Früher, vor der digitalen Revolution, musste ein Liebhaber des Krimigenres, wenn er die aktuelle Produktion überblicken wollte, die Buchhandlung seines Vertrauens aufsuchen, um sich durch die Neuerscheinungen zu schmökern; oder er ging es systematisch an und besorgte sich die Verlagskataloge. Auf öffentliche publizistische Hilfe durfte er nicht hoffen, denn Kriminalliteratur fand in den Feuilletons nur ausnahmsweise statt. Da erwies es sich als hilfreich, zwei oder drei gute Freunde zu haben, in puncto Geschmack vertrauenswürdige Personen, die einem manche Empfehlung zukommen ließen und im Gegenzug mit ebensolchen Tipps versorgt wurden.
Heute ist das anders. Wir haben das Internet, die Welt der Kriminalliteratur liegt uns zu Füßen, mitsamt unzähliger Rezensionen, Ab- und Zuräten, weiterführenden Informationen, übergreifenden Analysen… Die Leserschaft, so suggeriert uns das, greift auf ein Netzwerk differenzierter Informationen zurück, wertet Kritiken aus, vertieft sich in Leseproben, vergleicht Meinungen und trifft sodann seine Kaufentscheidungen. — Falsch.
Denn eigentlich geändert hat sich im Grunde wenig. Der idealtypische Leser, wie ihn sich die Krimikritik wünscht (schließlich lebt sie davon), ist in der Minderheit. Statt dessen wurde das perfektioniert, was schon immer über Wohl und Wehe eines Buches entschied: die Kommunikation von LeserInnen untereinander.
Beispiel Amazon. Dort kann wer möchte Bücher „rezensieren“. Die Anführungszeichen stehen nicht zufällig um das Wort, denn von dem, was professionelle Literaturkritik leisten sollte, sind diese Meinungen oft weit entfernt. Ganz zu schweigen von dem Missbrauchspotential, das fleißig von Freunden und Feinden eines Autors genutzt wird, um Titel zu lancieren oder zu diskreditieren. Und dennoch: Wie das Beispiel Sebastian Fitzek zeigt, sind Hunderte begeisterter Amazon-Lesermeinungen nützlicher als ausgeklügelte PR-Kampagnen. Ein Debütant, den der Buchhandel zunächst links liegen lässt, schafft es über die berühmte Mundpropaganda endlich auch auf die Tische der großen Verkaufsketten. Ein Märchen? Vielleicht. Aber kein Einzelfall.
Inzwischen kann man bei Amazon auch die „Rezensionen“ der Kundschaft kommentieren, jede Bewertung ist also auch eine Art Blogeintrag. Es gibt ein Forum, in dem zumeist um Empfehlungen gebeten wird (…gute deutsche Thriller…Krimis so ähnlich wie Mankell…Serienkillerkrimis…), die denn auch nicht lange auf sich warten lassen. Auch Deutschlands größtes Internetkrimiportal, die „Krimi-Couch“ lebt davon, dass seine Community sich längst diversifiziert hat. Man kennt sich. Man weiß, dass User A. einen mit dem eigenen Geschmack vergleichbaren hat. Was er mir empfiehlt, dürfte also mit ziemlicher Sicherheit auch meine Ansprüche befriedigen. Bei Amazon wird diese Suche nach dem Mr. oder der Mrs. Right in Sachen Krimivorlieben noch weiter perfektioniert. „Kunden, die dieses Buch kauften, kauften auch“… ja, sogar: „Kunden, die sich diesen Titel ansahen, haben sich auch folgende Titel angesehen“).
Wäre man Kulturpessimist, es müsste einen grausen. Nicht Analyse und begründete Urteile, wie man sie von Rezensionen eigentlich erwartet, bestimmen das Kaufverhalten, sondern häufig genug ein schlichtes „Geil!“, „Konnte das Buch nicht mehr aus der Hand legen!“, „Hammerkrimi!“, „Langweilig!“, „Zu wenig Blut!“. Entscheidend ist, aus welchen Mündern solche Empfehlungen und Verdikte kommen. Ist der oder die mein „Buddy“? Stimmen wir, was Krimis anbetrifft, überein?
Aber man kann es auch gelassener sehen: LeserInnen folgen nicht nur gerne der großen Herde und vertrauen darauf, dass wer im Fernsehen Bücher anpreist über einen absolut guten Geschmack verfügen muss (sonst wäre der oder die ja nicht im Fernsehen!), sie lieben es auch, im eigenen Saft zu schmoren. Wer gerne Serienmörderthriller liest, dem kann man mit Heinrich Steinfest nicht kommen, Bewunderer des Noir lesen keine Hamburger Labskauskrimis und Anhänger der Miss Marple lassen die Finger von Herrn Izzo.
Die fundierte Kritik als Grundlage einer abenteuerlichen Reise durch noch unentdeckte Welten des Genres bleibt ein seltener Glücksfall. Wer hat auch die Zeit, sich durch Dutzende von Besprechungen zu lesen, wo doch ein schlichtes „Hat mir gefallen“ von meinem Geschmackszwilling im Netz angenehme Leseaufenthalte in der vertrauten Ländlichkeit meiner literarischen Welt garantiert?
Du vergisst die besonders fundierte Beschreibung von Umschlag und Schriftgröße. Ist ja auch wichtig. Besonders letzteres für ältere Leser.
* denkt zielgruppenspezifisch
Klar, dass der Amazonquatsch bei der Bewertung von Büchern nichts bringt. Genauso absurd wäre es, Bücher zur Stiftung Warentest zu schicken.
Dagegen wird die Leseprobe immer noch sehr unterschätzt. Der Rezensent kann mir viel erzählen; die Stimme des Autors sollte immer hörbar sein. Auch oder trotz der Rezension. Das lässt sich ja sehr schön im Internet realisieren.
Ich habe mir aber auch früher schon Bücher empfehlen lassen, die meine Freundin „gut“ fand. Und ich empfehle fleißig weiter auf diese Art. Ich frage vielleicht noch: „Was magst Du?“, dass ich keinem Steinfest-Fan einen Steinpilz empfehle. Aber dann müssen zwei Sätze und eine Empfehlung reichen, ich rezitiere sicher keine Rezension. Das war doch schon immer so.
Der Unterschied ist wohl die Reichweite: Wir mussten uns persönlich treffen (oder telefonieren) und vielleicht haben es noch fünf Leute gehört, das wars dann. Wird daselbe bei Amazon „gesagt“ haben theoretisch unbegrenzt viele Leute Zugang.
Ich denke, klar, das „im eigenen Saft schmoren“, das kann ich nachvollziehen. Ich frage mich nur, ob es früher nicht noch schlimmer war. Wie hätten 0815-NormalleserInnen überhaupt von einem Kleinverlagsbuch erfahren? Eher gar nicht und empfehlen kann man beiläufig nur, was mann kennt. Jetzt kommts ja vor, mitunter, dass so etwas empfohlen wird.