‘Der Mensch ist, was er isst,’ stellte Feuerbach klar, wobei das täglich Brot nicht nur dem Leib, sondern durchaus auch der Sinnlichkeit bekömmlich ist. (Heil-)Wirksamkeit von Nahrung und Genuss pur lassen sich in vielerlei Gerichten köstlich kombinieren. Doch Vorsicht bei den Zutaten! Gift im Wein, Hormone im Wasser, Pestizide im Obst, Antibiotika im Fleisch und und und – die Mahlzeit kann lebensgefährlich werden. Der Gourmet gibt sich bestürzt, der gewöhnliche Esser ist ratlos. Was tun? Nun, schon Miguel de Cervantes (16. Jahrhundert) formulierte klarsichtig über die unabwendbare Notwendigkeit zu essen, und die heutige Lebensmittel-Mafia kann sich immer noch auf die alte Weisheit verlassen: ‘Alles Elend wird vergessen, gibt es etwas zu essen.’
Mit Ich vertraue dir hat das Autorenduo Massimo Carlotto und Francesco Abate einen richtig fiesen Text über die ‘Lebensmittel-Manipulations-Branche’ geschrieben, der mit Gigi Vianello einen sympathisch verabscheuenswerten Helden beim lesenden Publikum einführt. Gigi kennt sich mit Il Buon Vivere und La Dolce Vita bestens aus, doch musste der Gigolo mit den außergewöhnlichen Augen, die wie bei David Bowie mit zwei unterschiedlichen Farben verblüffen, zunächst einige Widrigkeiten durchstehen, um sich auf Sardinien ein einträglich kriminelles und zugleich ruhiges Leben einrichten zu können. Der clevere Ex-Drogendealer aus Venetien, den einst die irrsinnige Liebe einer jungen Frau unter die Fuchtel ihres brutalen Mafioso-Vaters getrieben hatte, kannte keine Skrupel, um sich der sonderbaren Sippe zu entledigen, floh und baute geschickt ein kleines Imperium auf Sardinien auf. Die Lebensmittelmanipulation läuft prima, die Qualität der manipulierten Ware wird in den Kategorien ‘Scheiße’ und ‘Superscheiße’ gehandelt, wobei Gigi vorausschauend denkt und niemals zu viel ‘Superscheiße’ an einem Ort abstößt. Die Nachfrage ist so groß, dass er teilweise seinen Kundenstamm kaum mit verseuchter, chemisch aufbereiteter, umettiketierter Ware bedienen kann.
Nicht ausschließlich um diesen kriminell vergiftenden Lebenswandel zu tarnen, sondern auch um selbst genussvoll und unbesorgt speisen zu können, hat er sich mit dem Lokal Chez Momò einen Gourmettempel erschaffen, den seine wenig geliebte, aber fürs Geschäft nützliche Freundin führen darf. Durch dieses praktische Arrangement hat Gigi, der Geschäftsmann, auch mehr Freizeit! Die er gern fürs Amusement nutzt, und wie könnte man sich besser amüsieren als in den Armen einer Frau? Die Lust vergeht, der Ärger kommt, Gigi verliert die Nerven und findet, er habe viel zu viel zu verlieren, um über einen dummen Mord zu straucheln. Doch langsam wird auch ihm klar, dass er sein kleines Paradies verlieren könnte: Ein Spinnennetz aus la Vendetta zieht sich plötzlich immer enger um ihn, und seine Mitmenschen, die er einst so kunstgerecht zu manipulieren verstand, verfügen ebenfalls über eine Menge krimineller Energie.
Abate und Carlotto haben mit Ich vertraue dir einen bissig zynischen Text verfasst, der mit seinem bösen Humor die Lektüre zum Vergnügen werden lässt. Die Story um giftige Lebensmittel kommt fast ein wenig kurz, zu stark konzentrieren sich die Autoren auf ihren eitlen Macho-Narziss Gigi und seine zusammenbrechende Welt. Am meisten aber beeindruckt, wie ganz en passant ein ziemlich temperamentvoller Rundumschlag in Sachen Kulturkritik in die Handlung einfließt: La famiglia, Kapitalismus, Medien, Korruption, Politik, die längst zur telenovela verkommen scheint… Alles ist manipuliert, alles Inszenierung? Und Gigi nur ein kluges, aber noch zu vorlautes Kind seiner Zeit?
Massimo Carlotto / Francesco Abate: Ich vertraue dir.
C. Bertelsmann 2009 (Mi Fido Di Te, 2008. Deutsch von Ulrich Hartmann).
224 Seiten. 16,95€