Rex Miller: Im Blutrausch

Dass die Romane Rex Millers wahre Schlachtfeste sind, hat sich inzwischen herumgesprochen. Nichts für Zartbesaitete und Ästheten – aber hier stock ich schon. Denn andererseits steckt hinter dem groben Gemetzel eine filigrane Ästhetik, der Feingeist splattert sozusagen, der Intellekt (von dem der Volksmund mutmaßt, er sei eher „blutleer“) badet in Strömen von Blut, die Literatur (sofern man ihr zubilligt, am Rande auch etwas mit Sprache zu tun zu haben) watet durch den Morast des Ekligen. Na schön. „Im Blutrausch“ eignet sich kaum als das ideale Geschenk für Eltern vierzehnjähriger Töchter. Ein Geschenk bleibt es dennoch.

Frank Spain ist Berufsmörder. Er arbeitet für die Mafia, ein perfekter Angestellter, skrupellos, der Mord als ehrliches Tagwerk. Daneben führt er ein Leben als biederer Bürger, mit Frau und Tochter und Eigenheim, nur die Arbeitszeiten sind halt etwas unregelmäßig. Dann zerbricht die Welt des Frank Spain. Seine Frau geht fremd und verlässt ihn, seine vierzehnjährige Tochter Tiff verfällt dem Schulgigolo und macht ebenfalls die Biege. Das nimmt kein gutes Ende. Der knackige Junge entpuppt sich als eiskalter Zuhälter, die Freier sind Sadisten, Tiff wird verkauft, gerät in immer traumatischere Situationen und haucht ihr junges Leben als Hauptdarstellerin eines Snuff-Videos aus.

Als Spain vom Schicksal seiner Tochter erfährt, flippt er aus. Alle, die für Tiffs Martyrium verantwortlich sind, müssen büßen, aber das sind pikanterweise auch die eigenen Mafiabosse, für die Kinderprostitution ein zwar lohnender, doch peripherer Geschäftszweig ist. Spain also beginnt seinen Rachefeldzug – und es wird Zeit für Frank Eichord, Star der Serienkiller-Ermittlerszene.

Wie schon „Fettsack“ erzählt auch „Im Blutrausch“ zwei Geschichten. Neben der Haupthandlung entwickelt sich ein Strang idyllischen Glücks, abermals lernt Eichord bei seinen Ermittlungen eine Frau kennen, die er ohne die Verbrechen nicht kennengelernt hätte. Das Grauen gebiert die Harmonie, aus dem Entsetzen erblüht das Bürgerliche. Noch stärker als in „Fettsack“ sind diesmal die beiden Extreme ineinander verzahnt. Denn der Clou der Story liegt ja gerade darin, dass Spain, der treue Gehilfe des Verbrechens, plötzlich zum furchtbarsten Rächer mutiert. Er, der genau wusste, womit seine Chefs ihr Geld verdienten – unter anderem auch mit Snuff-Videos und zum Anschaffen geschickten Kindern – er, dem das bisher am Allerwertesten vorbeiging, baut sich nun seine eigene Moral samt Gesetzgebung und Vollstreckung auf, er wird auf sehr vertrackte Weise zum „Guten“. Das lässt tief blicken und ist eben so gar nicht abseitig.

Sondern die schnöde Wirklichkeit. Solange es nicht uns selbst betrifft, wenn wir gar davon profitieren, mag schreiendes Unrecht geschehen – es interessiert uns nicht. Wenn aber wir selbst zu Leidtragenden werden – dann gnade den „Bösen“ Gott. Das lässt sich schön auf den Alltag herunterbrechen, auf die Ausbeutung allüberall, an der wir direkt oder indirekt hübsch mitverdienen, das ist der schicke Sportschuh, für den sich Kinder krummlegen müssen, aber wehe, es ist unser Kind. So steigen wir mit Frank Spain nicht in die Abgründe des Abnormen hinunter, wir fallen vielmehr in die des Bürgerlichen hinab.

Denn indem Miller uns mitnimmt auf einen langen Tripp sadistischer Rache, führt er uns doch nur durch unsere tägliche Welt. Dafür allein gebührt ihm Dank. Grandios wird das Ganze aber durch Millers Sprache, durch seinen enorm flexiblen Stil, seine Handhabung der Tempi etwa, den souveränen Wechsel zwischen nüchterner Beschreibung und Klamauk oder die alles durchdringende Lakonik. Das zu übersetzen ist nicht einfach, Joachim Körber hat es prima auf die Reihe gekriegt. Wer also wissen möchte, warum sich Gemetzel und Ästhetik, das Unerhörte und das Alltägliche nicht ausschließen, der lese Rex Miller.

Rex Miller: Im Blutrausch. 
Edition Phantasia 2009
(Frenzy, 1988. Deutsch von Joachim Körber).
318 Seiten. 17,90 €

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