Dass ein Autor nicht weiß, wohin ihn sein Weg führt, wenn er einen Krimi beginnt, nun ja, so neu ist das nicht. Aber die meisten haben einen PLAN, wenigstens die Ahnung eines Plots, eine Plastiktüte voller Ideen, beim großen Discounter Kriminalliteratur in den Einkaufswagen geworfen, und dann gehen sie daran, sich daraus ihr eigenes Süppchen zu kochen. Und irgendwann wird alles anders, das Ding entwickelt EIGENDYNAMIK und das ist entweder gut oder schlecht, aber wurscht, it’s Krimi.
Das →Edwin-Drood-Projekt war von Beginn an anders konzipiert. Kein Plan, nur eine einzige Idee. Den guten Charles Dickens hatte es, er steckte mitten in seinem Kriminalroman „Das Geheimnis des Edwin Drood“, existenzmäßig aus der Bahn gekegelt, mausetot war der Autor und der Krimi ein ewiges Fragment. Edwin Drood irrt seitdem als der große Untote des Genres durch die Zeitläufte, der Ahasver der Spannungsliteratur, Schrecken aller LeserInnen im Zeitalter der Aufklärung – nein, nicht DIE Aufklärung oder gar die dialektische, nur die schnöde Aufklärung à la „Der Kommissar wies auf Mrs Ackroyd und sagte: ‚Sie sind die Mörderin’“. Das fand ich schon immer allerliebst. Der Tod selbst verhindert es, einen Mord aufzuklären – wenn es denn überhaupt ein Mord war, dem der gute Edwin da zum Opfer gefallen ist – oder hätte fallen sollen, denn keine Ahnung, ob Dickens wusste, was es mit seinem Titelhelden auf sich haben würde.
Jedenfalls: Das Edwin-Drood-Projekt wurde gestartet, um genau dieses Szenario nachzubilden. Ein Autor beginnt mit einem Krimi, veröffentlicht jeden Tag eine Folge davon und das so lange, bis ihm wer den Griffel aus der Hand nimmt. Er hat, noch einmal, keinen PLAN. Er weiß nur, da ist ein Mensch verschwunden und wird es auch bleiben. So wurde am 22.11.2010 die erste Folge publiziert und das Ding entwickelte sich, mit der im Grund einzigen Vorgabe, die aktuellen politischen und sonstigen Ereignisse mehr oder weniger elegant in den Text einzuweben, Finanzkrise und Fukushima (erinnert sich noch jemand?), Frauenfußball-WM und und und. Und siehe da: Plötzlich war das alles irgendwie sogar ein politischer Roman, ohne dass er es sein sollte, aber der Autor hat in dieser Zeit eben auch viel zum politischen Krimi gemacht und überhaupt landete alles im großen Manuskript, was er so gemacht hat seit November. Und wo stehen wir heute? Bei einer Weltverschwörung, ganz klar. Die Erzählperspektive änderte sich, zeitweise wurde der Roman gar zum Metakrimi – und die 250. Folge greift das noch einmal auf, sie ist eine Zäsur, denn alles steht auf der Kippe. Der Autor könnte jetzt mit einem Streich dem bösen Spiel ein Ende machen, seine Figuren – sämtlich Sympathieträger – dem Bösen zum Opfer fallen lassen, aber das tut er natürlich nicht.
Er macht jetzt zwei Wochen Ferien – die ihm zustehen! – und natürlich macht er gar keine Ferien, er hasst solche Fremdwörter, nein, er überlegt sich jetzt dringend, was mit den 250 Folgen zu geschehen hat, ob man die geschätzten 400 Druckseiten zu reinen Archivzwecken in Buchform veröffentlicht oder doch nicht, wer das macht und wer nicht, ob man es überhaupt macht – er weiß auch schon so in etwa, wie es weitergeht (nein, er hat noch immer keinen PLAN!), er träumt sich gerade auf der schönen Insel Jersey herum, wohin er eine seine Personen verfrachtet hat (sie heißt Vika und müsste etwas mehr ins Zentrum gerückt werden), hm, also beginnen wir Folge 251 auf Jersey, am 15. August, wenn die Ferien (haha) vorbei sind.
Bis dahin können alle, die das Projekt nicht kennen, sich einlesen oder darauf warten, dass dieses Drum von einem Text endlich als Buch erscheint (wenn überhaupt), oder sie können es weiterhin ignorieren, denn wer liest schon einen Krimi, der garantiert keine Auflösung haben wird, einen Krimi ohne PLAN? Sie können sogar dem Autor helfen, denn der muss ja nun, WENN er sich denn für die Buchform entscheidet, dringend Korrektur lesen, sie können also die Original-Worddatei →bei ihm anfordern und lesen und Tipp- und andere Fehler monieren. Das würde dem Autor helfen, aber macht eh keiner, er muss immer alles alleine machen, der Autor, das kennt er schon.
Erholsame Tage und viel Inspiration, wenig Transpiration. Oder so.
Ludger
Ach,Ludger, wenn du wüsstest… Ich mache Urlaub von Drood, um mich Sklaventreibern wehrlos in die Klauen zu begeben… aber trotzdem Dank für die gutgemeinten Wünsche…
Da löst der Tüp ’ne Diskussion über politische Krimis im Internet aus,die Realität holt ihn ein,Krimis sollen Politik werden(Anne Holt)und er geht in Urlaub.
Chuzpe.
Wie kommt ihr Tüüpen nur auf den abartigen Gedanken, ICH könnte Urlaub machen?! Der Autor des Drood-Projekts macht welchen, aber doch nicht der fleißige Blogger! Oh je! Ja! Die Realität hat den Krimi eingeholt, na so etwas! Angesichts der Argumentationen schreit meine Schreibhand nach Arbeit, aber mein letzter Rest Menschenverstand empfiehlt mir: Machs nicht! Mal schauen, wer gewinnt.
9 Uhr 16, geduscht, gefrühstückt. Ich fang jetzt an zu schreiben. Bis gleich.
1o Uhr 24. So fertig, ich lad mal hoch.