Die Ermittler werden auch immer unzulänglicher. Und dafür die Krimis immer dicker, kein Wunder. Ganz zu schweigen von den Geschichten, die da erzählt werden. Rettete man sich früher vor dem prallen Leben und seinem Handlungsgewirr in eine schön überschaubare Spannungsgeschichte, ist man jetzt nach der Lektüre bisweilen froh, in die Übersichtlichkeit des wirklichen Lebens zurückkehren zu dürfen. Mei, was für Fäden da manchmal ausgelegt werden! Tröstlich immerhin, wenn man an Ariadnefäden durch diese Labyrinthe gelotst wird.
Aber zurück zu den Ermittlern. Bettina Boll zum Beispiel, die in Monika Geiers „Die Herzen aller Mädchen“ als Halbtagspolizistin ihr Geld verdient. Sie wird als solche manch schweren Fehler begehen, angefangen damit, dass sie mit nichtvorhandenen Lateinkenntnissen renommieren möchte und damit sofort beim BKA landet. In der dortigen Sonderkommission grübelt man über das anonyme Auftauchen einer alten und selbstverständlich wertvollen Handschrift. Irgend jemand hat vor vielen hundert Jahren Ovids „Liebeskunst“ in ein unscheinbares Heft geschrieben und mit entsprechenden Zeichnungen versehen. Jetzt ruht der Schatz in einer noblen Bibliothek, vom Experten Gregor Krampe wissenschaftlich betreut. Dieser Gregor ist auch der Sohn eines bekannten, inzwischen verstorbenen Bestsellerautors. Auf seine Mutter hat man zudem gerade einen Sprengstoffanschlag verübt, und eine bayrische Wahrsagerin macht dem Forscher und Frauenliebling auch noch zu schaffen. Pralles Leben eben.
Zu dem gehört natürlich, dass sich Bettina Boll in Gregor verliebt und just in der Nacht mit ihm im Bett landet, als die Handschrift gestohlen wird. Eine gemütlich-undurchsichtige Versicherungsdetektivin, eine herbe BKA-Chefin und allerhand sonstiges Personal mischen ebenfalls mit, und Bettina Boll macht wacker weitere Fehler. Außerdem kommt sie mit ihren beiden Kindern nicht klar, die eigentlich gar nicht ihre Kinder, sondern die ihrer verstorbenen Schwester sind, zudem fliegt die Geschichte durch Zeit und Raum und landet, nicht nur Ovids wegen, im Italien vergangener Zeiten und Traumata.
Noch einmal: pralles Leben, alles drin. Und so etwas muss doch schiefgehen, oder? Normalerweise schon, wir könnten Legionen von traurigen Beispielen am inneren Auge der Leserschaft vorbeischlurfen lassen. Dass Monika Geier die Sache ganz gut über die Bühne bringt (na ja; am Ende ist die Boll vielleicht ein bissel zu hellsichtig, obwohl sie doch gar nicht die Hellseherin im Stück ist), hat einen einfachen, aber klassischen Grund: Die Frau beherrscht ihr Handwerk. So einfach ist das.
Und so einfach eben wieder nicht. Schon wie Geier das Thema „Liebeskunst“ von Ovid variiert und um dieses strukturierende Leitmotiv ihren eigenen Text webt, ist von allererster Güte und beileibe kein neckisches Kunsthandwerk. Ovids Lehrgedicht über das Zustandekommen und das Festhalten der Liebe, über den beständigen Kampf und die technischen Feinheiten spiegelt sich in allen Handlungsfäden wieder, von der Liebe eines Sohnes zu seinem Vater bis zum Verlust eines geliebten Menschen durch den Tod und den Liebesverrat. Hier wird nicht doziert, sondern gezeigt, in einer Sprache, die man am kürzesten und treffendsten vielleicht als „wach“ bezeichnen kann, als wach und konzentriert, mit wohldosierten Abschweifungen und ironischen Brechungen. Aber das kennen wir schon aus den Vorgängerromanen.
So gibt es über „Die Herzen aller Mädchen“ nur Gutes zu sagen. Und selbst dort, wo ob des allzu prallen Lebens ein wenig Skepsis sich regt, verfliegt diese rasch wieder. Eine gelungene Mischung aus Unterhaltung und Intelligenz ist Monika Geier da gelungen, wie man denn überhaupt sagen muss, dass sich die Ariadne Krimis immer eindrucksvoller aus dem sonstigen Krimiallerlei erheben. Weiter so.
Monika Geier: Die Herzen aller Mädchen.
Ariadne / Argumente 2009. 351 Seiten. 11 €