Der allgegenwärtige Krimiautor

Hallo. Ich bin ein Krimiautor in den Zeiten des Internets, der großen Vernetzung. Ich bin der Souverän meinerselbst und bedauere meine Vorgänger, die, wenn sie bekannt werden wollten, immer auf DIE ANDEREN angewiesen waren: die Presse, die Fernsehfritzen, die Germanisten, die aus dem Werbevollen schöpfenden Verleger. Heute ist das ganz anders. Ich stromere durchs Netz und stelle mich meinen zukünftigen LeserInnen vor. Der Weltruhm ist nur eine Homepage weit entfernt.

Genau: die Homepage. Damit fängt alles an. Eine Homepage braucht jeder Autor, es genügt die Standardversion: Biografie, Werk, Bildergalerie, Termine, „was die Fachpresse sagt“ (natürlich nur die positiven Reaktionen). Gästebuch? Hm, ja. Aber im Auge behalten. Könnte ja mal ein unzufriedener Leser, ein neidischer Kollege… Gilt auch für Blogs. Alles ganz nett, aber gefährlich. Überhaupt: Will man denn mit seinen Lesern kommunizieren? Steht nicht alles schon im Buch respektive auf der Homepage? Okay. Wer seinen Sermon ablässt („Verehrter Autor…“) und tatsächlich Antwort von diesem verehrten Autor bekommt, der ist ein fast sicherer Kaufkandidat für das nächste Buch. Aber lohnt sich das? Für den lausigen Euro Honorar den Verständnisvollen, Gebauchpinselten, Volksnahen spielen? Und was soll man denn in diesen Blogs immer so vom Stapel lassen? „Mein neuer Krimi ist erschienen!“ – „Mein neuer Krimi wird in drei Monaten erscheinen!“ – „Mein neuer Krimi ist seit vier Wochen auf dem Markt!“ – „Hurra! Ich bin rezensiert worden!“ – Geht’s nicht einfacher?

Einfacher? Nun ja. Eine Homepage reicht natürlich nicht. Man muss inzwischen auch überall sonst mit seiner Visage, seinem Namen und ein paar flotten Sprüchen vertreten sein. Bei NING zum Beispiel. Soziales Netzwerk. Sektion KrimiautorInnen. Möglichst viele Freundschaften per Mausklick schließen („Johann Wolfgang Goethe ist jetzt mit Charles Bukowski befreundet.“) und dann aber ab die Post: „Hallo Charles, möchte dir nur mitteilen, dass mein neuester Bestseller, „Die Wahlverwandtschaften“, ab sofort auf dem Markt ist!“

Ja, ja, der Markt. Ob Krimiautoren tatsächlich die Bücher der Konkurrenz kaufen? Wären sie schön blöd. Aber vielleicht verirrt sich ja ein Normalleser auf die Seite, ein Enthusiast, der nichts lieber sähe, als mit dem Autor seines Vertrauens „befreundet“ zu sein. Also doch NING. Zähneknirschend ein Profil erstellen…

Mensch! Das zittrige Handyfilmchen von der letzten Lesung! Immer noch nicht auf YouTube! Und der Super-8-Streifen „FKK-Urlaub mit Anneliese 1991“? Sofort digitalisieren und auf die nächste Pornovideoseite! Titel: „Bekannter Krimiautor nähert sich einer Kolonie errötender Klosterschülerinnen!“ – Wenn’s Abverkauf bringt…

Und wenn man schon mal dabei ist: Auch Facebook ist Pflicht. Die freuen sich auf meine Daten, ganz bestimmt. Schnell alle Krimiforen abklappern und einen Gruß hinterlassen. Und twittern. Wenigstens einmal wöchentlich. Möglichst vielen anderen Vögelchen „followen“, damit die selbst zu Followern werden. 140 Zeichen: „Mein neuer Krimi ist endlich zu haben! Bei Amazon gibt’s schon zwölf Fünf-Sterne-Rezensionen!“

Oh, verdammt, genau. Amazon. Muss ich auch noch schnell… Wozu hat man fünf Rechner mit fünf verschiedenen IP-Adressen, wozu hat man von jeder schon mal was Billiges bei Amazon bestellt, damit man dort „Kunde“ ist und „rezensieren“ darf! Und ein paar Freunde dürften sich auch noch finden, die Texte schreibt man aber besser selber.

So. Wär’s das? Kennt mich jetzt jeder? Gibt es noch irgendeinen Ort im unendlichen Netz, an dem der arglose Surfer NICHT über mich stolpert? Denn das ist das Credo aller Werbung: Dein Name, deine Fresse, das muss den Leuten ins Unterbewusste kriechen. Damit sie im entscheidenden Augenblick – dann nämlich, wenn sie in der Buchhandlung vorm Novitätentischlein stehen – nach DEINEM Buch greifen. Ohne zu wissen, warum. Wie ihnen der Name bekannt vorkommt? Sein Klang irgendeine verborgene Saite in der Konsumentenseele zum Klingen bringt? Keine Ahnung. Eh wurscht. Hauptsache, es funktioniert.

Doch, doch, das Internet ist demokratisch. Es hat uns die Fesseln der Anonymität abgestreift. Wir sind potentiell weltberühmt. Jetzt müsste man nur noch die Zeit finden, einen neuen Krimi zu schreiben.

11 Gedanken zu „Der allgegenwärtige Krimiautor“

  1. Ach, Schatzi, erinner mich doch bloß nicht! Brauch ich überhaupt ne Hooompeeetsch? Ich bin doch eh schon multipräsent… Na, ma guckn…

    bye
    dpr

  2. Das Ningding gibts übrigens nicht mehr. Wahrscheinlich wegen zu viel „ist befreundet mit“. Aber eine Homepage sollte man schon haben.

    *hat keine

  3. Ich bräuchte eigentlich nur eine One-Page-Homepage. Als Knotenpunkt gewissermaßen. Das müsste irgendwann zu schaffen sein. Das Ningding gibts aber auch international (Crimespace).

    bye
    pr

  4. weiss nicht, was daran so verkehrt sein soll?! die möglichkeiten des digitalen zeitalters haben es im musikgeschäft schon vielen leuten ermöglicht, ihr geld mit der sache zu verdienen, die ihnen spass macht. warum also nicht auch buch- und krimiautoren?
    dpr, du kannst ja untergrund bleiben, wenn es dir dort gefällt. aber merke: aus untergrund wird irgendwann immer mainstream, normales gesetz der kulturen … und die, die sich zu beginn am lautetesten über den mainstream ereifert haben, sind diejenigen, die nachher den größten kommerz fabrizieren. noch so ein gesetz. arme leute!

  5. Echt? Ich werd Mainstream? So mit allem Drum & Dran (Kohle, Groupies, verbilligte Fahrscheine im ÖPNV)? Juhu! Und wie lange muss ich dafür noch underground bleiben?

    bye
    dpr
    *freut sich vorab

  6. keine eigene homepage betreiben, das ist das Ende! Autoren, die in 100 Jahren noch gelesen werden, lassen alles heute schon nur durch ihre Fanclubs machen (allenfalls so wie Lou Reed vorgehen, der in Konzertpausen ab und zu Hörerfragen auf der für ihn betriebenen Site beantwortet. Wenn die Leute auf den Tourplan gucken würden, wüssten sie, warum sie keine Antwort bekommen. In Europa gibt es kein Internet oder aber Wichtigeres zu erledigen).

  7. Goethe hatte keine Homepage und wird trotzdem noch gelesen. Eine Goethe-Homepage würde ich auch gar nicht anklicken, eine Jean-Paul-Homepage aber sehr wohl. Hei, dort ginge die Post ab! Nein, nicht die Email…
    Und Lou Reed mag ich nicht. Er hat mir Laurie Anderson weggeschnappt.

    bye
    dpr

  8. es sollte heißen: Bitte keine eigene Homepage betreiben, denn es zu tun, wäre das Ende. Lou Reed gefällt mir live, wenn er nicht „Berlin“ spielt. In die Konzerte mit seiner Frau gehe ich lieber nicht.

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