Wieder einmal: ganz schlechter Krimi

Genau das ist er: der furchtbar schlechte Krimi. Wie man einen solchen schreibt, erleben wir in der Nachbereitung des aktuellen Schulamoklaufs in Winnenden, zu der sich wie stets nach solchen Tragödien die Schmierenautoren versammeln, um eine stringente Geschichte mit haarscharfer Motivlage und präziser Schuldzuweisung zu basteln. Um sie herum schwirren die Heuchler, die Verlogenen, die Moralisten. In München hat man das Starkbieranstechen auf dem Nockherberg abgesagt. Man ist betroffen und möchte nicht das bei dieser Gelegenheit praktizierte „Politiker-Derbleck’n“ plus kabarettistischem Singspiel aufführen. Nach Winnenden, merke, ist Lachen verboten. Wenigstens bis zum Sonntag, und auch das nur, weil heuer Wahlkampfzeit ist.

Doch, ganz schlechter Krimi. Wer war’s? Ein Junge, der Depressionen hatte und Killerspiele spielte. Die Knarre lag bei Papa im Schlafzimmer, wie bequem. Also schaffen wir die Killerspiele ab. Die Depressionen vielleicht auch, wenigstens könnte man sie verbieten. Knarren wegschließen, Security in die Schulen, das Internet stärker kontrollieren. Und nun das Ganze zusammensetzen, dramaturgisch feilen – schon geht’s auf: ein stringenter Krimi, das ideale Ablenkungsprodukt, die perfekte Eskapistenvorlage.

In diesem Krimi stört alles, was wir besser nicht wahrhaben wollen. Die Schule als Welt in nuce, als das Sammelbecken dessen, was in dieser Gesellschaft alles munter schiefläuft und zum „Krimi“ nicht taugt. Wie hier Bildung ganz selbstverständlich zur Grundlage beruflicher Zukunft zurechtgestutzt worden ist, lern, sonst landest du im Hartz und kannst dort bis zur Sozialrente Urlaub machen. Nur Fakten bringen dich voran, das heißt: muss nicht sein, wenn du die falsche Sozialisation gehabt hast, das falsche Elternhaus, die falschen Freunde, die falschen Lehrer. Mach das Abitur, studiere, dann wirst du später mal viel Geld verdienen. Das heißt: oder auch nicht. Lerne Teamfähigkeit, also: immer strategisch alles freundlich abnicken, was deine Chefs dir vorplappern, im Hintergrund intrigieren, so wird man Politiker, so wird man Elite. Lies nur Fachbücher. Oder: Glotz ohne Unterlass in die Verdummungsmaschinen, das Fernsehen, das Internet, die hippen Zeitschriften, die wunderbar unabhängigen und toll recherchierten Zeitungen. So wirst du zum – ja, zu was eigentlich? Zum Zombie des 21. Jahrhunderts. Muss nicht sein, dass du irgend wann in deine Schule gehst und alles, was dir in die Quere kommt, abschießt. Muss nicht sein. Vielleicht bist du einfach nur ein Rädchen im Getriebe der anderen, ja, das ganz bestimmt, einer, den sie nicht mehr deformieren, nicht mehr verdummen, nicht mehr an der kurzen Leine halten müssen. Du bist es ja schon: der Inbegriff all dessen, worüber wir lieber nichts wissen wollen. All dessen, was man in Talkshows nicht argumentativ halsbrecherisch zurechtbiegt, also verschweigt. All dessen, für das wir nicht unsere hirnlose Standarddramaturgie, unseren immergleichen Pool der Motive, der Bösewichter, der billigen Lösungen bemühen können, also: bemühen wir sie.

Du kannst dich auf zwei Dinge verlassen: Es wird wieder passieren. Und: Sie werden wieder aus ihren Höhlen kriechen, die Produzenten verdammt schlechter Krimis.

12 Gedanken zu „Wieder einmal: ganz schlechter Krimi“

  1. Genau so sieht’s aus: Danke für die klaren Worte.
    Gruß,
    Ulrich

    PS: Allein wegen solcher Rezensionen würde ich wtd abonnieren, wenn’s denn ginge.

  2. Ganz ähnlich, lieber dpr, hatte ich gestern am Mittagstisch lamentiert.

    „Bildung ganz selbstverständlich zur Grundlage beruflicher Zukunft zurechtgestutzt worden ist,“

    Soviel besser war es ja nun früher auch nicht. Als Bildung noch nicht zurechtgestutzt war, war sie schlichtweg nicht vorhanden, denn sie betraf eher einen sehr kleinen Teil der Gesellschaft. Zudem wurde man ja nie das Gefühl los (siehe Snow), dass „Bildung“ naturwissenschaftliche und mathematische Bildung nicht meinte.

    Das Utilaristische der Bildung dient natürlich einem nicht gerade geringen Zweck: Es erhält und fördert die institutionelle Intelligenz der Gesellschaft (das meine ich übrigens nicht ironisch), Im Vergleich von vor 20 oder 50 Jahren ist unsere Gesellschaft viel komplexer strukturiert; meine eigene Berufstätigkeit ist voll von Beispielen, die zeigen, dass wir Intelligenz von Einzelnen auf Prozesse ausgliedern und die Einzelnen diese Prozesse am Laufen zu halten.

    Nun könnte man halt versuchen, den alten Humboldt herbei zu romantisieren, aber wir als Land stehen nun einmal in dem bestehenden globalen Kontext. Aus dem kann man sich auch ohne erhebliche soziale Verwerfungen nicht ausklinken.

    Ansonsten hast Du natürlich recht. Unsere Bildungsinstitutionen sind nicht besonders gut und produziert einen gigantischen Satz an Zukurzgekommenen und mentalen Loosern. Man wird das Gefühlt nicht los, dass das daran liegt, dass die christlich Konservativen genauso wie die Liberalen und Linken ihren jeweiligen ideologischen Selbstlügen erlagen.

    Die Schulleiterin der Grundschule vor Ort zumindest sagte mir mal (ganz ohne Pisa), dass ein Viertel der Kinder, die eingeschult werden, mit Kenntnissen und Fertigkeiten aufwarten, die die der Elterngeneration weit übersteigen, ein Viertel läge aber auch weit darunter.

    Mit dem Verbot von Computerspielen wird man das wohl nicht lösen.

  3. eben bin ich in der stadt ca. 6 mal an der bildzeitung vorbeigekommen, die heute in 3 bildern titelt, wie der amokläufer abgeknallt wird … damit das nicht verloren geht.

  4. Gerade WEIL die Dinge heute um vieles komplexer sind, muss die Schule von der Pauk- und Versagerproduzieranstalt wegkommen! Wobei „Schule“ immer für „die Gesellschaft“ steht. Zumal die alten Gesetze, Bildung = gutes Auskommen etc., längst nicht mehr gelten. Dass wir in einer „Leistungsgesellschaft“ lebten, kann auch nur glauben, wer an dieser Gesellschaft vorbeilebt. Und dann, siehe Anobellas Beobachtung, die mediale Aufbereitung des Täters (nicht nur in BILD). Sehr hübsch.

    bye
    dpr

  5. „Gerade WEIL die Dinge heute um vieles komplexer sind, muss die Schule von der Pauk- und Versagerproduzieranstalt wegkommen!“

    Habe ich ja nicht bestritten !

    Und ja, es ist einer dieser Tage, da möchte man das Abo der Süddeutschen kündigen.

  6. OT. Anobella:

    ich wollte Dir als Kommentar Internetradiolinks schicken, aber twoday ist leider so SCHEISSE, dass es den Kommentar nicht nur beiseite legt, sondern verwirft: „Error: Dieser Eintrag wurde als Spam klassifiziert und wurde verworfen“.

    Falls sie Dich interessieren und ich habe sie gespeichert.

  7. Nein, hast du nicht, lieber Bernd. Wenn wir von Bildung reden, kann das auch keine Rückkehr zu Humboldt bedeuten. Wiewohl dessen Konzept nicht an solches obsolet ist.

    bye
    dpr

  8. hallo bernd, merkwürdig – ich konnte letztens links ins antwortfeld legen – schick sie mir doch als mail, dann lege ich sie in den beitrag, den ich fest verlinken will … danke schon mal!

  9. Macht ihr hier nicht etwas, was ihr anderen vorwerft, indem ihr hier für ein (berechtigtes) Anliegen einen Vorgang instrumentalisiert, obwohl irgendein Zusammenhang höchst zweifelhaft ist? Denn wenn ein Zusammenhang bestehen würde, müsste dann nicht nahezu wöchentlich etwas Vergleichbares passieren?

    Gruß
    thomas

  10. In dieser Falle sitzt man immer. Man schreibt etwas gegen die simplen Schnellschüsse, um wenigstens eine andere Deutungsmöglichkeit erwähnt zu haben – und läuft Gefahr, ebenfalls zu schnell geschossen zu haben. – Mir geht es aber hier gar nicht in erster Linie um den konkreten Fall. Sondern um Institutionen, die dazu beitragen, Menschen zu deformieren. Die Schule ist gewiss nicht für alles Schlechte verantwortlich, aber sie ist ein Teil des Systems (zu dem u.a. auch das Elternhaus gehört). Das sind grundsätzliche Dinge, keine, die einem Lösungen anbieten. Die übliche Diskussion nach solchen Vorfällen ist aber genau das: Eine Einteilung der Welt in gut und böse, eine Art Ermittlung mit präziser Benennung der „Verantwortlichen“. Schlechter Krimi halt. Und das ist mir zu einfach, viel zu einfach.

    bye
    dpr

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