Die verwischte Deutlichkeit

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Andrea Bajanis „Mit herzlichen Grüßen“ oder „Die Spur des Bienenfressers“ von Nii Parkes: eines der beiden Bücher, die ich gerade lese, ist ein Krimi, aber welches? Das eine ist wie ein Krimi aufgebaut und dennoch… das andere ist dezidiert KEIN Krimi und dennoch…

Also wieder die alte Suche nach der Definition von „Krimi“? Was ja gemeinhin so lustig ist wie Einsteins Suche nach der Weltformel, bei der man aber leider nicht weiß, was die Gravitation in dem ganzen schönen System soll. Dabei kann man nur ermuntern, sich dem Definieren von „Krimi“ zu widmen. Nicht weil am Ende so etwas wie eine „Definition“ stehen könnte, sondern weil durch das Definieren selbst eine Definition illusorisch wird.

Die Wissenschaft vom bedruckten Papier kennt eine ganze Reihe von Möglichkeiten, einen Gegenstand wie „Krimi“ definitorisch in die Enge zu treiben. Von eher textimmanenten Methoden bis hin zur literatursoziologischen, wobei der Clou darin besteht, dass sich all diese Wege irgendwann einmal kreuzen. Gehe ich etwa den Weg der Rezeptionstheorie und frage mich, wie „Krimi“ von seinen Lesern definiert wird, was sie von ihm erwarten und eben nicht, dann gelange ich zwangsläufig an einen Punkt, der mich dazu zwingt herauszuarbeiten, wie die Erwartungshaltung des Lesers die Dramaturgie eines Krimis und seine Themenpalette beeinflusst.

Ein weitere Möglichkeit wäre eher (kriminal-)literaturgeschichtlicher Natur. Warum etwa hat Alfred Döblin, als er 1924 seine Erzählung „Die beiden Freundinnen und ihr Giftmord“ schrieb, diesen „dokumentarischen Fall“ nicht als „Krimi“ bezeichnet? Und warum gibt es heutzutage Leute, die dies tun? (Jüngst erst in einer kleinen Facebook-Debatte. Mehr darüber darf ich hier allerdings nicht verraten, denn Facebook ist ja, wie jedermann weiß, ein privates Forum zum Meinungsaustausch.) Selbstverständlich muss ich dazu wissen, was man 1924 unter einem Kriminalroman verstand und was heute, im Jahr des Herrn 2010.

Das bringt uns zu einem weiteren interessanten Ansatz, den ich persönlich bevorzuge. Er geht davon aus, dass es so etwas wie „Entwicklung“ gibt. Ähnlich wie beim Menschen, der in der Steinzeit ein anderer war als im Internetzeitalter und dennoch Mensch geblieben ist. Er wurde kein BESSERER Mensch, das ganz und gar nicht. Der Zweifüßler der Steinzeit hatte ein harmonischeres Verhältnis zu seiner Umwelt als der heutige, es war gefährlicher, aber es passte halt. Auch Kriminalliteratur (wie jede andere Literatur) entwickelt sich aus Anfängen, macht Erfindungen und Entdeckungen, muss sich Gegebenheiten anpassen, verästelt sich, ist Gegenstand von Selektion etc.

Wenn ich nun den Krimi als Genre in progress wahrnehme, definiere ich lediglich Schnappschüsse mit einer Kamera, die die Bewegung als Unschärfe fixiert. Zugleich wird einem banalen Umstand Rechnung getragen, dem nämlich, dass kein Autor den Krimi neu erfindet, sondern immer auf irgend jemandes Schultern steht. Darauf sollte man hinweisen, daran sollte man immer denken, wenn wieder einmal behauptet wird, der oder die Altvordere sei ja wohl sträflich überschätzt und habe doch nicht den ihm oder ihr zugewiesenen großen Einfluss gehabt. Aber hallo.

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Was nun bei den eingangs erwähnten Texten von Bajani und Parks evident ist, lässt sich ermitteln, wenn man eine der Grundformeln des „Was ist Krimi?“ anwendet. Diese Grundformel geht von vier Konstanten aus, die zueinander in irgend einem Verhältnis stehen sollten. Es gibt einen Fall (1), es wird von einem Ermittler (2) ermittelt (3) und zwar zum Zwecke der Aufklärung (4) dieses Falles. Die Dynamik dieser Formel und damit auch das Verhältnis, in dem die Konstanten stehen, lässt sich von der Prämisse herleiten, die Entwicklung zwischen 1 und 4 solle zielgerichtet und logisch aufklärend sein. Die Nebel lichten sich also.
Liest man nun den Text von Parkes, so sind zunächst alle diese vier Konstanten gegeben. Nur mit der Dynamik ist es so eine Sache, denn von hergebrachter Logik und Aufklärung kann bald die Rede nicht mehr sein. Dennoch ist das, was Parks hier veranstaltet, auf seine Art sehr schlüssig. Allerdings auf Kosten der Funktionstüchtigkeit besagter Krimiformel.

Bei Bajanis Buch hingegen haben wir es mit einem Text zu tun, der weder als Krimi angelegt ist noch seinen Konstanten huldigt. Dennoch gibt es einen „Killer“, jemanden, der, indem er blumig-zynische Kündigungsschreiben formuliert, Menschen tötet.

Darüber soll an anderer Stelle mehr ausgeführt werden, festzuhalten sei hier aber, dass auch diese Irritationen etwas mit „Entwicklung“ zu tun haben und durchaus auch mit den Erwartungen von Lesern des 21. Jahrhunderts. Doch erwarte niemand so etwas wie eine Definition. Was wir zuspitzen, läuft am Ende doch nur auseinander wie Tinte auf wässrigem Papier. Und das ist gut so, das ist nämlich Literatur.

Andrea Bajani: Mit herzlichen Grüßen. 
Dtv 2010 (Cordiali Saluti. 2005).
Deutsch von Pieke Biermann. 138 Seiten. 12,90 €
Nii Parkes: Die Spur des Bienenfressers. 
Unionsverlag 2010 (Tail of the Blue Bird. 2009).
Deutsch von Uta Goridis. 221 Seiten. 16,90 €

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