Kriminalliteratur aus Ländern, die sich – wirtschaftlich oder politisch oder beides – im Wandel befinden: das ist per se spannend. Denken wir an Kuba, überhaupt an Lateinamerika, an China, an Südafrika… Während sich sonstwo Krimi als fügsamer Transporteur konsumabler Spannung und Klitzekleindämonen selbst genügen mag, geht dort, wo Werte neu definiert werden müssen, die kriminalliterarische Post ab. Sollte man meinen. Geht aber leider auch anders.
Dunai Marks, Anfang 30, lebt in Kapstadt, der „gefährlichsten Stadt der Welt“. Sie arbeitet für STOP, eine Organisation, die sich für die Rechte der Frauen, vor allem das auf Abtreibung einsetzt. Eines Tages findet Dunai, alleinerziehende Mutter und Waisenhauszögling, ihre Chefin Siobhan tot im Büro, ermordet. Sie glaubt nicht an die Einbruchstheorie der Polizei. Zusammen mit dem Privatdetektiv Carl Lambrecht geht sie der Sache nach – und sticht in ein Wespennest. Siobhan war so edel nicht, wie Dunai dachte, eine Menge Leute hätte guten Grund gehabt, sie zu töten. Und dann gibt es noch „Cerchio di Gaia“, einen möglicherweise seit Jahrhunderten wirkenden Geheimbund von Frauen, die die Dämonisierung und Unterdrückung ihres Geschlechts auch mit Gewalt bekämpfen wollen. Ihr Zeichen ist eine Kette mit Doppelkreuzanhänger.
Natürlich gerät Dunai zwischen die Fronten, wird bedroht, attackiert. Nebenbei muss sie noch ihr eigenes kleines Leben organisieren, ihre leibliche Mutter finden und mit den erotischen Gefühlen für Lambrecht klarkommen. Eine Menge Arbeit…
Auch für den Leser. Denn hier kommt wirklich einiges zusammen: die Probleme einer alleinerziehenden Mutter, Südafrika mit seiner explodierenden Gewalt, schließlich das generelle Problem der Unterdrückung der Frau. Da steckt viel drin – und auch wieder nicht. Südafrika zum Beispiel könnte überall sein, wo Gewalt und Frauenfeindlichkeit an der Tagesordnung sind, das Thema der global vernetzten und das Patriarchat attackierenden Frauen wird auf ziemlich naiv dozierende Weise einfach verschenkt, und Dunai geht einem schlicht auf die Nerven mit ihrer Besserwisserei. Was nun ganz der Autorin selbst zugeschoben werden muss, die ihrem Be-Schreiben – aus gutem Grund – misstraut und daher in redundante Erklärungen und das übliche, „fotorealistische“ Schema des Erzählens flüchten muss, bei dem sich eine Nichtigkeit an die nächste reiht und kaum ein Klischee unbenutzt bleibt.
Selbst das übergeordnete Thema, ob denn der gute Zweck die brutalen Mittel heiligt, verschwindet unter all den standardisierten Bauteilen eines „Thrillers“ fast komplett. Und der Kriminalfall? Wenn es irgendwie nicht weitergeht, kommt garantiert von irgendwo ein Lichtlein her, der Bösewicht lässt sich nach dem altbewährten Muster „Suche den Unverdächtigsten und du hast den Täter“ bequem bei der Lektüre vorab dingfest machen. Dabei ist die Grundidee ja wirklich tragfähig. Die Nöte des Individuums werden hochgerechnet beziehungsweise die globale Schande der Gewalt gegen Frauen auf das Individuum runtergebrochen. Allerdings: Dazu braucht es mehr als die arg limitierten Mittel Tracy Gilpins und ihrer aus der eigenen künstlerischen Not geborenen Hinwendung zum biederen Normkrimi.
Tracy Gilpin: Stunde der Buße.
Heyne 2009. 432 Seiten. 8,95 €
(Double Cross, 2008, deutsch von Jens Plassmann)
‚das ist per se spannend‘ – ist aber auch ein ganz hoher Anspruch. Dark Video (von wem nun wieder ?) und Chameleon (Erasmus) könnten, glaub ich, auch überall spielen. Ist doch okay so. Schließlich kennt zunächst SA-Leser SA-Verhältnisse. Und SA-Autor ist immer in erster Linie Autor (und zu gar nix verpflichtet. Ein gutes Buch wär schön.) Universelle Einsichten/Wahrheiten, zeitlose Dokumente, die ‚heute‘ aktueller als ‚damals‘ sind, ist ja auch ein Anspruch.
Aber klar – ein Gilpin-Holterdiepolter ist eine erschöpfende Herausforderung. Die ICH bislang noch nicht bewältigt habe – wir hoffen immer noch, in die Arme von Carl zu gleiten – da brauchte ich ein Atem-Päuschen ; daher : Hut ab !
Ja, vielleicht ein zu hoher Anspruch, liebe Ana. Aber „spannend“ eben auch unter dem Aspekt, was jemand aus dieser Situation macht. Wobei es jedermanns gutes Recht ist, gar nichts draus zu machen. Gilpin indes schreibt explizit einen Krimi, der auf die südafrikanische Problematik abhebt. Und da hätte ich mir schon erheblich mehr gewünscht als eine Ansammlung von Klischees. Wie man so etwas hinkriegt, zeigt Qiu Yiaolong. Und der lebt noch nicht mal in China, kennt sich aber aus.
bye
dpr