Seit 2005 bin ich ein Krimi-Afficionado, ein Spannungssuchti, der das Objekt seiner Begierde nicht aus der Hand legen kann, bis das letzte Detail geklärt, das furchtbarste Monster seiner gerechten Strafe zugeführt wurde und selbst der niedrigste Instinkt befriedigt schlummert. Das klingt nicht gut. Und überhaupt fühle ich mich am falschen Platz, so wie ein Liebhaber mongolischer Obertonmusik, dessen Faible für Volksmusik ihn in eine volkstümliche Veranstaltung verschlagen hat, in der blondierte, dickliche Jünglinge „Gell mei Schatzi“ singen und dirndlbewaffnete Jodlerinnen ihre Halsschmerzen ausleben. Der Krimi boomt? Nichts weniger. Man mag das, was uns da von den Bestsellerlisten herab angrinst, an einem menschenfreundlichen Tag Kunsthandwerk nennen, an einem normalen nennt man es nüchtern und treffend Bockmist, mit einigen vielsagenden Überschneidungen, aparten Missverständnissen und dem üblichen Posaunenschall des Marketings, das wohl, aber dennoch: Der Krimi als literarische Form blüht nach wie vor im Verborgenen.
Als ich 2005 mit meinem Blog Watching the Detectives begann, wusste ich das alles noch nicht. Ich wusste überhaupt ziemlich wenig (was nicht bedeutet, dass ich heute unbedingt mehr wüsste), kannte niemanden aus der Szene, dachte und schrieb munter drauf los, erhielt Zuspruch und erntete Ablehnung, nahm mir alles mehr oder weniger zu Herzen, war bisweilen geneigt, mich mit einem lapidaren bye zu verabschieden, initiierte einige Projekte, die, unter dem Gesichtspunkt einer bescheidenen Massenkompatibilität, sämtlich scheiterten, gewann Freunde und machte mir zum ersten Mal in meinem Leben leibhaftige Feinde, ich verhielt mich undiplomatisch und meistens ziemlich voreilig, bereute viel, aber nicht alles, schlug mich 2008 mit einem Roman Menschenfreunde gar auf die andere Seite, dorthin, wo die dünnhäutigen Schöpfer des geliebten Stoffes auf die Euphorie von Leserschaft und Kritik warten, verblieb dennoch auch auf der anderen Seite und kritisierte (ein Wort, das konsequent falsch ausgelegt und seinen Negativmantel nicht los wird), ein Umstand, der alles noch schlimmer machte, aber sei’s drum. Die Arbeit schritt unverdrossen voran, sie wurde immer buddhistisch-philosophischer, der Weg zum Ziel, das Ziel endlich unwichtig, diese verfluchte Antwort auf diese verfluchte Frage
Nicht dass ich keine Antwort hätte. Sie lautet: Ich weiß es nicht. Ich kann sogar eine Definition daraus basteln und dekretiere also munter vor mich hin: Krimi ist das Nichts an Erkenntnis, das übrigbleibt, wenn man alle Erkenntnis, was Krimi ist, eingesammelt hat. Die Zertrümmerung eines Genres, während man es konstituiert, man selbst wird zum unfähigsten Ermittler aller Zeiten, der am Ende den schlechtesten Krimi aller Zeiten produziert hat, in dem überhaupt nichts aufgeklärt wurde, aber alles infrage gestellt. Ja, das ist Krimi. Noch Fragen?
Es gab im Laufe der Jahre tatsächlich eine Reihe von Fragen, die sich wie ein roter Faden – und irgendwann wie ein running gag – durch Watching the Detectives zogen. Gibt es literarische Krimis? Antwort: Ja doch, was sonst? Sind Krimis politisch? Antwort: Ja doch, was sonst? Gibt es eine deutsche Krimitradition? Antwort: Kann sein, also nein, also doch. Alle diese Fragen wurden, als sei Kriminalliteratur ein Fall für den Arzt, notdürftig behandelt, immer parallel zum Tagesgeschäft der Rezensionen und Reflexe auf das, was man den traurigen Alltag des Genres nennen könnte. Garniert wurde das Ganze, wie schon angedeutet, mit regelmäßigen Niederlagen. Das Projekt des Krimijahrbuchs, 2006 begonnen, scheiterte nach vier Ausgaben. Aus mancherlei Gründen, dem vor allem, dass auch das kleinste Pflänzchen von einem Minimum Leserschaft gepflegt werden muss. Das Projekt „Criminalbibliothek 1850 – 1933“, ursprünglich auf zehn Bände angelegt, wanderte nach ganzen drei ins Nirwana, gar nicht zu reden von dem Versuch, so etwas wie „Krimikultur“ anzustoßen, mit der dem allgegenwärtigen blasierten Unwissen des Feuilletons in Sachen Krimi zu begegnen wäre.
Aber dies ist nicht der Ort zu klagen. Im übrigen bin ich an allem selber schuld und tröste mich mit dem Positiven, den gewonnenen Freunden und kritischen Begleitern, der vagen Genugtuung, dem einen oder anderen Kollegen, der einen oder anderen Kollegin etwas Gerechtigkeit zugeschustert zu haben, jetzt, finally, mit der Aufgabe, all das, was ich über Krimi gelernt habe, in einem Büchlein zu bündeln, einem Essay, keiner wissenschaftlichen Auseinandersetzung, dafür reichen meine Nerven nicht mehr aus und, ehrlich, es interessiert mich auch kein bisschen mehr. Das Fundament des Ganzen findet sich in der Frage Was ist Krimi? und hat einen einzigen Zweck: den nämlich, die Frage nicht zu beantworten und gerade dadurch zu beantworten. Die Vorgehensweise wird grob die sein, sich dem Gegenstand historisch zu nähern, einerseits, andererseits an vertiefenden Einzeluntersuchungen zu zeigen, wie Krimi funktioniert – oder nicht. Grundlage ist all das, was ich in den Jahren als Blogger erarbeitet habe, meine abstruse Theorie zu Edgar Poe etwa, meine noch abstruseren Thesen zum Fortschritt im Genre, dazu Begegnungen der besonderen Art mit den berühmten und weniger berühmten Protagonisten, von Temme über Glauser und Hammett und Raymond bis zu den wackeren Gestalten der Neuzeit.
Wie dies am Ende aussehen wird? Ich weiß es noch nicht. Ich möchte aber die Interessierten auf dem Laufenden halten, sie einladen, mitzudiskutieren, mich auf neue Ideen zu bringen oder mir Ideen auszureden. Deshalb werde ich eine entsprechende Seite bei Facebook einrichten (das heißt dann wohl Fanseite) bzw. für alle Non-Facebooker, eine Art Newsletter installieren, zu dem man sich ab sofort zwanglos anmelden kann, indem man mir eine ebenso →zwanglose Mail zukommen lässt. Wie immer weiß ich nicht, was sich daraus entwickelt, wie immer hoffe ich, wie immer rechne ich damit, dass es sich anders oder gar nicht entwickelt.
Sie wandern auch weiter zu facebook? Ich finde schon das Entré dort so unsympathisch, dass ich jeweils sofort die Flucht ergriffen habe und meine Vorurteile gegen den Laden nicht prüfen konnte. Ich habe den Eindruck, die ganzen Blogs, die in den letzten Jahren entstanden, sind wie eine Stadt, deren Häuser allmählich von ihren Bewohnern verlassen werden. Da macht es jetzt Lust einzuziehen, wie in einem großen Haus unnütze Dinge abzuladen. Bedanken wollte ich mich noch für den ausführlichen Hinweis auf James Dickeys „Flussfahrt“, ein geradezu existenzialistischer Krimi.
Über Facebook könnte man eine ganze Menge sagen… Betrachten Sie es als Ergänzung, als Möglichkeit zum Small Talk mit allen Pro und Contras. Und DIESES Haus im Blogistan bleibt bewohnt! Versprochen! Alle paar Wochen (habe ich soeben entschieden) gibt es die Arbeitsnotizen von FB zum Was-ist-Krimi-Projekt hier en blog…