Frank Goyke: Altweibersommer

Theodor Fontane ermittelt. So, so. Nicht mehr ganz jung, die großen Romane noch ungeschrieben, mit journalistischen Brotarbeiten hält er sich und seine Familie über Wasser. Auf einer Recherchereise durch die Mark Brandenburg wird er plötzlich mit dem Tod eines alten Bekannten konfrontiert. Der, einst Arbeitskollege Fontanes, hat es zum Immobilienking und eingeheirateten Adligen gebracht und liegt jetzt mit zerfetztem Kopf in einer Wildschweinkuhle. Selbstmord? Sieht so aus, denn die Geschäfte des Herrn standen vor dem Bankrott. Und Fontane? Der zweifelt an der Selbstmordthese, wie auch anders in einem Kriminalroman, und, siehe oben, ermittelt.

Okay; Edgar Poe haben sie ja auch schon zum Ermittler gemacht, desgleichen Arthur Conan Doyle, demnächst dürfte Friedrich Glauser unter die Detektive fallen. Warum also nicht zur Abwechslung mal Theodor Fontane, Autor von „Unterm Birnbaum“, jener klassischen Kriminalnovelle, aus der für manchen die gesamte Kriminalliteratur des 19. Jahrhunderts zu bestehen scheint, von der „Judenbuche“ und dem „Fräulein von Scuderi“ einmal abgesehen. Und wenn sich mit Frank Goyke ein durchaus routinierter Autor der Aufgabe annimmt, kann nichts schiefgehen.

Geht auch nicht. „Altweibersommer“ ist ein nach bewährten Mustern gestrickter Roman, dem Herrn Fontane wird ein äußerst hilfsbereiter Kommissar beigegeben, zusammen ist man bemüht, Licht ins Dunkel zu bringen. Sämtliche Beteiligten werden abgegrast, gute Gelegenheit für Goyke, uns mit den verschiedenen Gesellschaftsschichten des jungen deutschen Kaiserreichs von 1873 bekannt zu machen. Wir verkehren in höheren Kreisen ebenso wie im nackten Elend der Berliner Slums, werden Zeuge, wie eine Immobilienblase platzt (da hat der Autor natürlich, was den Bezug zur Gegenwart anbelangt, furchtbar Glück gehabt) und erhalten nebenher Einblicke in das Leben eines Dichters, bevor er als solcher anerkannt war.

Nicht nur das. Weiteres historisches Personal von Gewicht darf mitspielen. Der Maler Adolph Menzel etwa, dem es obliegt, „Fahnungsfotos“ zu zeichnen. Und der weltberühmte Mediziner Rudolf Virchow, der die Leiche des Opfers obduziert und feststellt: Es war Mord! Schreiben kann Goyke ohnehin. Er übertreibt es nicht mit den Fakten und versteht es, sie beiläufig in die Geschichte einzuschmuggeln. Gut, ein „Thriller“ ist das nicht gerade. Die Spannung hält sich in Grenzen, wer warum, das ist die große Frage. Sie wird ohne größeres Überraschungsmoment zuverlässig von Fontane und der ihm beigegebenen Polizei beantwortet.

„Altweibersommer“: eine hübsche Lektüre, wenn einem die dunklen Abgründe, in die Kriminalliteratur ansonsten ihr Näschen steckt, für ein paar Tage zuwider sind, wenn’s zur Abwechselung mal was Historisch-Regionales sein darf. Harmlos. Na und? Nett eben. Wird fortgesetzt, versteht sich.

Frank Goyke: Altweibersommer. Theodor Fontanes erster Fall. 
berlin.krimi.verlag (Bebra) 2008. 268 Seiten. 9,90 €

Ein Gedanke zu „Frank Goyke: Altweibersommer“

  1. schaurig-schöner „Altweibersommer“, in dem man mit aufdringlichem Augenzwinkern Detektiv=Autor=Täter postulieren darf.

    Beste Grüße!

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