Der Stein, der alles ins Rollen bringt, ist ein Kieselchen, wenn überhaupt. Das erfahren wir natürlich erst zum Ende des Romans, aber gedacht haben wir uns das schon früher. Denn irgend etwas an „Voodoo, LTD.“, dem abschließenden Teil von Ross Thomas‘ Wu/Durant-Trilogie, ist von Anfang an merkwürdig, nein, die ganze Story ist es. Völlig unglaubwürdig, überkandidelt – man kann es nennen wie man will. Also: ein Fehlgriff?
Und welche Dinge wurden doch in den beiden Vorgängerabenteuern unseres wackeren Duos Artie Wu und Quincy Durant verhandelt! In „Umweg zur Hölle“ nichts weniger als Sittenbilder der Korruption, „Am Rand der Welt“ führte uns gar ins Zentrum des Ewig-Politischen. Und „Voodoo, LTD.“? Ein reicher Filmproduzent in L.A. wird erschossen, seine Freundin und Fast-Ehefrau, eine berühmte Schauspielerin, unter Mordverdacht festgenommen. Ihr Anwalt engagiert über einen Mittelsmann (einen exzentrischen Deutschen namens Enno Glimm) zwei dubiose Hypnotiseure aus England. Und die sind plötzlich verschwunden. Es droht Ungemach, und weil der Mittelsmann um seinen guten Ruf fürchtet, will er diese Sache bereinigen und heuert dafür „Wudu, LTD“ an, also unsere Freunde WU und DUrant. Die ihrerseits rekrutieren wohlbekanntes Personal: den hochstaplerischen Otherguy Overby, den Ex-Geheimdienstler Booth Stallings sowie die ebenso heimtückische wie betörende Georgia Blue, die gerade fünf Jahre Knast auf den Philippinen hinter sich hat. Gemeinsam reisen sie nach L.A., um die Hypnotiseure aufzuspüren und von ihren vermuteten Erpressungsversuchen abzuhalten.
Letztlich geht es um ein Honorar jenseits der Eine-Million-Dollar-Grenze, was mehr ist als die Summe, die ein Erpresser für das belastende Video verlangt, auf dem die Schauspielerin in Hypnose den Mord gesteht. Auch dieses Geständnis bleibt merkwürdig, ist offensichtlich manipuliert und hätte vor Gericht keine Beweiskraft. Aber darum scheint es nicht zu gehen. Wu, Durant und ihr Helfershelfer entwickeln ein Szenario der ganz gewaltigen Art, und nichts ist ihnen dabei zu teuer. Sie zahlen 700 Dollar, um einen Mietcontainer zu besichtigen, von dem sie genau wissen, dass er leer sein wird. Peanuts. Sie mieten teure Häuser, protzige Autos – und man fragt sich: Warum zum Teufel das alles? Am Ende tätigt Booth Stallings eine simple Recherche, die den Mordfall aufklärt. Und man fragt sich: Hätte das die Polizei nicht auch vielleicht tun können, zumal es eine naheliegende Recherche war?
Dass man das Buch also nicht nach spätestens den ersten hundert Seiten, auf denen sich die Story mühsam entwickelt, abbricht, hat einen einzigen Grund: Ross Thomas. Der kann schreiben, was eine Wohltat an und für sich ist, selbst wenn nichts dabei herauskäme. Vor allem jedoch: Der Rezensent hat noch nie ein Buch von Ross Thomas gelesen, bei dem nicht irgendein Kniff die Geschichte wenden würde.
Und so ist es auch bei „Voodoo, LTD.“. Ganz am Rande registrieren wir, dass die Handlung 1991 spielt, just zur Zeit des sogenannten ersten Irakkriegs. Gegen Ende werden die Hinweise ein wenig häufiger, der Krieg ist aus, das Buch ist aus, und so langsam dämmert es uns, dass wir über 350 Seiten Ross Thomas‘ Kommentar zum Irakkrieg gelesen haben. Irgend welche Leute haben eine verrückte Idee, aus der sich ein gigantisches Szenario entwickelt, bei dem Geld und Menschenleben keine Rolle spielen. Statt „Wodo, LTD“ werden ganze Armeen losgeschickt, um die Welt wieder heil zu machen. Sie schaffen es – und wozu der ganze Aufwand? Artie Wu und der Rechtsanwalt Mott erklären es in einem kurzen Dialog:
„Ich nehme an, Sie haben das über den Krieg gehört?“
„Daß er vorbei ist? (….) es hat mich merkwürdig kalt gelassen. Wir leben wohl in einer komischen Zeit.“
„Der Krieg wird denen bei den Wahlen nützlich sein.“
„Meinen Sie? Wann sind die – in zweiundzwanzig Monaten? Wenn’s mit der Wirtschaft weiter zurückgeht, wird sich kein Mensch mehr daran erinnern. Aber wirklich kein einziger.
Gehen Sie noch wählen?“ fragte Mott.
„Pflichtbewußt.“
„Dafür oder dagegen?“
„Dagegen“, antwortete Wu. „Ich glaube kaum, daß heutzutage noch jemand für etwas stimmt.“
Hier werden hohe (Kriegs-)Politik und das aus einer Banalität entwachsene Riesenszenario eines Kriminalfalles perfekt zusammengeführt. Eine Rezension des ersten Irakkriegs (schweigen wir ganz vom zweiten) käme zu verblüffend ähnlichen Ergebnissen wie eine Rezension des Romans von Ross Thomas. Eine Kleinigkeit, eine diabolische Laune steht am Anfang, sie entwickelt sich zum Katastrophenszenario, eine Söldnertruppe wird engagiert, um mit immensem Aufwand für Ordnung zu sorgen, Geld spielt keine Rolle, und das alles nur, um am Ende ein paar Wählerstimmen zu gewinnen, die einem wahrscheinlich doch versagt bleiben. Einen Sinn, gar Logik sucht man darin vergebens. Alles ist routiniert, beeindruckend, auf eine gewisse Weise unterhaltsam und spannend.
So hat Ross Thomas einen Kriminalroman geschrieben, der uns den Krieg erklärt und beweist, dass Kriege im Grunde ziemlich sinnlose Kriminalromane sind. Und Kriminalromane, die genau das erklären, sind wichtig und sinnvoll und verblüffend und, da man sich ihre Bedeutung nicht nur erlesen, sondern selbst im Nachhinein auch noch erdenken muss, Musterstücke exzellenter Literatur.
Ross Thomas: Voodoo, LTD.
Alexander Verlag 2009. 357 Seiten. 14,90 €
(Voodoo, Ltd, 1992. Deutsch von Walter Ahlers)
Fein!