Geoffrey Household: Einzelgänger, männlich

Ein Mann mit einem Gewehr schleicht sich auf das Grundstück eines Diktators und bekommt ihn ins Fadenkreuz. Bevor er schießen kann (will er das überhaupt?), wird der Mann entdeckt, gefoltert, von einem Felsen geworfen. Er überlebt und flüchtet aus dem Land des Diktators in seine Heimat, England. Gerettet ist er nicht. Die Agenten des Diktators sind ihm auf den Fersen, als er einen von ihnen tötet, jagt ihn auch die englische Polizei. Der Mann gräbt sich einen Bau, lebt dort wie ein Tier. Es nützt ihm wenig. Die Agenten scheuchen ihn auf, es kommt zum großen Showdown…

Was sich so übersichtlich anhört, ist alles andere als das. Geoffrey Households „Einzelgänger, männlich“ von 1939 ist ein Buch, dessen Fundierung man sich erarbeiten muss, ein Buch voller Irritationen und Wahnwitzigkeiten.

Der Text, aus der historischen Perspektive betrachtet: Natürlich handelt es sich bei dem Diktator um Adolf Hitler, und der Mann, der ihn da ins Visier nimmt, agiert stellvertretend für die englische Appeasement-Politik, deren Höhepunkt erreicht war, als Premier Chamberlain und andere im Münchner Abkommen Hitler das Sudetenland „überließen“ und glaubten, ihn damit besänftigt zu haben. Sie hatten den Diktator im Visier – und drückten sozusagen nicht ab. Der von Household entworfene Protagonist kann als Zuspitzung dieses Typus Politiker gesehen werden: Er ist ein bekannter Exzentriker, Großwildjäger, Sportsmann, beinahe schon die Karikatur des englischen Gentlemans, irgendwie weit weg von den Banalitäten des Alltags und der knallharten Expansionspolitik.

Denn das ist die andere Perspektive: Während der Protagonist in seinem Bau dahinvegetiert, räsonniert er über die „upper class“, der er entstammt. Ihr Patriotismus ist ambivalent, ihre für Dekadenz so charakteristische Arroganz derart überwältigend, dass sie sich in einer ausgeprägten Klassengesellschaft über allen Klassen wähnt. Sie tut die Dinge um der Dinge willen, sie hat keine handfesten Motive. So sieht der Held seine „Tat“ denn auch als sinnfreien Sport. Den Diktator zu töten, war nie seine Absicht (das redet er sich jedenfalls ein), gehört so etwas doch nicht zum Fundus einer mit steifer Oberlippe in ihren Clubs agierenden Schicht, die eben aus männlichen Einzelgängern besteht.

Man wird bei Households Beschreibung jener degenerierten upper class unwillkürlich an Derek Raymond erinnert und dessen Beschreibungen der höheren Stände im autobiografischen „The hidden files“. Hier wie dort entsteht das Bild einer buchstäblich in ihrem Bau verschanzten Kaste (schon ihre „Clubs“ ähneln ja solchen Tierbehausungen), die von allen Seiten bedrängt wird und längst auf dem Niveau des Animalischen, der stumpfsinnigen Reflexhandlung angelangt ist. Nicht von ungefähr entpuppt sich auch der Hauptgegenspieler unseres Protagonisten als Sprößling der upper class. Nur dass sich bei ihm das Degenerierte nicht in der Sinnfreiheit, sondern im Hass auf Albion manifestiert, weil ihm „die Liebe zum Vaterland“ einst eingeprügelt wurde.

„Einzelgänger, männlich“ lässt sich auf diesen historischen und soziopsychologischen Folien lesen; als Beschreibung einer Dekadenz, die weder mit der Wirklichkeit noch der Logik zurecht kommt. Denn im Grunde muss die Entscheidung des Protagonisten, sich in seiner Heimat nicht zu offenbaren, weil dies Deutschland in die Hände spielen könnte, als unlogisch erscheinen. Vor dem Hintergrund der skizzierten Gegebenheiten erlangt sie jedoch Sinn: Es ist die Entscheidung eines von der Gesellschaft und ihren Mechanismen abgeschnittenen Menschen, stellvertretend für seine herrschende Klasse.

Doch Household belässt es nicht bei der Beschreibung. Ganz allmählich vollzieht sich die Verwandlung jenes männlichen Einzelgängers. Er, der fest davon überzeugt war, sein „Attentat“ sei nichts weiter als eine sportliche Herausforderung, verrät sich und den Lesern den wahren Grund für seine Tat. Und der ist zutiefst menschlich, wurde doch die große Liebe des Protagonisten von Hitlers Schergen ermordet. Letztlich erkennt der Protagonist, dass er abgedrückt hätte, wäre er nicht zu früh entdeckt worden. Und mit dieser Erkenntnis wird aus dem Snob „ein Rächer mit Gründen“. Am Ende löst er sich aus der Bedrängnis, der tierischen Existenz im Bau, um abermals auf die Pirsch zu gehen – so wie England nach dem Scheitern seiner lauwarmen Friedenspolitik in den Krieg gegen Hitlerdeutschland eintritt.

„Einzelgänger, männlich“ ist ein zeitloser Klassiker, nicht nur als „Verfolgungsthriller“, sondern, mehr noch, als Blaupause für eine Gesellschaft kurz vor oder mitten in der Dekadenz, mit einem bitterbösen Humor unterfüttert, der sich nur aus der Situation selbst erschließen lässt. Trotz mehrerer Verfilmungen und einiger Auflagen in deutscher Übersetzung noch immer eine Art Geheimtipp. Aber das wird sich hoffentlich ändern.

Geoffrey Household: Einzelgänger, männlich. 
Kein und Aber 2009. 232 Seiten. 16,90 €
(Rogue Male, 1939. Deutsch von Michael Bodmer)

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