Mohammed Hanif : Eine Kiste explodierender Mangos

Wenn 1988 in Islamabad, Pakistan, zum 4. Juli in der amerikanischen Botschaft eine Grillparty unter dem Motto ‘Kabul – Texas’ steigt, dann kostümieren sich die (wohlgemerkt) amerikanischen Gäste gern und überschwänglich als afghanische Stammesfürsten. Und wenn der OBL (Osama Bin Laden) anklopft und ihm der örtliche CIA-Chef im Vorübergehen anerkennend zuraunt : “Gute Arbeit. Machen Sie weiter so”, dann lässt sich der OBL getrost durchs Party-Getümmel treiben, auch ohne rechten Anschluss zu finden.

Doch was ist mit einer Armee los, deren erste Maxime beim Dschungel-Überlebenstraining lautet: Du darfst deinen Retter nicht sexuell belästigen ? Und was kann man von einem Staat erwarten, in dem Geheimdienstler aus Leidenschaft und einem Überschuss an Freizeit im Nebenjob Kinoplakate malen, der Diktator selbst eine akut-chronische Alarmstufe Rot für die eigene Sicherheit ausruft. Und er damit trotz Paranoia völlig richtig liegt, während der CIA-Chef mit einem Saudi-Prinzen zum Abendessen nach Pakistan um die Wette jettet? So war das damals, wilder wahrscheinlich. Oder könnte so gewesen sein, wie uns Mohammed Hanif in ‘Eine Kiste explodierender Mangos’ nahe legt.

Im ‘Hexenkessel’ Islamabad, wo Verschwörungen und Dinner-Partys dem einen oder anderen fast den Lebensmut rauben, ist einiges im Gange. Das weiß auch Staatschef Zia ul-Haq, den allerdings erst die Lektüre eines beunruhigenden Koran-Verses gänzlich verunsichert. Am 17. August 1988 stieg der (reale) pakistanische Staatschef mit einer Reihe seiner wichtigsten Generäle und dem amerikanischen Botschafter in ein Flugzeug, das umgehend nach dem Start abstürzte. Attentat oder Unfall ? Diese Frage konnte trotz offizieller Untersuchungen nie eindeutig geklärt werden. Bis heute klingt die Attentat-Theorie plausibler, machte sich General und Staatschef Zia doch innerhalb seiner elfjährigen Amtszeit eine Menge Feinde. Kaum hatte er sich an die Macht geputscht, führte er strengstes Kriegsrecht ein, ließ von einem Gericht die Hinrichtung seines Vorgängers Zulfikar Ali Bhutto absegnen und förderte eine starke Islamisierung im Land. Außenpolitisch blieb er jedoch ein bester Freund Amerikas und trug nicht wenig dazu bei, dass afghanische Guerilla-Truppen, die Mudschaheddin, die sowjetische Armee aus ihrem Land vertreiben konnten. Dass dann die Taliban das Land übernahmen und al-Qaida mächtige Dinge ausbrütete, schien vorerst niemanden zu stören. Der Diktator Zia hingegen saß zwischen allen Stühlen. Und es gab einige, die über die Lust und die Macht verfügten, Zia ul-Haq aus der Luft zu bomben. Sein eigener Geheimdienst schien ihm nicht sicher. Andere politische Gruppierungen wollten sich im Vielvölkerstaat Pakistan nicht ausrotten lassen. Die eigenen Generäle waren unzufrieden. Alte Feinde wie Indien, die Sowjet-Union, die Israelis sowie Gruppierungen in Afghanistan – immer weniger schienen Zia wohlgesinnt. Auch die CIA wird in den allgemein bekannten Verschwörungs-Mord-Theorien genannt. Und zwar u. a. mit der für den Roman Titel gebenden Kiste Mangos, in die – so das Gerücht – die CIA ein Nervengas gefüllt haben könnte.

Für die Real-Satire ‘Eine Kiste explodierender Mangos’ musste Mohammed Hanif also kaum tief in die Trickkiste greifen, die realen Ereignisse sowie die Spekulationen um diese sind grotesk genug. In einer Diktatur, so sagt man, fürchten sich alle vor einem und einer vor allen. Dass daran was dran ist, zeigt uns Hanif, wenn er uns durch Zias letzte Monate führt : Ein von Furcht und Paranoia gezeichneter Diktator, der bis zuletzt an Selbstherrlichkeit und Arroganz festhält und den eigenen Tod ebenso fürchtet wie die vermeintliche Fehlinterpretation seiner Taten durch die Nachwelt. Und ein von Armut und Sharia gebeuteltes Land, das der Willkür des Diktators ausgeliefert ist. Dazu zaubert Hanif einen Luftwaffenkadetten, der als (fiktiver) einziger Überlebender des Flugzeugabsturzes erzählen kann, was wirklich geschah. Ganz clever arrangiert Hanif hier alle möglichen Mord-Verschwörungstheorien und fügt noch einige weitere an : So verfolgt Luftwaffenkadett Ali Shigri z. B. sein ganz privates Vergeltungskomplott. Der Fluch einer zur Steinigung verurteilten blinden Frau, die mehrfach vergewaltigt wurde, greift ins Geschehen ein, eine Krähe folgt ihrem Schicksal und ein abgelagertes sämiges Gift sowie einige üble Bandwürmer tun ihr Übriges. Am Ende stellt sich nur eine Frage : Wie vieler Mordkomplotte bedarf es denn, um einen Einzelnen umzubringen ?

Mohammed Hanif nähert sich dem Diktator Zia und zeigt doch in dessen Innenschau nur, dass hier mehr Lüster als Licht zu finden ist, das gesamte Lametta nur Inkompetenz und Selbstzweifel übertüncht. In der zweiten großen Erzählperspektive führt Hanif in eine desolate Armee ein, die von Korruption und Inkompetenz nur so strotzt und ihre Gegner in Folterverliesen verrotten lässt. Das ist in den einzelnen, alternierenden Szenen ebenso amüsant wie erschreckend, da Hanif die Story klug montiert.

Und doch bleibt das ganz große Feuerwerk aus. Zu berechnend oder berechenbar ist Hanifs Erzählstrategie. Slapstick-Szenen überraschen zwar immer wieder, das (Humor-)Kalkül jedoch wird absehbar, der Abgesang auf Militär und Diktatur gerät zu wenig originell. Und auch die Dramaturgie will nicht recht kulminieren. Oder – um im Bild zu bleiben – am Ende stürzt die C-130 vom Himmel, doch der große Knall, die Explosion im Text, bleibt aus. Die Armee, der Krieg, so erzählt uns Hanif, sind eine Farce. Diktatur eine unmenschliche Veranstaltung, die von außen wie von innen (aus der Distanz) betrachtet einem Panoptikum gleicht. Aber solch simple Einsichten schaden ‘Eine Kiste explodierender Mangos’ nicht wirklich. Hanif liefert auf geistreiche Weise dem Leser eine Menge Einblicke in ein dunkles Kapitel Pakistans. Die Islamische Republik Pakistan, die Nuklearmacht, die ebenso als Pulverfass wie als ein engster Verbündeter Amerikas im Kampf gegen radikal islamischen Terror gilt, wirkte und wirkt ordentlich am Weltgeschehen mit. ‘Eine Kiste explodierender Mangos’ bietet einen spannenden Blick auf Pakistan im Besonderen und den Wahnsinn von Diktaturen im Allgemeinen. Hanif, der nach längerem Auslandsaufenthalt inzwischen als BBC-Reporter wieder in Pakistan lebt, hat eine böse Farce geschrieben, die für südasiatische Verhältnisse wahrscheinlich noch viel respektloser ist, als man sie im Westen wahrnimmt. 2008 war Mohammed Hanif für den Man Booker Prize nominiert. Gerade wurde er mit dem Commonwealth Writers’ Prize für sein Debut ausgezeichnet. Also – trotz der kleinen, knickrigen Vorbehalte der Rezensentin – es läuft für Hanif ! Wunderbar sogar.

Mohammed Hanif : Eine Kiste explodierender Mangos (A Case of Exploding Mangoes, 2008). Roman. Deutsch von Ursula Gräfe. München : A 1 2009. 383 Seiten. 22,80 Euro.

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