Zwei Protagonistinnen

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Sie haben vieles gemein. Ihre Abenteuer erleben sie in Krimis des Ariadne Verlages, ihre SchöpferInnen haben, nach positiv aufgenommenen Debüts, ihre jeweils zweiten Romane vorgelegt, sie sind Frauen in den frühen Dreißigern und beileibe nicht das, was man kantenlos nennt. Beider Profession ist nicht das Klären von Mordfällen. Die eine, Nikola Rührmann, arbeitet als Meteorologin im Hamburg des Jahres 1999, die andere, Lilly Sommer, schlägt sich als erfolglose Schauspielerin mehr schlecht als recht durch Wien.

Beide Romane liegen übrigens deutlich über dem Durchschnitt dessen, was einem momentan den Briefkasten verstopft. „Kein Durchkommen“ von Bohnet / Pleitgen zeigt sehr schön, wie Alltag und Hedonismus an die Stelle politischen Engagements rücken, das noch den 1989 spielenden Vorgänger „Freitags isst man Fisch“ dominierte. Eine Übergangszeit, denn mit dem allgegenwärtigen Klimawandel steht schon das nächste nach Engagement heischende Thema auf der Matte. Jemand sabotiert ein meteorologisches Forschungsprojekt, Nikola macht sich auf die Suche nach der undichten Stelle und einen verschollenen Kollegen.

Um Verschwundene und einen Doppelmord geht es auch in Nora Miedlers „Musenfalle“. Lilly, die einen Fernsehwerbejob in Aussicht hat, verliert diesen und wird mordverdächtig. In einer legendären Theaterkommune sucht und findet sie Antworten. Wie schon im Debüt „Warten auf Poirot“ bleibt am Ende jedoch ein beträchtlicher Zweifel, ob der Fall nun wirklich als gelöst ad acta gelegt werden kann.

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Es sei nicht verschwiegen, dass beide Romane dramaturgisch gegenüber den Debüts abfallen. Bei Bonet / Pleitgen durch eine schon zu Beginn vorgenommene Parade des Personals / der späteren Verdächtigen, die sich ein wenig ermüdend liest und es dem Autorengespann schwer macht, die Leserschaft bei der Stange zu halten. Etwas zu viel, etwas zu geballt. Die eingestreuten Passagen aus einem während des Spanischen Bürgerkriegs angelegten Tagebuch erschließen sich in ihrer Bedeutung für die Handlung nicht ganz. Man ahnt die gute Absicht, aber es hemmt die Dramaturgie.

In „Musenfalle“ krankt der Plot ein wenig an der Zerhackstückung des eigentlichen Erzählstrangs. Dessen Einzelteile müssen notgedrungen am Ende plausibel verknüpft werden, was zwar nicht vollends schiefgeht, aber der organischen Entwicklung nicht immer gut bekommt.

Dass beide Romane dennoch empfehlenswert sind, ist den Protagonistinnen geschuldet, ihnen und insbesondere der Art, wie sie gesellschaftliche Wirklichkeit transzendieren. Sowohl Lilly als auch Nikola sind zutiefst egoistisch, unsicher und impulsiv. Mit der Tuffheit einer Vic Warshawski (Sara Paretsky) hat das nichts mehr zu tun, gottlob auch nichts mit der schon seit einigen Jahren zu konstatierenden Verwendung der Protagonisten als Problembehälter und Katalysatoren für allerhand marktgängige psychische Abnormalitäten. Letztlich jedoch verkörpern Lilly und Nikola einen Typus Frau, der sich einzelkämpfend durchs Dasein schlägt, ohne feministisch-ideologischen Überbau, auch ohne das Bemühen, die Verhaltensmuster männlicher Protagonisten zu kopieren. Was nicht per se zum Vorteil gereichen muss (man siehe nur Christine Lehmanns Lisa Nerz, die noch nach „alten“ Mustern konstruiert wurde und dennoch überzeugt), hier aber schon. Etwas Unangenehmes ist zu erledigen – und wird erledigt, ohne dass man dabei zum role model oder Genreabziehbild schrumpft. Die dabei durchmessene Wirklichkeit wird zu einer Ansammlung von Reflexen, Abwehrhaltungen, Mitmachritualen, aus denen sich Leserin und Leser bitte selbst ein Bild herstellen sollen. Ein früheres Beispiel der daraus resultierenden psychischen Instabilität wäre Astrid Paprottas Ina Henkel, wenngleich die weitaus stringenter ihr eigenes Zerrissensein lebt und folgerichtig die Welt, durch die sie sich tastet, zerreißt.

Es wäre interessant, die Entwicklung der weiblichen Krimiprotagonisten in einer längeren Studie nachzuzeichnen und mit der des männlichen Erzählpersonals zu vergleichen. Eine erste, nicht ausreichend verifizierte Vermutung: Männer verlieren den Verstand, Frauen nur die Contenance.

Bohnet / Pleitgen: Kein Durchkommen. 
Ariadne 2010. 251 Seiten. 11 €
Nora Miedler: Die Musenfalle. 
Ariadne 2010. 250 Seiten. 11 €

3 Gedanken zu „Zwei Protagonistinnen“

  1. Der Hamburgkrimi KEIN DURCHKOMMEN hat mich von Anfang an in seinen Bann gezogen. Die Entwicklung der Geschíchte hat mich völlig überrascht. Da wird man über harmlose Nebenschauplätze bei guter atmosphärischer Beschreibung eingelullt – bis die Bombe hochgeht!Sensationell!

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