Nelson DeMille: Das Vermächtnis

Nicht nur dpr hat sich in letzter Zeit die selbige mit dicken Wälzern vertrieben. Auch Anna Veronica Wutschel begab sich auf die gewundenen Pfade eines Gesellschaftspanoramas. Und diese längere Exkursion hat ihr durchaus gefallen.

Den gepflegten dreifachen Scotch kippen und etwas völlig Verrücktes anstellen: Mit einer schönen Frau zu tief ins Glas schauen und leidenschaftlich werden, sich wenige Stunden später mit der ehebrecherisch-mörderischen Ex-Gattin versöhnen, mit dem FBI feilschen und der Mafia anbändeln, obwohl oder gerade weil diese auf tödliche Vendetta sinnt…

Nelson DeMille hat mit Das Vermächtnis einen furiosen Gesellschafts-Thriller aufs Papier gebracht. Ein wenig scheint es, als träfen die Sopranos auf Desperate Housewives an der Gold Coast von Long Island, eben dort wo sich seit Jahrzehnten Macht, Reichtum und Standesdünkel tummeln. Zwar sind die glanzvollsten Tage auch an der goldenen Küste längst vorüber, doch steht das Standesbewusstsein bei den Alteingesessenen immer noch hoch im Kurs. Natürlich, gern wäre man unter sich geblieben, aber erst infiltrierte ein Mafioso die Nachbarschaft, nun lebt ein extrem wohlhabender Iraner im Herrenhaus, während sich die Erben des Geldadels mit dem Gästehaus zufrieden geben müssen, der illustre, wenn auch nur eingeheiratete Nachfahre eines Walt Whitman gar im Pförtnerhaus bei den Bediensteten um Unterschlupf bitten muss.

In die Verderbtheiten eines kränkelnden, sich aber immer wieder kriminell neu formierenden Milieus befördert DeMill seinen Protagonisten John Whitman Sutter. Und der ist mit seinem scharfen Zynismus trotz einiger selbstverliebter Langatmigkeiten der perfekte Gastgeber über knapp 900 Seiten. Grandios schlingelt sich der bös-charmante Schelm mehr recht als schlecht durch die feine Gesellschaft, die Tücken der Mafia, durch eine Gegenwart, die von einer dramatischen Vergangenheit verschattet bleibt, und hält allen Widrigkeiten zum Trotz an der Liebe fest.

Vor Jahren (Das Vermächtnis knüpft inhaltlich direkt an den bereits 1990 verfassten Bestseller In der Kälte der Nacht an) hatte Sutter sich auf ein heimtückisches Spiel mit seinem damals neuen Nachbarn, dem Mafia-Don Bellarosa, eingelassen: Risiko und Nervenkitzel sowie viel Geld lockten. Vor allem erstere schlugen im Überfluss zurück, denn spätestens als auf den Mafioso geschossen wurde und Sutter ihm in letzter Sekunde das Leben rettete, schien der Dramatik genug. Dann jedoch ging Sutters Ehefrau Susan ein stürmisches Verhältnis mit Bellarosa ein, das FBI ließ den Don hochgehen, und als Susan sich betrogen fühlte, erschoss sie ihren Lover ebenso leidenschaftlich wie kompromisslos. Seltsamerweise wurde die gesellschaftlich angesehene Lady Susan Stanhope für diesen Mord niemals belangt, das Leben allerdings nahm eine Kehrtwende, und la dolce vita schien in Trug und Mord versunken.

Zehn Jahre später nun kehrt Sutter wegen einer Nachlass-Angelegenheit nach Long Island zurück, nachdem ihn die Flucht vor den schmerzlichen Ereignissen, vor dem gesellschaftlichen Skandal über einen mehrjährigen Segeltörn nach London verschlagen hatte. Zwar hat sich während der Abwesenheit des einst renommierten Anwalts viel verändert, doch ist die Oberfläche trügerisch, und nur allzu bald scheinen die Zügel der Vergangenheit ganz mörderisch die Gegenwart zu lenken.

Hässliche Familien-Querelen, überaus knickerige oder vom Staat bereits wegen krimineller Aktivitäten von ihren Millionen entlastete Vorfahren bereiten Ärger. Doch wer die Zukunft plant, muss auch an die Familienehre denken und sieht sich zuweilen gezwungen, offene Rechnungen zu begleichen. Wer dann schlussendlich auf wessen Abschussliste landet, bleibt lange unklar. Spätestens als (der übrigens ganz reale) Mafia-Boss John Gotti stirbt, brechen mörderische Kämpfe um die neu zu sortierende Vorherrschaft aus. Und aus nahe liegenden Motiven könnte auch das frisch und derweil wieder glücklich vereinte Sutter-Pärchen in einer allzu verständlichen Vendetta-Geste umgenietet werden. Das Sicherheitsbedürfnis steigt enorm und führt zu erheblichen gesellschaftlichen Unbequemlichkeiten. Sutter, der angriffslustige Snob, weiß um die schöne Vergangenheit. Allerdings weiß er auch um ihre tödlichen Verstrickungen. Doch kann er verhindern, dass sich die Geschichte wiederholt?

Nelson DeMille jätet und erntet reichlich aus dem Wildwuchs der feinen und feineren Gesellschaft. Mit einem sehr gradlinig doch clever gesponnenen, sich langsam entwickelnden Plot, mit gekonnt boshaften Dialogen, die mit hinterhältig breit gebauten, beständig wieder eingerissenen Brücken den Figuren wie ihren Welt- und Wertvorstellungen scharf zu Leibe rücken, blickt DeMille auf alle Lasterhaftigkeiten hinter der Etikette. Dort stößt er auf eine Welt voll Canoli und Spaghetti, voller vorgezogener und ausgedehnter Cocktail-Stunden, in der Erpressung zum guten Ton gehört und Mord aus Leidenschaft eine fast entschuldbare, zumindest verständliche – wenn auch tödliche – Straftat ist. Das Vermächtnis ist ein sich in seinem verschlagen lässig blasierten Erzählton nie verfummelnder, schwer kluger, vor allem aber höchst amüsanter Wälzer.

Zu einem kleinen Rundgang durch die Gold-Coast-Herrenhaus-Kulisse lädt der Autor →hier ein. DeMille erwägt sogar ein weiteres Wiedersehen mit den Sutters in einem dritten Roman. Aber gern doch.

Nelson DeMille: Das Vermächtnis. 
Hoffmann und Campe, 2009
(The Gate House. 2008. Deutsch von Georg Schmidt).
864 Seiten. 24,00 Euro.

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