Australische Blogschelte

„Challis sinnierte eine Weile über die Idee von Blogs nach, vor allem in Dirk Roes Fall. Es schien ganz so, als hätten Privatsphäre, Würde und Zurückhaltung für die Cyberspace-Generation keinerlei Bedeutung mehr. Man konnte meinen, dass es heute vollkommen in Ordnung war, jeden halb ausgegorenen, langweiligen oder bösartigen Gedanken, jedes Gefühl, jeden verletzten Stolz hinauszuposaunen.“ ( Garry Disher, „Rostmond“, Unionsverlag 2010, S. 67/68)

Ups, da hat mal wieder einer bei watching the detectives reingeschaut. Na, peinlich, peinlich. Aber natürlich trifft das, was Held Challis in Garry Dishers neuem Krimi „Rostmond“ sinniert (sinniert? Na, das lassen wir mal so stehen), durchaus bei denen ins Schwarze, die sich schon immer als die Weißen gerierten und deren Welt deshalb auch entsprechend aussieht. Drei Dutzend Seiten weiter „sinniert“ auch Challis‘ Berufs- und Privatpartnerin über Blogs.

„Ellen schüttelte müde den Kopf. ‚Was ist das nur mit diesen Blogs? Warum machen die Leute so was?'“

Fragen über Fragen, die sich Ellen natürlich selbst beantwortet. „Ich verstehe, dass sie zur Verrohung der Welt beitragen“, versteht sie und weiss: „Außerdem kosten Blogs nichts, und man muss sich auch nicht mit seinen Mitmenschen auseinandersetzen.“ (S. 101/102)

Nun hat es sich wohl noch nicht bis Australien herumgesprochen, dass man auch ohne zu bloggen seit Jahr und Tag seinen Unsinn über die Welt gießen kann und dass die deutschen Dirk Roes dann etwa Thilo Sarrazin heißen und via Print und Fernsehen „Denkanstöße“ geben, bei denen wir nicht wissen wollen, wie es um die Beschaffenheit der Denkapparate steht, die solcherart angestoßen werden müssen. Aber es ist schon mehr als nur höherer Blödsinn, die Qualität eines Mediums vom Grad seiner Verfügbarkeit abhängig zu machen. Natürlich ist der Weg in die „klassischen Medien“, wo „Privatsphäre, Würde und Zurückhaltung“ bekanntermaßen höchste Guter sind, nicht kostenlos. Dem Chefredakteur in den Arsch kriechen, dem Hype der Saison lauthals huldigen oder jeden Satz so formulieren, als habe ihn Thomas Mann im Delirium erdacht, das ist ein hoher Preis, der indes gerne gezahlt wird.

Nun bin ich mir natürlich im Klaren darüber, dass die Abfälligkeiten über Blogs in Dishers Buch nicht die Meinungen des Autors, sondern zunächst die seines Personals darstellen. Nach einem Drittel von „Rostmond“ indes fällt auf, wie larmoyant und schwarzweiß plakativ dieser Krimi daherkommt. Australien muss scheisse sein, das mag uns trösten, wenn wir wieder einmal in Fernweh schwelgen. Und außerdem reden dort 16jährige Mädchen, als seien ihre Gehirne mit Rhetorikpulver gewaschen worden. Aber erst einmal fertiglesen, das Ding. Seine Aussagen über Blogs zumindest sind sehr erhellend. Wir gedenken ihrer bei der nächsten flachbrüstigen Diskussion über verschleierte Gebärmaschinen und die Kinder von Langzeitarbeitslosen, die statt akademischen Graden den Ehrentitel „Hartz-IV-Kind“ erhalten und mit Chipkarten belohnt werden. Schick. Natürlich alles bei Print und Funk und Fernsehen und schon gar nicht kostenlos. Ein paar Gehirnzellen gehen immer dabei drauf.

dpr

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