Aus dem Leben eines Krimidesigners

Neulich landete ein dickes, ja, sagen wir ruhig: wohlhäbiges Buch auf dem wtd-Redaktionstisch, teure Broschur mit angeklebtem Lesebändchen, und auf dem Cover ein Aufkleber: „Ein kulinarischer Policeprocedural aus dem Rhein-Main-Donau-Kreis für alle Freunde des Noir und des Katzenkrimis“. Wir waren sprachlos. Und wie immer, wenn wir sprachlos sind, dachten wir angestrengt darüber nach, was in den Köpfen wildfremder Menschen vor sich gehen mag, wenn sie nachdenken. In welchem Gehirn werden solche Monstrositäten ausgebrütet? All die neuen „Subgenres“ und special-interest-Krimis, die „Kirchenthriller für Makrobiotiker“, die „Whodunits für Linkshänder“, der „erste Vollpfosten-Fußballkrimi zur Frauen-WM 2012?“ Dem wollten wir auf den Grund gehen.

Die Recherchen gestalteten sich mühselig, doch wtd ist immer dann am besten, wenn es richtig wehtut, wenn die Informanten verlegen schweigen und der Redaktionsassistent vorschlägt, doch lieber „eine geile Rezi“ rauszuhauen, damit er pünktlich seine Freundin poppen kann. Nein, genau dann laufen wir zu großer Form auf. Wir recherchierten unverdrossen weiter und stießen schließlich auf die Pressedame eines größeren deutschen Krimiverlags, der zu einer noch sehr viel größeren internationalen Verlagsgruppe gehört, Namen sind hier Schall und Rauch. „Ja“, bestätigte uns die Dame nach einigem Zögern, es gebe da Spezialisten, Krimidesigner sozusagen, deren Aufgabe es sei, ständig neue „Formate“ zu entwickeln, die Zielgruppe punktgenau ins Visier zu nehmen, „dort abzuholen, wo sie steht“. Aber nein, mehr könne sie uns nicht verraten. Es bedurfte unserer gesamten Überredungskunst und des Versprechens, das nächste Dutzend Neuerscheinungen besagten Verlagshauses über den grünen Klee zu loben, bis die Pressefrau endlich einen Namen und eine Telefonnummer preisgab: Martin Senkfort, Berlin-Prenzlauer Berg. Wir kontaktierten den guten Mann.

Er war erfreut, von uns zu hören. Aha, wtd! Ja doch, er verfolge uns regelmäßig, schon aus Berufsgründen. „Wer wtd liest, der weiß, wie der Hase läuft – und genau darauf kommt es an. Immer am Puls der Leserschaft! Wenn bei wtd über den politischen Krimi diskutiert wird, ist zu überlegen, ob es nicht Zeit für den „politisch-erotischen Thriller aus dem Lehrermilieu“ sei.“ Doch, er denke etwas in dieser Art gerade an, könne aber noch nichts genaues sagen. Ob wir mit ihm ein Interview führen könnten? Unser Berlin-Korrespondent, ein guter Mann, käme gerne bei ihm vorbei? „Okay“, sagte Senkfort schließlich, „er ist mir willkommen.“

Der Krimidesigner bewohnt ein geräumiges Apartment im dritten Stock einer jüngst sanierten ehemaligen Mietskaserne mit berlintypischem Hinterhof. Alles sehr geschmackvoll und teuer eingerichtet. „In meinem früheren Leben war ich Innenarchitekt“, informiert Senkfort, „da sammelt man Erfahrungen, die beim Designen von Krimis von eminenter Wichtigkeit sind. Hier wie dort geht es um das Ambiente, um den Wohlfühlfaktor. Bin ich eher der Ledersofa-Typ oder doch der Birkenholzliebhaber? Fengshui oder doch lieber IKEA? Laufe ich lieber barfuß auf griechischen Hirtenteppichen oder bevorzuge ich Echtholzparkett mit altrömischen Intarsien? Solchen Fragen sieht sich auch der Krimidesigner gegenüber. Denn die Leser wollen sich EINRICHTEN, das ist das ganze Geheimnis. Wer sein Leben lang in den miefigen Räumen einer Henning-Mankell-Rumpelkammer zugebracht hat, fühlt sich in der literarischen Jugendstilvilla eines Ross Thomas denkbar unwohl. Für ihn geeigneter wäre also ein „skandinavischer Ermittlerkrimi mit hohem Depressionsfaktor und angedeuteter Weltverschwörung“, was als LABEL – so nennen wir das in der Fachsprache – selbstverständlich viel zu lang und ungehobelt klingt. Also nennen wir es meinetwegen „ein sakrilegraler Deprikrimi für kalte Winterabende“. Da haben sie die Dan-Brown-Spacken, die Mankell-Deppis und all die Leute, die nachts nicht schlafen können.“

Unser Korrespondent ist schwer beeindruckt. Gut, sagt er, aber das sei das LABEL. „Wie aber wird aus dem LABEL der KRIMI, also welcher Autor entblödet sich nicht, quasi auf Zuruf… ist es nicht umgekehrt, dass zuerst der KRIMI da ist und ihm erst dann ein LABEL…“ Senkfort lacht kurz, aber herzlich. „Also erstens einmal, Bester: Wir sagen nicht KRIMI, wir nennen das Kind bei seinem ehrlichen Namen. PRODUKT. Und wie bei jedem Produkt braucht man Rohstoffe, das was sie ein Manuskript nennen. Ich gebe Ihnen gerne ein Beispiel aus der Praxis. Dem XY-Verlag wird, von einer bis dato völlig unbeleckten Debütantin, ein Manuskript angeboten. Furchtbar! Das Ding spielt in Bayern und die Dame hat wohl zuviel Wolf Haas gelesen, außerdem hatte sie früher in Deutsch eine Eins, das sind dann immer die Schlimmsten, glauben Sie mir! Aber jetzt kommen ein paar Dinge zusammen. Erstens: Das Manuskript ist sprachlich unter aller Kanone. Will sagen: Man braucht es lektoratsmäßig kaum zu überarbeiten, es kann so bleiben wie es ist. Dann spielt die Geschichte in Bayern. Ursprünglich in Nürnberg, aber Nürnberg ist zur Zeit ganz schlecht. Allgäu ist besser. Also verlagern wir das Setting dorthin. Drittens: Der Krimi will witzig sein. Ist er zwar nicht, aber, unter uns, was ist in Deutschland schon witzig – und man lacht trotzdem über jeden Scheiß. Und Wolf Haas hat sich gut verkauft, oder? Ein paar Tausend Leseschwache haben wir damit praktisch automatisch im Boot. Jetzt komme ich ins Spiel. Ich schaue mir an, was an Rohstoff da ist: holpriges Dummdeutsch, Humor, Allgäu, Wolf Haas. Und, ich vergaß es zu erwähnen, auch noch Polizeiroman, denn der Held ist Gendarm. Daraus designe ich nun das Label „ein literarisch-humoristischer Allgäu-Krimi in der Tradition von Sjöwall-Wahlöö“. Ist aber viel zu lang. Also verkürze ich zu WINTERKARTOFFELKNÖDEL, was zugleich einen brauchbaren Titel abgibt.“

„Aha“, macht der Korrespondent, „und so etwas verkauft sich?“ Wieder lacht Senkfort. „Und wie! Unser Credo lautet: Kein Krimileser, keine Krimileserin ist so doof, dass er oder sie nicht noch doofer werden könnte. Das nennt man Kulturoptimismus, mein Freund. Natürlich haben wir daneben auch den umgekehrten Weg. Zuerst kommt das Label – etwa „ein Weinkrimi aus dem alten Theben“ oder „ultimativer Psychothriller zum Oktoberfest“ – und danach mieten wir uns einen Lohnschreiber, eine Lohnschreiberin, der oder die daraus das PRODUKT fertigt. Kommt auch vor. Klappt auch meistens.“

Unser Korrespondent schluckt. Erstens die Informationen, zweitens den edlen Traubensaft, den ihm Senkfort zuvorkommend kredenzt hat. „Aber jetzt mal unter uns: Mit Literatur oder so hat das doch nichts mehr zu tun, oder?“ Senkfort verschluckt sich an seinem 1991er Chateau Lamarque. „Literatur? Moment mal, ich glaube, Sie sind im falschen Film! Wir reden hier von Krimis! Ich designe auch Literatur, keine Frage. Junge wilde Autorinnen mit Monsterbrüsten und einer fatalen Neigung zu ausgedehnten Monatsblutungen, die man dann zielgruppengerecht labeln kann oder… aber das ist eine andere Geschichte.“

Wir verzichten darauf, sie zu erzählen.

2 Gedanken zu „Aus dem Leben eines Krimidesigners“

  1. Den ersten(?) Vollpfosten-Krimi zur Frauen-WM gibt es doch bereits: Franziska Steinhauers „Spielwiese“. Da werden bittere Wahrheiten knallhart ins Tor gewämmst. Frauenfußball kann ganz Existenzen auslöschen. 9 von 10 möglichen Vollpfosten.

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