Klar, es ist der Schauplatz, der zunächst auf Paul Freemans Krimi „Laster und Tugend“ neugierig macht. Saudi-Arabien. Enger Verbündeter der USA, mit Erdöl gesegnet, dankbarer Abnehmer westlicher Luxusgüter – einerseits. Aber auch die Heimat von Herrn Bin Laden und den meisten der 0911-Attentäter, mit strengen islamischen Gesetzen, die u.a. das Verbot alkoholischer Getränke regeln. Wir wissen eine Menge über Saudi-Arabien oder glauben es zumindest. Wie wird es nach der Lektüre von „Laster und Tugend“ sein?
Der Stoff, um den es geht, heißt, natürlich, Alkohol. Ein europäischer Schnapsbrenner fällt einer Autobombe zum Opfer, der englische Journalist Peter Maddox, der für eine der beiden großen englischsprachigen Zeitungen des Landes schreibt, gerät bei seinen Recherchen zwischen die Fronten und auch sonst unter so ziemlich alle Räder. Hat es ihn in einen Krieg von Schnapskartellen verschlagen, die das Land unter sich aufteilen, oder stecken hinter dem Anschlag religiöse Fundamentalisten? Weitere Morde im Milieu folgen, die Konkurrenzzeitung intrigiert und lässt ihre Beziehungen zu Ungunsten von Maddox spielen, der sich im Verlauf der Handlung immer mehr Feinde macht und sich auch bei manchem seiner Freunde über deren eigentliche Gesinnung nicht sicher sein kann.
Freeman führt seine Leser in eine, nun ja, Parallelgesellschaft. Ausländer, seien es gutverdienende Weiße oder wie Sklaven gehaltene Filipinos, Enklaven hinter Maschendraht, in denen es scheinbar nur um das Alkoholtrinken geht. Auf der anderen Seite dubiose Tugendwächter und strikte Überwachung, Korruption und ein paar nette Einheimische, die Maddox zur Seite stehen.
Das Ganze ist in puncto Dramaturgie ein herkömmlicher Kriminalroman, ein wenig Action, ein Hauch von Whodunit, manchmal hart am Klischee gebaut und mit einem Protagonisten, der die Bedingungen heutiger Spannungsliteratur erfüllt, ein irgendwie gebrochener, letztlich jedoch aufrechter Charakter.
Also, mit einem Wort, nette Unterhaltung, die uns die Schizophrenie der Verhältnisse solide übermittelt, das Nebeneinander von Dingen, die nicht zusammengehören, und die Verlogenheit hinter diesen Dingen. Ein Stärke des Romans ist sein konsequentes Ende, und das hat, wie von der Verlagsphilosophie nicht anders zu erwarten, durchaus Noir-Anklänge, weil es von den zynischen Verhältnissen bestimmt wird. Alles löst sich irgendwie in marodes Wohlgefallen auf. Ein durchaus lehrreicher Blick auf Saudi-Arabien ergo, auf „Laster und Tugend“, Ausbeuten und Ausgebeutetwerden.
dpr
Paul Freeman: Laster und Tugend.
Pulpmaster 2010 (Vice & Virtue, 2008.
Deutsch von Ango Laina und Angelika Müller).
338 Seiten. 13,80 €