Seid doch endlich nett zueinander!

Die Welt der Spannungsliteratur schlägt Alarm. In Großbritannien verweigert →eine Kritikerin das Besprechen von Kriminalromanen mit der Begründung, diese seien frauenfeindlich (via →Menkes Twitter-Kriminaldauerdienst). Aus Deutschland erreichen uns Gerüchte, ein sensibler Großkritiker ziehe sich mit dem Argument, Krimis seien männerfeindlich, aus dem Geschäft zurück. Da dem Genre auch eine generelle Mörderfeindlichkeit nicht abgesprochen werden kann, dürfte hier ebenfalls noch einiges an Konfliktpotential vor der Eruption stehen. Der Krimi am Ende? Wir müssen handeln…

… und zwar durch eine konsequente Säuberung der Texte von allen möglichen Feindlichkeiten. Das geht leichter als man denkt. Durch einfachste Maßnahmen etwa lassen sich jegliche Geschlechterhinweise tilgen. Nicht mehr Herr Meier erwürgt Frau Schmidt, sondern Person A erwürgt Person B. Natürlich muss man aufpassen. „Person A begab sich in das Pissoir“ ist ein Satz, der zukünftig der Vergangenheit angehören dürfte, entlarvt er Person A doch eindeutig als Mann. „Person B telefonierte zwei Stunden mit ihrer Freundin“ ebenfalls. Erstens, weil Männer genetisch bedingt keine zwei Stunden am Stück telefonieren können, zweitens, weil der Begriff „Freundin“ durch den Begriff „befreundete Person C“ ersetzt werden sollte.

Ganz heikel: die Gewalt an sich. Jemanden erwürgen, erdolchen, erschießen – das zu lesen, kann als Affront gegen die Ausgeglichenheit des Gemüts gedeutet werden, ist also extrem harmoniefeindlich. Vielleicht sollte man es in Zukunft bei dem Hinweis „Person A hat die Lebensdauer von Person B ein wenig verkürzt“ belassen und auf sämtliche Einzelheiten verzichten. Zumal „Person A hat Person B mit einem Küchenmesser erstochen“ uns schwere Proteste aus Solingen einbringen dürfte. Allgemein wäre zu überlegen, die Kriminalliteratur vollständig von Verbrechen zu säubern. Eine gewisse Verletzung ungeschriebener Genreregeln müsste dabei wohl in Kauf genommen werden.

Aber damit ist es natürlich nicht getan, denn das Feindliche lauert allüberall. „Über Münster lagen dichte Regenwolken“ klingt wie eine simple Wetteranalyse, ist jedoch in Wirklichkeit extrem münsterfeindlich, weil in der Lage, den dortigen Fremdenverkehr massiv zu beinträchtigen. Eine Aussagen wie „Er betete zu Gott, dass dieser Kelch an ihm vorübergehen möge“ entpuppt sich bei genauer Analyse als atheistenfeindlich. „Seine Adidas-Latschen waren unbrauchbar geworden“ ist ein Affront gegen die deutsche Markenschuhindustrie und kann so – auch im Hinblick auf die Arbeitsplätze – nicht mehr hingenommen werden.

Man sieht: Es gibt einiges zu tun, um aus der feindseligen Kriminalliteratur jenes ungetrübte Lesevergnügen zu machen, als das sie doch einmal gedacht war. Wir fordern die unbedingte und sofortige Einsetzung einer Reinigungskommission, eines runden Tisches zur Säuberung der Krimisprache zum Behufe der Nichtbeleidigung aller relevanten Interessengruppen unserer Gesellschaft. Am Ende wäre die Kriminalliteratur wunderbar sauber, ausgeglichen und von überwältigender Friedlichkeit. Mit einer Ausnahme: Sie wäre eine Feindin der Sprache. Aber die kennts ja nicht anders.

6 Gedanken zu „Seid doch endlich nett zueinander!“

  1. Alles gut und schön. Aber der Satz „Über Münster lagen dichte Regenwolken“ ist münsterfreundlich, weil er impliziert, dass dieser Zustand in der Vergangenheit liegt, dass es also jetzt sonnig ist. Das ist zwar meist gelogen, aber man kann ja nicht alles haben.

    Und „Er betete zu Gott, dass dieser Kelch an ihm vorübergehen möge“ ist außerdem winzerfeindlich.

    * hat’s kapiert
    ** schreibt am ersten gereinigten Krimi

  2. Münsterfreundlich, winzerfeindlich? Da sieht man wieder mal, wie dringend notwendig eine absolut klinisch saubere Krimischreiberei ist! Nichts als Missverständnisse!

    bye
    dpr

  3. Einsichtig wie man durch dprs Texte werden kann, habe ich die Entfernung meiner Romane vom Markt beschlossen. Stehe bereits in Entschädigungsverhandlungen mit meinem Verleger, während die Kerzenindustrie sich eines dicken Auftrags erfreuen kann: Wachslichter für die Absolution. Im Übrigen: Auch „Sonnenschein über Münster“ ist diskriminierend,geht das doch voll gegen die Regenjackenhersteller.

  4. Und ich kriege viel, viel Geld von Suhrkamp. Weil ich meinen Roman gar nicht erst veröffentlicht habe. Für ein Schlösschen in der Toskana reicht das allemal.

  5. Nun, aufpassen sollte man schon, wird Kriminal- und auch SF-Literatur gerne dazu verwendet um bestimmte Ideologien zu verbreiten. Auf Beispiele möchte ich hier verzichten, um nicht unfreiwillig auch zur Streuung beizutragen. Man kann aber auch leicht über das Ziel hinausschiessen, sofern man gewillt ist, jedes Wort solange auf der Waagschale zu drehen, bis tatsächlich ein vermeindliches Ungleichgewicht eventuell zu erkennen ist.
    Ich erinnere mich an einen Leserbrief einer erbosten Mutter eines schwerbeschädigten Kindes, die von Martha Grimes verlangte, sie möge sich bitte öffentlich dafür entschuldigen, dass sie in einem ihrer Romane schrieb, ein gengeschädigtes Kind würde blödsinnig vor sich hinstarren.

    Um zum Ausgangspunkt zurückzukehren:

    Eigentlich verstehe ich nicht, warum die großen religiösen Standardwerke nicht endlich überarbeitet werden. Die strotzen gerade zu von frauenfeindlichen Passagen. Da ist die Aufregung um ein paar Krimis doch wie ein Schluck Süßwasser in der Nordsee.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert