Ende eines Projekts

Hurra! Gute Nachricht für alle Schnäppchenjäger unter den Krimifreunden! Die Edition Köln verscherbelt kurz nach dem Erscheinen des 10. und letzten Bandes ihre von Frank Göhre herausgegebene Reihe →„Kriminelle Sittengeschichte Deutschlands!“. Statt über 100 jetzt nur schlappe 38 €! Da heißt es zugreifen! Das finden wir klasse! – Nein. Ganz offen: Das finden wir sehr traurig.

„Herausgeber und Verlag hatten sich gern auf das Projekt eingelassen, weil es eine im wörtlichen Sinn „spannende“ Aufzeichnung deutscher Gegenwartsgeschichte versprach und zudem eine Geschichte des deutschen Krimis, die es in dieser Art nicht gibt. Die Autoren freuten sich über die Wiedergeburt ihrer Kinder, Herausgeber und Verlag edierten mit Elan und Liebe, die Bücher waren außen schön und innen interessant, zudem preiswert, es gab genug Werbung und wohlmeinende Rezensionen – und der Abverkauf war wider Erwarten ein völliges Desaster. Von allen zehn Bänden wurde ungefähr die gleiche, deprimierend niedrige Zahl verkauft, was darauf schließen lässt, dass hier bibliophile Sammler zugriffen. Die Mehrzahl der Krimifreunde aber interessierte sich nicht dafür, weder für die allgemeine Geschichte, noch für die des eigenen Genres. Das ist traurig, aber so ist zur Zeit die Interessenlage.“

Nun gut, sagen die Apologeten des gnadenlos freien Marktes, das ist eben unternehmerisches Risiko. Die Leute wollen Krimis lesen, auf dem neuesten Stand sollten sie sein, Einmalspritzen für die Dosis Adrenalin. Irgendwelche „Projekte“, die darüber hinausgehen könnten – bitte nicht. Größere Zusammenhänge? Hallo? Sind nicht vonnöten, überlassen wir denen, die es brauchen, und wenn das nur wenige sind, dann hat so etwas auch nur geringe Aussicht auf Erfolg. Lasset die Mörder morden, die Opfer sterben, die Ermittler ermitteln, genügt uns schon. Wo man fahrtüchtige Autos abwrackt, nur weil sie alt sind, da zählt nur noch der quietschbunte, brandneue Retortenthriller.

Nun kann man ja wenig dagegen einwenden. Der Konsument konsumiert, was der Konsument konsumieren will. Soll er. Wie sich sogar in Kriminalliteratur Sozialgeschichte spiegelt, ja, wie sie dort vielleicht erst jene Gestalt annimmt, die uns offiziöse Geschichtsschreibung nicht vermitteln will oder kann – das zu erleben, gehört nicht zu den Prioritäten des Genreliebhabers.

Kriminalliteratur, so der Eindruck, wird von der überwältigenden Mehrheit ihrer Verehrer als per se geschichtslos eingeschätzt. Dabei ist sie genau das nicht. Die Reihe der „Kriminellen Sittengeschichte“ war ein charmanter Versuch, die Entstehungsbedingungen von Krimis aufzuzeigen, ihre Bindung an Zeiten und Ereignisse, Moden und die soziale Großwetterlage, ihre Fähigkeit, Genresensorien in das Sittenbild der sie umgebenden Gesellschaft einzuführen. Es gab – etwa gleich im ersten Band – „Duell im Dunkel“ von Egon Eis – einen zu Unrecht vergessenen Roman zu entdecken, mit Helga Riedel eine einst gefeierte Autorin wiederzulesen, dazu eine Menge Stoff für Diskussionen. Gehört tatsächlich XY in die Reihe? Nicht doch besser YZ?

Die von Verlag und Herausgeber mit großen Engagement und noch größerem Mut realisierte „Sittengeschichte“ hätte bestenfalls unsere Sinne für die beinahe verlorene Kriminalliteratur schärfen können. Stattdessen wiederholt sich, scheint es, für die Klassiker der jüngeren Genregeschichte, was schon für die der älteren verhängnisvoll war: Man vergisst sie ganz einfach. Wo aber keine kritisch gezogenen Traditionslinien erkennbar sind, fehlt auch der Maßstab, Neues einzuordnen. Kampflos überlässt man das Feld den Ahnungslosen, den Marktstrategen, den Geschichtsklitterern, die alte Hüte als neue, Epigonales als Meisterliches verkaufen dürfen.

Doch, das hätte spannend werden können, spannend und lehrreich. Eine Waffe gegen die neuesten PR-Gags, den üblichen journalistischen Wahnsinn des „Der deutsche Krimi beginnt mit Friedrich Glauser oder wahlweise Friedrich Schiller, kann auch Friedrich Ani gewesen sein“.

Alles legitim. Nur sollte man sich darüber im Klaren sein, dass eine solche Haltung zur Marginalisierung von Kriminalliteratur entscheidend beiträgt. Ihr ein Wichtiges, die Geschichte nämlich, vorzuenthalten, erniedrigt sie zum reinen Entertainment-Produkt und fördert das, was ach so viele beklagen: das erbärmliche Niveau eines Großteils der von hirn- und talentlosen Schablo- und Schwadroneuren verfertigten Massenware Krimi, die weiter voranschreitende Verdrängung ambitionierter Titel aus dem Bewusstsein wie aus den Buchhandlungen, das Resignieren derer, die ob solcher Missachtung ihren Beruf (der sie eh in den seltensten Fällen auch nur notdürftig ernähren konnte) an den Nagel hängen, die arrogante Beiläufigkeit, mit der des Genres in weiten Teilen der Presse gedacht wird, die aus schierer Unkenntnis gespeiste Unbeholfenheit öffentlicher Stichwortgeber.

Also, noch einmal: Hier kann man ein Schnäppchen machen, und wenn’s denn sein soll, dann mache man es halt:

„Wir werden pro Band nur 200 Exemplare vorrätig halten, die wir im Herbstkatalog 2009 als 10er-Pack für EUR 38,- anbieten, also EUR 3.80 pro Band, knapp über dem Selbstkostenpreis.“

dpr

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