Die Wirklichkeit war schon immer der holprige Versuch eines Laienspieltheaters, die großen Romane nachzuerzählen. Murdochs Machenschaften, diese Pervertierung von Journalismus mitsamt innigster Verbandelung von Politik und Polizei und Presse und Profit, was ist das anderes als ein politischer Krimi von Dominique Manotti? Und welcher Leser der Wu/Durant-Romane von Ross Thomas wartet nicht beim Schelmenstück „Eurokrise“ auf das Erscheinen des cleveren Pärchens? Aber es kommt nicht.
Die Schurken tänzeln im rosa Tütü der verfolgten Unschuld durch die Kulissen, das Publikum folgt den Ereignissen auf der Bühne mit Wut und Ungeduld, es wartet auf die ermittelnden Sympathieträger, das genialisch kombinierende Spatzenhirn des xten Holmes-Klons, die Verwandlung des Ozeans in ein begradigtes Bächlein, das durch die Dürre der Hirnwindungen wie mit dem Lineal gezogen murmelt, den ausgestreckten Mittelfinger der Justiz, der auf den Übeltäter zeigt und „Die waren’s!“ ruft. So funktioniert Krimi, so funktioniert jeder Fließbandjob.
Aber halt nicht in der Wirklichkeit, deren Autorinnen und Autoren die Schule des Creative Writing geschwänzt haben. Von Plotten nicht eine Bohne von Schimmer von Ahnung, keine Lektorin, die „Mach einen Pageturner!“ mahnt und die wirren Schachtelsätze der Wirklichkeit zur beliebten Hackstückgrammatik von Herrn krimifan123 und Frau cozy_mausi verdummbeutelt. Die Nacht war düster. Der Grieche schlich durch die Straßen. Er stahl unser Hab und Gut. Da kam die Bundeskanzlerin. Sie fuchtelte mit den Armen und machte „buh!“ Da suchte der Grieche das Weite. Und der Banker spuckte eine Erdnuss in die Schale des Bettlers.
Die Wirklichkeit, das zeigt sich immer deutlicher, kennt keine Dramaturgie, sie kennt kein Erbarmen mit den Zuschauern, denen nichts anderes übrigbleibt, als sich ihre eigenen Krimis zu erzählen. So kommt es zu einer grotesken Umkehrung von Kunst, aber vielleicht ist es ihre Wahrhaftigkeit. Sie findet im Zuschauerraum statt, während auf der Bühne lediglich das Material feilgeboten wird, von einem Heer medialer Souffleure, die sich ihre Drehbücher selbst geschrieben haben und nun durcheinanderreden. It’s the summer of plots, Baby, das Woodstock der schlichten Wahrheiten, und im Herbst wird es ganz toll vermarktet, überall „politische Krimis“ auf der Basis von Dummdeutsch und Minimallogik. Dann wird sich der Theatersaal lehren, die Leute werden die Schnauze voll haben vom Chaos der Wirklichkeit und sich in die Privatheit ihres Kopfkinos zurückziehen, dort, wo noch der Sticker „Atomkraft nein danke!“ pappt und jeder Krimi 90 Minuten dauert und am Ende irgend etwas steht, das man abnicken kann. Der Sommer der Plots ist vorbei, das Blümchen verwelkt, und in ihren Schreibstuben züchten die AutorInnen schon ihre neuen traurigen Geranien.
„Von Plotten nicht eine Bohne von Schimmer von Ahnung“: das, lieber dpr, seh‘ ich anders. Denken Sie nur an die Rating-Agenturen: die wurden ganz früh und explizit in den Text geschrieben. Doch der wird nach dem Vorbild der Feuilleton-Kolportage (Sue) fortentwickelt, in Rückkoppelungen zwischen Produktion und Rezeption. Da kann man mit dem Autor (den Autoren) auf Fort- und Ausgang gespannt sein. Nix neues demnach.
Beste Grüße!