Zoran Živković: Das letzte Buch

Seit geraumer Zeit behelligen uns mehr (Giwi Margwelaschwilis „Officer Pembry“) oder weniger (Pinar Kürs „Mordsfakultät“) gelungene „postmoderne Krimis“, die weit davon entfernt sind, „postmodern“ zu sein und im Grunde nur ein simples Thema variieren. Das geht wie folgt:

Es gibt eine Realwelt und eine Buchwelt. Indem nun Personen aus der einen in die andere einsickern, wird die jeweilige (poetische) Einheit beider Welten beschädigt. Die Grenzen werden durchlässig, das Ganze dekonstruiert sich zu einem vielseitig interpretierbaren Szenario, das mal tiefsinnig („Leben wir nicht alle irgendwie in ‚Großn Romanen‘?“) mal anarchisch witzig (der Autor trifft auf seinen Protagonisten, die Fetzen fliegen) daherkommt.

Ganz davon abgesehen, dass die Meisterwerke der sogenannten literarischen Postmoderne längst geschrieben waren, als die Moderne begann (um nur einige zu nennen: Sternes „Tristram Shandy“, Carrolls „Sylvie & Bruno“, ETA Hoffmanns Doppelroman „Kater Murr“), sind die mit solchen Etikettierungen versehenen Produkte kriminalliterarischen Schaffens schlichte Mogelpackungen. Wohl ist es seit jeher ein Kennzeichen von „Postmodernität“ (ein Begriff, der selbst so flirrend durch die Definitionsräume taumelt, dass er sich nicht fassen lässt), narrative Sinneinheiten zu brüskieren, die Vorgängerliteratur als Zitat zu verwenden, sich auf Metaebenen zu bewegen und Literatur aus Literatur heraus zu erschaffen, doch etwas mehr als die Formelhaftigkeit, mit der sich nun der Kriminalroman reichlich verspätet des Themas annimmt, sollte es schon sein. Und an den großen Konventionen kratzt man selten, schon gar nicht an der allergrößten, ja sakrosankten: Lass, lieber Autor, deine Leser nicht dumm sterben. Genau daran krankt auch Zoran Živkovićs „Das letzte Buch“.

In einer Buchhandlung stirbt ein Kunde. Todesursache unbekannt, Kommissar Lukic muss her. Der hat eigentlich Literatur studiert, fühlt sich also nicht fremd an solchem Ort. Das Geschäft wird von zwei Buchhändlerinnen geführt, die eine schnippisch-kritisch, die andere hübsch und nett. In letztere verliebt sich Lukic und sie sich in ihn. Derweil der nächste Kunde dahinscheidet. Und wieder einer. Da liegen Lukic und seine Vera längst im Bett, der Kommissar wird von Albträumen heimgesucht. Die Toten gehörten zu den sogenannten „Patienten“ des Etablissements. Sie hatten merkwürdige Angewohnheiten (brachten Bücher, die sie heimlich deponierten, ordneten neu), waren ansonsten aber harmlos. Bald konzentriert sich die Suche des Kriminalisten auf ein mysteriöses „letztes Buch“. Wer darin liest, stirbt umgehend. Chemisch-biologische Kriegsführung? Terrorismus? Das ruft auch den Geheimdienst auf den Plan, der seine Augen und Ohren überall hat. Aber natürlich ist Lukic schneller. Er kommt einer Art Geheimloge auf die Schliche und entgeht dem Tod nur knapp. Ansonsten wird sehr viel Tee getrunken, der Fall klärt sich daher logischerweise auch in einem Teehaus auf.

Tja. Sehr nett. Aber wenden wir uns dem Leser zu, der ein Buch gekauft hat, auf dessen Cover folgendes steht: „Ein postmoderner Thriller von einem Meister des schwarzen Humors“. Das mit dem Humor, dem schwarzen, gehört zu den letzten Ankern in der Texterbranche, wenn einem sonst partout nichts einfällt, machen wir den Autor nicht dafür verantwortlich. Aber das mit dem „postmodern“ darf man ihm schon anlasten. Er führt den Leser sogleich auf ein bestimmtes Feld, wo es gilt, Spuren zu lesen. Wo immer Krimis „postmodern“ sein wollen, haben sie merkwürdigerweise etwas mit Büchern zu tun. Wenn Kommissar Lukic räsoniert, ein Dialog, eine Szene komme ihm ir-gend-wie bekannt vor, weiß der Leser: aha. Jetzt treffen sich Wirklichkeit und Literatur. Das mit dem Gift im Buch ist natürlich Unsinn. Die Opfer sterben an dem, was sie gerade lesen. Dann die Albträume unseres Helden. Auch sie weisen auf „das letzte Buch“. Im denkenden Leser reift ein Gedanke heran und, sagen wir, spätestens nach zwei Dritteln der Lektüre weiß er, welches Buch hier gemeint ist und warum jeder, der es liest, sterben MUSS.

Dann der Showdown. Der Fall wird aufgeklärt, der Leser ist nur wenig überrascht. Die Auflösung ist ganz nett – aber sie ist mehr als das. Der Autor übernimmt nämlich gleichzeitig die Rolle des Kritikers und liefert uns die Erklärung des Ganzen gleich mit und unterstreicht dabei (vielleicht ironisch), wie er Kriminalromane einordnet. Natürlich muss am Ende vollständige Klarheit herrschen und natürlich sind Krimis ernsthafte Literatur.

Warum er das tut, ist leider allzu klar: Er hat Angst. Angst vor den „ehernen Gesetzen des Genres“. Hätte er tatsächlich etwas „Postmodernes“ schreiben wollen, wäre ihm nicht im Traum (!) eingefallen, uns diese Geschichte wie jedes herkömmliche Produkt der Spannungsbranche aufzulösen. Er hat einerseits den Leser konditioniert, die Zeichen zu erkennen, andererseits jedoch traut er ihm nicht zu, die Zeichen zu deuten. Die wirklich nette und souverän erzählte Geschichte brettert in ein unnötiges Finale, dem Andeutungen weitaus besser getan hätten als dieses übervorsichtige Explizieren. Ja, bereits vor dem Finale liegt alles so ausgebreitet da (und das heißt: für den Leser produktiv zu verarbeiten), dass durch einfaches Weglassen der letzten Seiten viel gewonnen gewesen wäre. So aber zerbricht das Konstrukt im Leser unter der Eindeutigkeit der auktorial-diktatorischen Instanz.

Postmodern? Ach was. Der Autor nimmt das Krimilegoland auseinander und setzt es, als er die empörten Blicke der Kinderlein gewahrt, schnell wieder zusammen. Schiere Konvention. Hübsch, aber nicht mehr.

Zoran Živković: Das letzte Buch. 
Dtv 2008. 223 Seiten, 9,95 €
(Poslednja knjiga, 2007. Aus dem Serbischen von Astrid Philippsen)

2 Gedanken zu „Zoran Živković: Das letzte Buch“

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