Die Zukunft der Krimikritik ist digital und liegt im Internet. Ja. Nein. Eventuell. Aber ganz anders. Jedenfalls: Der kalte, weil niemals erklärte Krieg zwischen den Parteien hat längst begonnen. Voila, die Frontlinien in diesem Stellungskrieg: Hier die „Professionellen“; Journalisten, manche mit literaturwissenschaftlichem Hintergrund, manche nur im Gewerbe, weil sie „auch Krimis“ lesen. Sie schreiben für Geld, und das ist völlig in Ordnung. Dort die „Dilettanten“ in Schopenhauerscher Definition. Liebhaber, die um des geliebten Gegenstands willen schreiben, nicht für den schnöden Mammon, der durch andere Tätigkeiten in die Haushaltskasse fließen muss.
Die Pfründe der Professionellen waren über Jahrhunderte die sogenannten Printmedien. Das hat sich geändert, seit jede Dorfzeitung ihre Online-Ausgabe hat und etwa Krimirezensionen auch digital abrufbar sind. Genau das nun bringt Professionelle und Dilettanten zusammen. Denn im Netz wird traditionell für Informationen nicht gezahlt, Bezahlblogs gar sind gänzlich abwegig. Für die Dilettanten mit ihren Blogs kein Problem; für die Professionellen schon.
Sie heißen deshalb professionell, weil sie Geld mit ihrer Arbeit verdienen. Nicht unbedingt, weil sie diese Arbeit besonders gut, kenntnisreich, unparteiisch verrichten. Ein Literaturstudium befähigt nicht per se zum kundigen Rezensieren, ja, es ist ein beständiger Kampf gegen den drohenden Verlust der Ausdrucksfähigkeit (Das schüttele ich jetzt nicht so als Anklage aus dem Ärmel. Das kann man auch von Professionellen selber hören, einem sicheren Thomas Wörtche etwa, der die Untriebe der Professionellen mehrfach schon angeprangert hat. Und der Hier-Schreiber selbst kann nur wiederholen, dass ihm stücker 80% des professionell gegen Zeilengeld über Krimi Abgesonderten nicht auf den Blog kämen. Aus Qualitätsgründen und jetzt mal ganz arrogant in den Raum gestellt). Aber auch die Liebhaberei hat ihre Tücken. Was ich mag, muss ich nicht unbedingt verstehen. Und selbst wenn ich es verstehe, muss ich es nicht logischerweise erklären können.
Die Professionellen und die Dilettanten unterscheiden sich also nicht per definitionem qualitativ. Was sie trennt, ist der Schreibantrieb – und der Ort ihrer publizistischen Aktivitäten. Während die Professionellen das Internet misstrauisch beäugen, weil es ihre Erwerbsmöglichkeiten verringern kann, lobpreisen die Dilettanten eben dieses Netz als das große basisdemokratische Becken für alle, die etwas zu sagen haben – oder dies zumindest glauben. Die Folgen sind bekannt. Unglaubliche Mengen Unsinn, aber auch viele peinliche Versuche von Professionellen, auf den unaufhaltsam fahrenden Zug Richtung Digitalien aufzuspringen.
Die Zukunft der Krimikritik ist digital und liegt im Internet. Das sagt sich so leicht. Ein kleiner Exkurs. Meine dilettantischen Versuche, über Kriminalliteratur zu schreiben, verdiene ich mir seit Jahren u.a. auf dem Gebiet der „Neuen Medien“. Wir erinnern uns. Das waren einmal die Darlings der Börsen, bis es zum großen Crash kam. Jahrelang nun habe ich den kalten Krieg der Krimirezensenten auf seinem ureigenen Gebiet, den „Neuen Medien“ miterlebt, war selbst involviert. Ich habe Menschen getroffen, die von E-Learning begeistert fanterten, als sei es das endgültige Aus für das „tradionelle Lernen“ und die Heilung aller PISA-Malässen. Ich sah mich mit Menschen konfrontiert, die jede digitale Neuerung bis aufs Blut bekämpften. Ihnen allen gemein: Sie hatten keine Ahnung von der Materie. Sie wussten nichts über die Möglichkeiten des elektronischen Lernens respektive nichts über die des tradierten. Sie waren technikbesoffen oder steckten bis zum Hals in kruden Weltkulturuntergangsvisionen. Und tun es heute noch. Wenn ich Interessenten über die Möglichkeiten digitalen Lernens aufkläre, dann besteht meine Hauptarbeit darin, ihnen – auf Deutsch gesagt – erst einmal die Flausen auszutreiben. Gelingt nicht immer.
Kommen wir zurück zur Krimikritik. Sie wird in Bälde fast ausschließlich im Internet stattfinden. Eigentlich tut sie das schon. Weder ein Thomas Wörtche in „Freitag“ noch ein Tobias Gohlis in der „Zeit“ erreichen das Gros ihres eigentlichen, d.h. an der Materie wirklich interessierten Publikums über den Printbereich ihrer medialen Plattformen. Hier werden aus den Professionellen wenigstens zum Teil auch Dilettanten, die ihre Arbeit frei zugänglich machen (müssen). Da liegt es auf der Hand, auch das Gegenteil zu bedenken. Dilettanten, die zu Professionellen werden, ihre Arbeit honoriert bekommen. In Blogs wird das nicht geschehen, kein Mensch zahlt dafür. Also brauchen wir Formen, die nicht mehr technisch definiert sind (hier Blogs mit Kommentarfunktionen, dort „normale Artikel“ ohne), sondern inhaltlich und ökonomisch. Ich möchte in Zukunft zu etwas „Mist“ sagen dürfen, ohne erwähnen zu müssen, es sei professioneller Mist oder dilettantischer Mist. Ich möchte eine Krimikultur, die unter Konkurrenzdruck funktioniert, von dilettantischen Professionellen oder professionellen Dilettanten etabliert.
Das ist nun pikanterweise keine Frage der technischen Voraussetzungen, sondern der ökonomischen und der ideellen. So wie etwa „E-Learning“ nur dort sich wirklich sinnvoll durchsetzt, wo entsprechende bezahlte Arbeitskraft und flexibles, auf den Gegenstand ausgerichtetes Denken vorhanden sind. Ob ich ein Projekt nun mit Java, Python, PHP, Flash, Shockwave, ASP, MySql oder HTML verwirkliche, ist dabei genauso nebensächlich wie die Frage, welche Varianten ich wähle, um „Krimikultur“ zu schaffen. Das Ding wird sich schlicht tragen müssen. Finanziell und ideell. Wo das Geld herkommen soll? Spannende Frage. Ich kann sie im Moment nicht beantworten. Wo das Ideelle herkommen soll? Noch spannenderer Frage. Aber die kann ich beantworten: Von den Produzenten. Und von den Konsumenten. Von den Professionellen und den Dilettanten. Und ganz oben steht: Qualität. Kompetenz. Gesichertes Wissen. Wer das nicht aufbringt, darf zurück auf seine Blogs wandern oder weiterhin die Krimikolumne des Itzehoer Volksboten betreuen.
Wir befinden uns in einer Zwischenzeit. Zwischenzeiten sind ideal für Experimente. Zwischenzeiten sind kein Platz für kalte Kriege. Für kräftiges Rütteln und Schütteln, leichtes bis schweres Provozieren aber durchaus.
Gerne möchte ich Deiner schönen Utopie zustimmen, lieber dpr. Ich glaube aber, Du übersiehst etwas. Es geht nicht ums Rüttel und Schütteln. Es geht um Macht. Macht im ideellen Bereich, Deutungshoheit. Thomas hat das in seinem Kommentar zum Eintrag „Zielgruppe“ sehr schön deutlich gemacht.
Weiterhing geht es auch um Macht im finanziellen Bereich. Die Töpfe sind klein und nur zur Hälfte gefüllt. Das Gerangel ist groß und hier überlebt nur der, der die entsprechende Deutungshoheit und das größte, zahlende Publikum anlockt. Alle anderen haben schon verloren.
Liebe Grüße
Ludger
*wandert zurück auf sein Blog
Deutungshoheit, lieber Ludger, ist ein Symptom von intellektuellen Monokulturen. Schau dir die literarischen Deutungshoheiten hierzulande an. Sie nutzen allesamt das Medium Fernsehen. R-R, Heidenreich, Scheck. Eine vernünftige Krimikultur wäre per se keine Monokultur mehr, sondern ein Ort, an dem – um den Begriff von Thomas aufzugreifen – Wissensvermittlung stattfindet. Und natürlich auch Kritik. Ich finde in diesem Zusammenhang die Äußerungen des Kollegen Klingenmaier auf →deinem Blog schon sehr bezeichnend. Der Rezensent als positiver Geschmacksverstärker; nur: Was soll der Kollege auf dem ihm zur Verfügung stehenden Podium der Kurzrezension auch anderes machen? Verrisse brauchen traditionell einen längeren Atem und entsprechenden Raum, wenn sie wirken sollen. Sie erregen größere publizistische Aufmerksamkeit, aber MACHT hast du nur noch, wenn du lobst, siehe Heidenreich und Co. Ich kann Klingenmayers Argumentation nachvollziehen. Sie ist auch Ausdruck einer korrekten Einschätzung der derzeitigen Situation. Nur: Warum sollte sich das nicht ändern? Ob wir es noch erleben, ist eine andere Frage. Aber es wird sich einiges ändern. – Die Töpfe sind tatsächlich klein und schlecht gefüllt. Solange sich jeder Mist wie geschnitten Brot verkauft, wenn er nur in einer Standard-PR-Kampagne vermarktet wird, ändert sich daran auch nichts. Gerade darum brauchen wir eine Krimikultur, die den jenseits von Deutungshoheitsansprüchen angesiedelten Leser erreicht und bestärkt. Auch mit Geschüttel und Gerangel.
bye
dpr
Ich stimme Dir in vielen Punkten zu, lieber dpr. Nur zeigen gerade Wörtches kurze Verisse, die er im „Leichenberg“ zelebriert, dass es eben doch geht. Bei ihm, wie bei „Krimi“ generell, eher für eine überschaubare Gruppe interessierter Leser. Und die sind es, die letztlich dafür sorgen, wie die Töpfe für „Kritik“ gefüllt sind.
Liebe Grüße
Ludger
Okay, hast recht. Aber die akribischen Schlachtungen liegen mir bildungsmäßig näher… Meine ähem… Vision fokussiert natürlich nicht nur das Rezensentenwesen. Sondern auch die längeren Aufsätze, die Querverbindungen etc. Und da schauts medienmäßig geradezu katastophal aus. Dabei wäre DAS jenes kritische Skelett, an das man die Rezensionen hängen könnte.
bye
dpr