Sittengeschichte

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Von einem lobenswerten und höchst überfälligen Projekt ist zu berichten. Ab Januar 2008 wird Frank Göhre bei der →Edition Köln eine „kriminelle Sittengeschichte Deutschlands in zehn Bänden“ herausgeben. Dahinter verbirgt sich nun kein Kraftakt in soziologischer Theorie, sondern schlicht die Wiederauflage von zehn exemplarischen Kriminalromanen aus dem Zeitraum 1957 – 1993.

Nun sind Krimis zwar niemals „mehr als Krimi“, aber, wenn sie wirklich gut sind, eben immer mehr als Thrill und Raterei. Unter anderem Indikatoren für die Befindlichkeit einer Gesellschaft. Aneinandergereiht ergeben sie also eine Geschichte, was allerdings voraussetzt, dass man der Kriminalliteratur – speziell hierzulande – eine Geschichte zubilligt.

Göhres Projekt ist ein wichtiger Schritt auf dem langen und steinigen Weg zu einer anerkannten Geschichte der deutschen Kriminalliteratur. Es beginnt mit →„Duell im Dunkel“ von Egon Eis, einem beinahe völlig vergessenen Roman, den aufmerksame Leserinnen und Leser dieses Blogs allerdings schon kennen, ebenso Helga Riedels →„Einer muß tot“. Zwar deutscherkrimipreiswürdig, aber, wie so vieles andere, von den kreischenden Lokomotiven der Krimihochkonjunktur längst wieder ins Vergessen gedrängt. Hier nun wird im Rahmen eines konzeptionell anspruchsvollen Projekts widerdie bei Krimis immer wieder zu beklagende Ex-und-Hopp-Mentalität gehandelt. Das dies nicht von den „Großen“ der Branche ausgeht, sondern einem eher kleineren Verlag überlassen bleibt, ist symptomatisch.

Die zehn Bände – als letzter ist Robert Bracks „Psychofieber“ aus dem Jahr 1993 vorgesehen – verraten auch einiges über die Entwicklung des Genres hinsichtlich seiner Dramaturgie, die immer in Abhängigkeit zur Intention gesehen werden sollte. Riedels Roman etwa ist weit entfernt von den Spannungsanforderungen, die heutige Leser an Kriminalliteratur stellen. Auch hier geht es also um Geschichte, denn sie verrät uns u.a. einiges über die Konsumenten von Krimis.

Wir werden dieses Projekt im nächsten Jahr aufmerksam verfolgen. Zu wünschen wäre natürlich eine Ausweitung, ein Zurück zu den Wurzeln deutschen Krimischaffens im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Ob wir darauf hoffen dürfen? Ich jedenfalls verrate hier noch nichts…aber freut euch schon mal und reserviert 30-40 Zentimeter Regalplatz!

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