Das Kindheits-Vater-Muster. Eine Notiz

Irgendwie habe ich es dieses Jahr mit der neueren deutschen Kriminalliteratur. Und den Wiederveröffentlichungen, seien es freudig begrüßte Neuauflagen in Vergessenheit geratener Klassiker oder privat aus den Regalen gezogene, leicht angegilbte Taschenbücher. Gegenwart, Vergangenheit also – und ein Schuss Zukunft, wenn man über die Grenzen der Genres schaut, von der sogenannten „Hochliteratur“ zum sogenannten „Krimi“ zur sogenannten „Science Fiction“, dann sind die Grenzen plötzlich keine mehr und man weiß noch weniger, was das eigentlich ist, mit dem man sich seit Jahren beschäftigt. Gut so.

Aber bleiben wir in der Gegenwart mit ihren durchweg erfreulichen Lebenszeichen einer deutschsprachigen Kriminalliteratur jenseits der Bestsellerei (die es geben muss. Aber wer will mich zwingen, sie ernst zu nehmen?). Es sind Bücher einer bewährten Garde, nicht jedes Jahr erscheint ein neues Werk, man freut sich daher besonders, wenn es doch geschieht. Stefan Kiesbye, Mechtild Borrmann, Norbert Horst, Jan Costin Wagner, Monika Geier, Rainer Gross – und nennen wir noch (aus gutem Grund) Frank Göhre. Dieser Frank Göhre beglückte uns schon im Herbst 2010 mit →„Der Auserwählte“, einem stimmigen Roman, dessen entscheidender Handlungskern weit in die Kindheit / Jugend der Protagonisten zurückreicht. Nicht ungewöhnlich für (Kriminal-)Literatur. Auch die beinahe dämonische Rolle des Vaters ist keine originäre Erfindung Göhres, es fällt also nicht auf. Das tut es erst jetzt im Nachhinein, wenn man die genannte neuere Produktion gesichtet hat.

Denn sie mögen sich in vielem unterscheiden, die vorgenannten Autorinnen und Autoren, in einem jedoch sind sie sich verblüffend einig: Die Verbrechen der Gegenwart fußen auf Verbrechen der Vergangenheit, als die Protagonisten noch Heranwachsende waren und die Zeiten, aus welchen Gründen auch immer, schwierig und turbulent. Kiesbye verpackt es in →„Hemmersmoor“ als Schauergeschichte, Borrmann (→„Wer das Schweigen bricht“) und Gross („Kettenacker“) siedeln den Handlungskern in den Jahren des Dritten Reichs an, Göhre bevorzugt die Sechziger und Siebziger Jahre mit ihren Gesellschaftsutopien, bei Horst (→„Splitter im Auge“), Wagner (→„Das Licht in einem dunklen Haus“) und Geier („Müllers Morde“) ist das „Historische“ der Zeit eher unwesentlich, wichtig ist die Bedeutung, die sie für die Protagonisten besitzt.

In einem Punkt sind sich die Autorinnen und Autoren (bis auf Jan Costin Wagner) jedoch einig: Der Vater steht im Zentrum allen Ungemachs. Am beiläufigsten lesen wir dies in Monika Geiers „Müllers Morde“, wo der Vater des Protagonisten immer noch seinen Schatten wirft, seinen Sohn in eine Ecke (die alternative Bewegung der Achtziger Jahre) drängte, aus der dieser sich befreien möchte, aber so recht nicht kann. Ansonsten ist die Rolle der Väter eine aktivere, sie verantworten mit Liebesentzug (Horst), einer dunklen Vergangenheit (Borrmann, Gross, Kiesbye) oder schlicht verbrecherischem Handeln (auch bei Borrmann, Gross, Kiesbye und Göhre) die gegenwärtige Maläse, sie haben ihre Kinder (immer Söhne) traumatisiert.

All das erinnert stark an die „Väterliteratur“ vor allem der Siebziger und Achtziger Jahre, an Bernward Vespers „Die Reise“ ebenso wie an Ludwig Harigs „Ordnung ist das ganze Leben. Roman meines Vaters“, an Birgit Vanderbekes „Das Muschelessen“, aber auch an Alfred Anderschs „Der Vater eines Mörders“ und viele andere Werke, in deren Zentrum eben nicht nur die (zumeist nationalsozialistische) Vergangenheit des Vaters steht, sondern auch die Verwüstung, die das Trauma in den Kindern angerichtet hat. Nun also scheint sich auch die Kriminalliteratur dieser Thematik verstärkt anzunehmen – die Betonung liegt auf „verstärkt“, denn das traumatische Verhältnis von Vätern zu ihren (meistens) Söhnen war schon immer ein Topos des Krimigenres (Interessierte seien hier an Joachim Linders →„Notizen und Texte“ verwiesen). Interessant und erfreulich ist aber die neue Qualität dieser Auseinandersetzung, das jenseits schicker Thematik erreichte kriminalliterarische Niveau. Werden wir jahresrückblickend im Auge behalten.

2 Gedanken zu „Das Kindheits-Vater-Muster. Eine Notiz“

  1. Aha – dpr hat die neue Geier schon gelesen!
    Werden wir denn auch in den Genuss einer Rezension kommen?
    Wenn ja, wann und wo? Oder ist das geheim?
    fragt neugierig die Else, grüßend

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