dann erwarte ich auch etwas bestimmtes. Und als Kaufargument halte ich so etwas für wichtig. Bei Ellery Queens Mystery Magazine ist das etwas anderes. Hm, wobei hier der Name als Garant für spannende Geschichten steht.
Den Spannungsgedanken von Hitchcock (er hat einen bestimmten Teil einfach prägnant formuliert) halte ich überhaupt nicht für veraltet. Aber wenn du mir eine modernere Definition von „Spannung“ anbieten kannst,…
natürlich sind es alles krimis. entweder suspense oder ermittler. und allen gemeinsam ist die spannung. man möchte wissen, wie die geschichte ausgeht. ich weigere mich, mich geschwollener auszudrücken.
*virus nach drei stunden nahkampf besiegt?
und das gelerch um das vorwort verstehe ich ohnehin nicht, ich habe mich bisher deswegen geweigert, mich damit zu befassen. aber bitte, noch mal zum mitschreiben: der kleinste gemeinsame nenner von kriminalgeschichten ist die spannung; das, was patricia highsmith suspense nannte. ich kann das jetzt gar nicht anders für euch in worte fassen. man will wissen wie´s ausgeht. das ist DIE definition für krimikurzgeschichten. nicht eine leiche, nicht ein kommissar … aber ich wiederhole mich. lest es noch mal nach.
Da läuft jetzt eine Menge durcheinander. Fassen wir kurz zusammen: Bei meiner Kritik an der Kritik habe ich versucht, den Kritiker sprechen zu lassen, nicht den Autor (Kritikerkritik habe ich übrigens, von wegen „schärfster Kritiker der Elche“, auch früher schon geübt). Niemals würde ich Ludger, Axel oder wem auch immer das Recht absprechen, Texte nach den eigenen kritischen Maßstäben zu kritisieren, schon gar nicht meine eigenen. Also: zu sagen, das gefällt mir, das gefällt mir nicht, das ist in meinen Augen Krimi oder Nichtkrimi, das ist spannend, das ist länglich. So soll das auch sein.
Mein Protest gegen diese Kritik bezieht sich allein auf die ihr zugrundeliegende Prämisse. Man stürzt sich auf einen Satz aus dem ersten Absatz des Vorwortes und biegt ihn sich zu dem Draht zurecht, mit dem man dann die Beiträge knackt. Das ist erstens gegenüber der Herausgeberin unredlich, die ZWEIEINHALB Seiten Vorwort verfasst hat und, ich sage es gerne noch einmal, durchaus lesenswertes Vorwort. Es ist zweitens unredlich den BeiträgerInnen gegenüber, die man plötzlich damit konfrontiert, sie hätten sich nicht an ein imaginäres Thema „Suspenseschreiben wie La Hightsmith“ gehalten. Und es ist drittens unbefriedigend für die LeserInnen der Kritik, die so gut wie gar nichts über die eigentlichen Texte erfahren (bis auf lapidare Urteile), dafür aber sehr viel über Spannungstheorien. Da hat sich, lieber Axel, lieber Ludger, etwas verselbständigt und ein hermeneutischer Zirkel zieht munter seine Kreise.
Deine Fixiertheit auf „themenbezogene Anthologien“ verstehe ich zwar immer noch nicht, lieber Axel, aber okay. Dass der Spannungsgedanke von Hitchcock nicht „veraltet“ ist – richtig (nächste Woche gibts übrigens die Besprechung eines Buches, an dem hätte Hitchcock seine helle Freude gehabt – wäre er nicht vom Autor in einem anderen Buch böse durch den Kakao gezogen worden…); aber es ist beileibe nicht die einzige Form von Spannung. Der immer wieder eingeforderte Suspense ist, dies nebenbei, auch nicht gleichbedeutend mit Spannung, sondern allenfalls eine Variation, besser wahrscheinlich: eine Teilmenge (hallo Bernd!) davon. Dieser Spannungsbegriff ist, u.a. und jetzt wirklich nur als Schlagwort, auch epochenabhängig. Spannung im Krimi des 19. Jahrhunderts ist etwas anderes als Spannung im 20. (siehe auch meinen Beitrag zu den alten Krimis im Jahrbuch). Ein schönes Beispiel für eine Fast-Vereinigung von Spannungstheorien ist Lee Childs „Reacher“. Auf der Erzählebene ein Musterbeispiel von sukzessive sich steigernder Spannung. Sehr schön. Auf der meinetwegen „Metaebene“ entsteht eine völlig andere Art von Spannung, die sich aus dem Gestus des Protagonisten und der Inszenierungen speist. Ersteres ist durchaus konventionelle (und von mir keineswegs geringgeschätzte) Krimidramaturgie, letzteres ein allgemeines Gütezeichen von Literatur. Spannend ist beides. So viel mal dazu.
bye
dpr
„Jede Story mit einem Anfang, einer Mitte und einem Schluss hat Suspense in sich, und eine Suspense-Story, ein Thriller, hat besonders viel.“
Patricia Highsmith, Suspense
Aber merke: Highsmith hat gerade in ihren Kurzgeschichten KEINE Thriller geschrieben. Sondern über Schneckenforscher, Weiberfeinde, Tierfreunde. Suspense ohne Thriller, sozusagen.
Wenn schon, denn schon.
Ja, richtig.
Es gibt ja Literaturtheoretiker die unterstellen jedem Satz eine Storyfunktion. Also hat vermutlich (fast) jede schriftliche Äußerung Suspense – sehr aufschlussreich.
Vorwort: Sagen wir mal, jenseits des ersten Absatzes ist es gut. Dieser erste Absatz ist eine Frage des Empfängers. Mich hat’s geschüttelt, ich kann mir aber viele Menschen vorstellen, die bei ihrer Erwartungshaltung abgeholt wurden.
Ich muss gestehen, ich habe das Vorwort erst hinterher irgendwann mal gelesen. Mich interessieren Vorworte weniger als die Geschichten, die dann kommen, Absichten interessieren mich weniger als die Resultate.
na, da sind wir doch froh, dass ich den satz von highsmith nicht im vorwort zitiert habe. das hätte ja zu nicht enden wollenden missverständnissen geführt. aber freuen wir uns, dass die sache DURCH ist. die letzte rezension war schon RECHT redundant zu ludger menkes – also vielleicht kehrt ja ruhe ein.
😉