Nächsten Monat erscheint, so nichts (Börsencrash, Finanzdesaster, Weltkrieg) dazwischenkommt, der erste Band der →„Criminalbibliothek 1850 – 1933“, Emilie Heinrichs mit „Leibrenten. Roman aus der Gegenwart“. Aus der Gegenwart? Der von 1867, als das Buch zum ersten- und für 141 Jahre auch zum letztenmal erschien? Nein, nein, nicht nur …
Geben Sie zu: Sie wissen überhaupt nicht, wer Emilie Heinrichs war. Ich wusste es auch nicht, bis ich zufällig – zufällig? – auf „Leibrenten“ stieß und ziemlich schnell erkannte, was für ein Juwel mir da zugelaufen war. Ein Kriminalroman? – Vorsicht. Wenn der Band als erster in der „Criminalbibliothek“ erscheint, wenngleich doch von der Chronologie her Herrn Temmes Meistererzählungen auf diesen prominenten Platz gehört hätten, dann hat das seinen guten Grund. „Leibrenten“ erklärt uns nämlich, WARUM Kriminalliteratur in der uns noch heute geläufigen Form entstehen MUSSTE, als ein Reflex auf die Zeit mit ihren Wirrnissen und neuen Strategien des legalen Verbrechens. Es geschehen Morde in „Leibrenten“ – ganz am Ende, sie werden nicht „geklärt“ (aber gerade lese ich Michael Collins‘ „Tödliche Schlagzeilen“, da wird auch nichts „geklärt“), es gibt diverse Happy Ends (man findet sich…), doch fröhlich, gar tröstlich sind die nicht.
Und es gibt eine zentrale, die quasi titelgebende Passage. Ein versoffener Rentier wird um seinen Besitz betrogen. Man dreht ihm eine „Leibrente“ an, die praktisch wertlos ist, weil man sich seine Immobilien möglichst billig unter den Nagel reißen möchte. Die werden nämlich im Wert steigen… Und wie das beschrieben ist, so genau, so sarkastisch, zugleich aber auch mit großer Wut und großer Resignation, das ist nicht nur groß, das rechtfertigte es zudem, diesen „Roman aus der Gegenwart“ auch für unsere Gegenwart zu erhalten und dem geneigten Lesepublikum bereitzustellen. Alles, was Sie schon immer über die gegenwärtige Finanzkrise, die ein gigantischer Finanzbetrug ist, wissen wollten…
Erwähnen wir die politisch-gesellschaftliche Dimension des Buches nur am Rande: die präzise Beschreibung eines „Paradigmenwechsels“, den schleichenden Machtverlust des Adels, den Aufstieg des Geld-Bürgertums auf den Rücken der „armen Leute“, die ob solcher Drangsalierungen ihr Heil nur noch in der Flucht suchen können.
Doch, das behaupte ich einfach: ein großer Roman. Ein Trivialroman. Na und? Sie werden Ihre Freude dran haben. Glauben Sie mir. Ich irre häufig, hier aber nicht.
ja, Himmel, warum gratuliert hier keiner zum guten Werk? (Man braucht nur nachzusehen, wie oft es diesen Text in der OA gibt, und wenn man dann noch, z. B. über Worldcat, nach ‚Leibrente‘ sucht, dann sieht man unmittelbar die Relevanz des Themas und die Beziehungen zu Poe.)
Also: Gratulation und beste Grüße!
Tja.
*deprimiert
Es ist halt kein zum xten Male gequirlter Hardboiled-Pulp. Doch immerhin: Bei Amazon habens schon einige Leute vorbestellt. Das lässt hoffen.
*streichelt seine OA
**streichelt gleichzeitig „Temme, Kriminalerzählungen“, Handexemplar des Verfassers
bye
dpr